Höcke geistert als Untoter über die Bühne

Fear Berliner Schaubühne Das mehr als zweistündige Stück zeigt die AfD und ihr Umfeld als Untote, setzt dagegen aber ein Urban-Gardening-Idylle

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Hat die Vorführung schon begonnen? Während das Publikum noch zu den Sitzen auf Holzbänken strebt, windet sich ein einsamer Tänzer vor den Kulissen. In einer gläsernen Kabine unterhalten sich 7 Hipster über ihren Job und die aktuelle politische Situation. Im Zuschauer_innenraum sind nur Sprachfetzen zu verstehen wie Meineid und Frauke Petry. Die AFD-Vorsitzende hat gerade ihre parlamentarische Immunität verloren, weil es gegen sie Ermittlungen wegen eines Meineids gibt, hatten viele Medien kürzlich vermeldet. Doch hierbei handelt es sich nur um einen Warm-up. Eine Stimme verkündet in Deutsch und Englisch, dass nun alle Handys ausgeschaltet werden sollen, weil das Stück beginnt. Was folgt ist eine knapp 100minütiger Generalangriff an Dunkeldeutschland, wie es heute auf den Theaterbühnen selten ist. Kurzvideos und Fotos nicht nur von AfD-Politiker_inen werden eingeblendet. Ihr Vordenker Thilo Sarrazin kommt ebenso ins Bild wie ihre europäische Bündnispartner_innen vom Front National, der FPÖ und ähnlichen Gruppierungen. Auf Plakatständern sehen wir Fotos von NPD-Aufmärschen und von Beate Zschäpe. Der Einwand, hier werde alles rechts von der Union über eine Kamm geschoren, wird kommen, ist aber nicht berechtigt. Hier geht es nicht um ein politsoziologisches Seminar über die unterschiedlichen Strömungen der Rechten. Hier geht es um einen künstlerischen Angriff um die Kräfte der Reaktion und der ist durchaus gelungen.

Die antifeministischen Netzwerke und der Naziopa

Aus der Menge an rechten Videos, Bildern und Materialen schält sich bald ein brauner Faden heraus. Es ist der rechte Angriff auf Feminismus und freie Sexualität, der von Frauen in und außerhalb der AfD geführt wird. Namen wie Gabriele Kuby, Birgit Kelle und ihre Fans jeden Geschlechts kommen in Bild und Ton vor. Einen Sondereinsatz bekommt die rechte Netzwerkerin Beatrice von Storch, deren tiefbraune Familientradition in einer eigenen Szene verhandelt wird. Ihr Großvater Ludwig Graf von Krosigh war nicht einmal als Nazi so schlau, sich am Versuch führender NS-Eliten zu beteiligen, am 20.Juli 1944 doch noch vom braunen Boot zu springen. Ludwig Graf von Krosigh war in der gesamten NS-Zeit Finanzminister. Seit Amt endete am 2.Mai 1945, nachdem die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition die Welt von ihm und seinesgleichen befreit hatten. Da ihrer Enkelin in der Öffentlichkeit nie ein kritisches Wort über ihren Naziopa über die Lippen kam, ist es gut, wenn sie damit öffentlich konfrontiert wird. Fraglicher ist es schon, die Einordnung der Neuen Rechten als Untote aus einer Vergangenheit, die eigentlich nach 1945 überwunden galt, die im Stück mehrmals vertreten wird. Es macht sicher im Theaterbild viel her, wenn sich dort Bilder von Zombies mit Fotos von Björn Höcke und Co. abwechseln. Doch auf einer politischen Ebene wird damit verkannt, dass es bei den Rechten eben nicht einfach um Wiedergänger einer vergangenen geht. Was für NPD und Co. stimmt, trifft nicht die AfD und ihr Umfeld. Hier handelt es sich um Rechte, wie sie die Verwerfungen der aktuellen Regulationsform des Kapitalismus hervorbringt. Dass sie sich dabei auf einen Gedankenmix bedienen, der auch Anleihen auf den NS und die völkische Bewegung nimmt, ist evident. Warum sie damit Erfolg haben, ist Frage, mit der sich der Philosoph .

Erbschaft dieser Zeit

Warum sie damit Erfolg haben, ist Frage, mit der sich der Philosoph Ernst Bloch in seiner Schrift „Erbschaft dieser Zeit“ befasst , die 1935 in der Schweiz erschienen ist.

Auf dem Bloch-Blog (http://bloch-blog.de/tag/erbschaft-dieser-zeit/ ) werden durchaus Parallelen zu heute gezogen:.

