Zwischen Hühnertechno und dem verpassten Absprung

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Die Freie Theaterszene lud zu einem Marathon mit 100 Stücken


Ein Theaterfestival der besonderen Art ging am vergangenen Wochenende in Berlin über die Bühne. Im Stundentakt wurden Stücke der Freien Theaterszene in den drei Spielstätten des Hebbel am Ufer und den Sophiensälen in Mitte präsentiert. Die Foyers waren ebenso Spielorte wie gelegentlich auch die Treppenhäuser. Zu dem umfangreichen Repertoire gehörten Installationen ebenso, wie Theatersituationen, in denen die Trennung zwischen Publikum und Schauspielern aufgehoben wurde. So konnte man in der Gruppe Invisible Playground alten Pfadfinderbegierden frönen und um die Theater schleichen.

Der Tote im Volkspark Friedrichshain

Wesentlich konventioneller ging es bei „Mimikry nach Die Zoogeschichte von E. Albee“ (ähnlich verwirrende Titel hatten fast alle Stücke dieses Wochenendes) zunächst zu. Zwei Männer, ein in den Prenzlauer Berg zugezogener gutverdienender Verlagsangestellter und ein in eher ärmlichen Verhältnissen lebender Moabiter trafen sich zufällig an einen sonnigen Tag im Volkspark Friedrichshain. Am Anfang hatte man den Verdacht, es gehe um Szene- und Gentrifizierungskritik. Doch bald drehte sich das zähe Gespräch um einen Zoobesuch des Moabiters und die Hassliebe zu dem Hund einer Nachbarin. Bald fragt man sich über den Sinn des dahin mäandernden Gesprächs, gibt es am Ende doch noch Action. Im Streit um die Parkbank ersticht der Prenzlberger den Moabiter. Er, der bisher alles im Leben bekommen hat, und mit seiner Frau, zwei Töchtern und zwei Wüstenspringmäusen in der oberen Mittelschicht angekommen war und die FDP- respektive die Grünen wählte, konnte es nicht ertragen, dass ihm jemand etwas streitig machte und sei es nur einen Platz auf einer sonnige Parkbank im Volkspark Friedrichshain.


Pole, jung, männlich verlassen


Mehr in der Unterschicht spielte das „Schneeweiß und Russenrot“ nach einen Roman der polnischen Schriftstellerin Dorota Maslowska. Die Bühne ist mit einem Band, wie es zum absperren von Unfall- oder Baustellen verwendet wird, eingezäunt. Eine Neonröhre flackert ständig, manchmal ist sie fast am Verlöschen. Wie beim Verhör oder der Beichte sitzt der „Starke“, gespielt von dem Schauspieler Frank Müller, auf seinen Holzstuhl, springt immer wieder auf und räsoniert über Sex, Drugs, Crime und den Hass auf die Russen. Sogar, wenn ein Sturm über Polen zieht, ist der Russe dafür verantwortlich. Auf einen erhöhten Podest spielte die Autorin Maslowska auf einem Harmonium. Die Töne, die sie dem Instrument entlockte und mehr noch die Gesänge, gaben dem Stückeine besondere Note.


Absprung verpasst

Eine Mischung aus Trauer und Komödie boten die Schauspieler in dem Stück „Heute noch nicht“. Vier völlig fremde Personen trafen sich auf einem Hausdach, um sich in den Tod zu stürzen. Sie fühlten sich aber durch die Anwesenheit des Anderen gestört und verpassten so den Absprung. Weil sie aber schon mal auf dem Dach waren, mussten sie sich Konvention üben und ihren Fall vorstellen. Da war der Fernsehmoderator, dessen Vita an Kachelmann erinnerte. Nach einem sexuellen Übergriff verlor er seinen Job beim Fernsehen. Eine 32jährige Mutter sah sich durch ihr behindertes Kind um ihr Leben betrogen und eine 17jährige hat auf der Party ihren Freund nicht gefunden und droht regelmäßigmit Selbstmord. Am Ende gesellte sich noch ein junger Mann zu der todtraurigen Runde, der sich als Pizzaverkäufer vorstellte, aber in Wirklichkeit auch lebensmüde war. Die Dialoge werden von gehörlosen und Hörenden gemeinsam gespielt. Sie musste daher in die Gebärdensprache übersetzt wurden, was dem todernsten Stück eine gewisse Leichtigkeit verpasste.


Lustige Hühner

Einen Schwank boten die Crystal Tits. Zwei Schauspielerinnen statteten die Bühne mit allen hühnergerechten Utensilien aus, schmierten sich Eigelb ins Haar während aus dem Lautsprecher ein Hühnertechno tönte. Die Darstellerinnen heimsten nicht nur viel Applaus ein, sie hatten auch viele Lacher auf ihrer Seite. Diese besprochenen Stücke sind nur eine kleine Auswahl der Vielfalt, die auf dem Berliner Theatermarathon zu sehen war.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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