Wie Allende unter die Kreativdeppen geriet

La Re-sentida Zwei Positionen zum am letzten Wochenende zu Ende gegangene Thaterfestival F.I.N.D in Berlin sollen dei künstlerische und politische Spannweite deutlich machen.

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Ein Schreibtisch mit allerhand Plastik-Kram stand zu anfang auf der Bühne. Darum sind Scheinwerfer aufgebaut, so als würde dort gleich eine Pressekonferenz stattfinden. Tatsächlich präsentieren dort das chilenische Avantgarde-Theater La Re-sentida die Inszenierung einer Pressekonferenz statt, die nie stattgefunden hat. La imaginacion del futuro lautete der Titel des Stücks, das im Rahmen des F.I.N.D.-Festivals in der letzten Woche in der Schaubühne zu sehen war.

Ausgangspunkt ist die legendäre letzte Rede des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. An dem Tag als der faschistische Putsch schon im Gange war und die Militärs den Präsidentenpalast belagerten, erklärte der sozialistische Präsident, er werde nicht zurücktreten. Er dankte den Arbeiter_innen, den Bäuerinnen und Bauern, der Jugend, all den Menschen, die große Hoffnung in den Aufbau einer neuen Gesellschaft in Chile gesetzt hatten und die die Unidad Popular, das linke Parteienbündnis, das Allende nominiert hatten, demokratisch gewählt hatten. Und Allende äußerte am Ende die Überzeugung, dass sich eher früher als später die breiten Alleen wieder öffnen werden und die Unterdrückten auf den Straßen wieder für ihr Recht kämpfen würden. Die Rede wurde überdröhnt vom Knattern der Flugzeuge, die bald ihre Bomben über den Präsidentenpalast abwerfen sollten. Allende wurde auch durch diese Rede ein Symbol des Widerstandes und in den dunklen Jahren der faschistischen Diktatur war er für die Oppositionellen eine Stütze.

Ist der Film No Vorbild?

Die Theatergruppe hat sich nun in den Kopf gesetzt, die Allende-Rede so umzufrisieren, dass sie die Rechten, der Wirtschaft, der USA, also allen Gegner_innen der Unidad Popular gefallen würde. Vielleicht so die naive Überlegung, könnte ja der Putsch abgewendet werden, wenn in der Rede jeder Bezug auf die Arbeiterkasse, auf den Sozialismus etc. fehlt. So wurde Allende ca. 40 Minuten durch die Mühle ständig schreiender, zappelnder Kreativwirtschaftsdepp_innen gedreht. Dass mag am Anfang noch lustig sein und eine Satire all jener Ex-Linken, die all ihre sozialistischen Grundsätze vergessen haben, vom Allgemeinmenschlichen Schwadronieren und hoffen, von den Rechen geliebt zu werden. Im Jahr 2012 hatte der chilenische Regisseur Pablo Larrain den Film No gedreht, der zeigt, wie mit einer solchen unpolitischen Kampagne das Ende der Pinochet-Ära eingeläutet worden sein soll. Es ging um ein Referendum mit dem sich das faschistische Regime 1988 von der Bevölkerung legitimieren wollte. Die betont unpolitische No-Kampagne soll nach der Lesart des Films dazu beigetragen haben, dass das Referendum abgelehnt wurde. Historisch war es so, dass es eine ganze Bandbreite von Widerstand gegen das Pinochet-Regime gab, einschließlich von Streiks, Riots und den bewaffneten Kampf. Der Film will diese Aktionsformen von vornherein ausschließen und klittert so Geschichte.