„Der „ungleichzeitige Rest“ (Bloch) des alten militärisch-feudalen wilhelminischen Kaiserreiches im Bewusstsein Weimars und die unzureichende Erfüllung der Novemberrevolution haben die Wünsche und Träume der Menschen empfänglich gemacht für die „anachronistische Verwilderung“ (Bloch). Zuwenig hätten die Gegner der NS-Propaganda den „Wärmestrom“(Bloch) die „Schatzkammern einer nicht ganz aufgearbeiteten Vergangenheit“ begriffen und ergriffen. „Der subjektiv ungleichzeitige Widerspruch ist gestaute Wut, (…).“

„Im Jahr 2015 ist erneut „gestaute Wut“ zu erkennen, wenn auch eine andere. Ein Blick in „Erbschaft dieser Zeit“ kann beim notwendigen Handeln die „Breite“ sowie den „Stachel der Unsicherheit“ sichtbar machen helfen. „Schon morgen ist jedes Jetzt anders da“(Bloch)“

Bei Fear hingegen werden die Pegidagänger_innen eher als der Rest, den niemand bracht, der überflüssig ist und den auch niemand lieb hat, klassifiziert. An dieser Stelle weht doch ein Hauch von Sarrazin ins Stück, der ja auch bekanntlich die Menschen danach beurteilt, ob sie gebraucht werden oder nicht. Wenn es keine gut platzierte Satire war, müsste man sich fragen, warum selbst in einem Theaterstück, dass sich so klar gegen Rechts positioniert, die Kontrahent_innen, mit Stereotypen belegt werden, die den Nützlichkeitsdiskurs bedient, statt die Kritik an ihren Positionen zu richten? Dieses geschmäcklerische Getue erinnert an manche Antifdemo in den 1990er Jahren, wo Mittelstandsjugendliche aus den Großstädten in sächsische und brandenburgische Kleinstädte kamen und diese als braune Käffer beschimpften, die möglichst gar nicht existieren sollten. Die Frage nach Klassenspaltungen und den Bedingungen im Kapitalismus, die Ausschlüsse und Ausgrenzung bedingen, war dann keine Rede mehr. Auch bei Fear wird nur einmal überhaupt vom „Spätkapitalismus“ geredet. Ansonsten kommen die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen aktuell Ausgrenzung nach Innen und Außen praktiziert wird, nicht vor.


Mit Urban-Garding gegen Rechts?

Diese inhaltliche Kritik soll nicht die schauspielerischen Leistungen verdecken, die hier über 2 Stunden geboten wurde. Es ist insgesamt eine wahre Wucht, mit der den Zuschauer_innen im längsten Teil des Stücks die rechte Szene vorgeführt wird. Ein wahres Feuerwerk von Bildern, Videos und immer mal wieder harte Musik halten das Publikum in Spannung. Doch dann wird die Bühne aufgeräumt, die rechten Pappmaschefiguren und Plakate werden in die Ecke befördert. Dafür werden Blumenbeete und -töpfe aufgebaut, in denen Tomaten und Radieschen wachsen. Eine Urban-Gardening-Landschaft, in der die Hipster nach ihrer Lohnarbeit relaxen soll die Gegenutopie zur AfD und Co. sein? Hier fällt das Stück auch schauspielerisch stark ab. Am Ende nehmen die Schauspieler_innen noch Töpfe von Tomaten und Radieschen auf den Schoß und mit dem Stuhl um die eigene Achse drehen. Was soll die Schlussszene den Zuschauer_inen sagen? Urbangardening gegen Rechts? Wir lassen uns die Liebe zur Natur nicht von Rechts nehmen? Wenn dann das Publikum mit dem Satz "Wir sind die Anderen" aus dem Stück entlassen wird,verstärkt sich noch der Eindruck, hier gehe es darum der bessere Mensch zusein und nicht gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, in der die Frage überflüssig wird.

Eine Gruppe von Schüler_innen, die das Stück das erste Mal ins Theater lockte, verließ das Theater am Ende mit einen ambivalenten Resümee. Die Wucht, mit der hier gegen die Rechte agiert wird, ist beeindruckend und hat ja auch Wirkung erzielt. Die AfD versuchte verglich, juristisch gegen das Stück vorzugehen. Doch mit den Radieschen und Tomaten im Kreis drehen, ist sicher keine Alternative. Dann doch lieber einen Text lesen, der die gesellschaftlichen Hintergründe zum Aufstieg der Rechten, die im Stück nicht vorkommen, erklärt. Der erwähnte Bloch-Text „Erbschaft dieser Zeit“ und die Beschäftigung damit (http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/153-4/153_154_behrens.pdf ) wäre ein Beispiel

Peter Nowak

FEAR

Ein Stück von Falk Richter
Uraufführung
Text und Regie: Falk Richter

Das Stück wird heute und morgen jeweils um 20 Uhr in der Berliner Schaubühne aufgeführt.

http://www.schaubuehne.de/de/produktionen/fear.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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