Postmoderne Geschichtsklitterung

Mag sein, dass die Theatergruppe diese Haltung mit ihrem Stück überspitzt vorführen wollte. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass auf der Bühne nur eine weitere Variante antilinker Geschichtsklitterung vorgeführt wurde. So haben es in Paris und anderen Städten, in denen das Stück lief, Theaterbesucher_innen zumindest verstanden. Es gab Proteste von Exilchilen_innen. In Berlin war die Erregung unter dem Publikum auch zu spüren. S o wäre es wünschenswert gewesen, die Theatergruppe hätte sich nach der Vorführung der Diskussion gestellt. Dann hätte sie die Frage beantworten müssen, warum sie ständig Allende als müden, alten Mann darstellt, der nicht fähig war, eine 10 minütige Rede zu halten ? Warum wird ständig suggeriert, Allende wäre völlig isoliert und allein? Die historische Wahrheit, dass in der Zeit, in der Allende mit einer Gruppe seiner Vertrauten im Präsidentenpalast den Faschismus trotze, in den Universitäten, den Fabriken, in Radiostationen und Schulen Tausende Menschen den Putschisten Widerstand leisteten. Viele wurden ermordet oder in Konzentrationslager gesteckt. Wenn im Theaterstück am Ende gehöhnt wird, dass Allende doch zurücktreten solle im Interesse der Bevölkerung, dann wird die Propaganda der Pinochet-Anhänger_innen übernommen. Die hatten versucht, den demokratisch gewählten Präsidenten zum Rücktritt zu bewegen, was dieser ablehnte. Es ist nun wirklich nicht besonders originell, wenn eine postmoderne Theatergruppe diese alten Thesen der Rechten wieder aufnimmt. Was es nun sollte, wenn in einem Zwischenstück ein chilenischer Junge aus der Unterklasse dargestellt wird, der keine Chance für die Bildung hat, und dem deshalb vom Publikum Geld gespendet werden soll, bleibt rätselhaft. Es war ja gerade die Regierung der Unidad Popular, die angetreten ist, allen Kindern Blldung und Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Nach dem Putsch wurden diese Projekte gestoppt und rückgängig gemacht. Solche Zusammenhänge stellt das Stück nicht mal im Ansatz her. So blieb es in der politischen Aussage reaktionär und vom Schauspielerischen mäßig. Meistens raste eine zeternd, schreiende Meute über die Bühne. Am beste überzeugte noch der Allende-Darsteller durch seine stolze fast überlegende Art, mit der er die herum wuselnden Kreativ-Deppen ignorierte. Ein Teil des Publikums hatte die Botschaft sehr wohl verstanden. Beim Rausgehen mokierte sich ein Theaterbesucher mittleren Alters über die großen Fehler der Allende-Zeit. Pinochet sei dagegen gar nicht so schlimm gewesen. Schließlich habe der nach dem Scheitern des Referendums mit dem er sich bestätigen lassen wollte, keine Panzer aufgefahren. Da haben die Theatermacher_innen das passende Publikum gefunden. Zum Glück gab es auch viele, die Widerspruch zu dem Stück hatten und vergeblich eine Diskussion mit den Theatermacher_innen verlangten.

Eine US-Familienserie im Theater

Das modernes Theater auch gesellschaftliche Zusammenhänge vermitteln kann und das Publikum trotzdem zu halten vermag, bewies Richard Nelson mit seinen Theaterstück „The Apple Family plays“. Es ist nicht ganz klar, ob er mit dem Namen an die Apple-Computer erinnern wollte. Jedenfalls kommt ein Computer in den Stücken nicht. Man sieht einer Familie beim Plaudern und Sitzen im eigenen Wohnzimmer zu. Das Stück fängt langsam an. Es gibt ein Vorgeplänkel, doch blad sieht man, dass tiefsitzende Probleme die scheinbar harmonische Familie prägen. Da treffen sich am Tag der Präsidentschaftswahlen 2012 die Familienmitglieder und schnell steht der nach einem Schlaganfall invalide Onkel Benjamin im Mittelpunkt des Interesses. Nachdem er aus seinen Tagebuch gelesen hat, zerbricht die familiäre Idylle. Es geht um sexualisierte Gewalt gegen Frauen, um eine untergründige Konkurrenz aller gegen alle. Und so nebenbei erfährt man, dass die Familie her linksliberal ist, auf Seiten Obamas steht, aber auch ihre Privilegien als Teil der US-Mittelschicht nicht verlieren will. Das Theaterstück wirkt als wäre eine TV-Familieneserie auf die Bühne verlegt worden. Das Stück verlangt schon eine Konzentrationsbereitschaft. Aber wer sich darauf einlöst, bekommt einen guten Einblicke, wie eine weiße, liberale Mittelschichtfamilie in den USA tickt. Mehr solche Stücke wünscht man sich bei den künftigen Theaterfestivals. Die Enkel der Generation Pinochet können sich doch woanders austoben.

Link zu La imaginacion del futuro:

http://www.schaubuehne.de/de/produktionen/la-imaginacin-del-futuro.html

Link zu The Apple-Family plays:

http://www.schaubuehne.de/de/produktionen/the-apple-family-plays-1-that-hopey-changey-thing-2.html

Peter Nowak


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Geschrieben von

Peter Nowak

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