Unter Hitler waren nicht nur die KZs schlecht

Nazi-Vergleiche Das jeder Nazivergleich automatisch die Menschheitsverbrechen der Nazis relativiert ist der politisch korrekte Bruder des "unter Hitler war nicht alles schlecht"

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Vor einigen Tagen veröffentlichte Jan Böhmermann einen Tweet, in dem er die Tage runter zählt bis "zum ersten Mal seit Kriegsende wieder Nazis im deutschen Parlament sitzen". Die Empörung lies, wie es in Deutschland bei Nazi-Vergleichen immer der Fall ist, nicht lange auf sich warten. So schrieb Gerd Burmann auf seinem Blog "Alles finde ich ekelerregend, aber ich würde dennoch keine der Parteien, die laut aktuellen Umfragen eine Chance hat, in den 19. Deutschen Bundestag einzuziehen, als „Nazi-Partei“ bezeichnen, weil ich dadurch die barbarischen Taten der Nazis relativieren und verharmlosen würde". Mit diesen barbarischen Taten der Nazis meint, Burmann, der sich berechtigterweise für die Interessen der Juden in Deutschland einsetzt, wohl hauptsächlich die barbarische und menschenverachtende industrielle Vernichtung der Juden in Konzentrationslagern. Das dies eine der größten humanitären Katastrophen der gesamten Menschheit ist, ist eine Binse, die jedes Schulkind in Deutschland weiß. Aber sind deshalb "NS-Vergleiche immer „absurd und deplatziert"? "Führen sie immer "nur zu einem, nämlich dazu, die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen"? Und "disqualifizier[en sie] sich [immer] von selbst“? Wie Burmann die ewige Bundeskanzlerin Angela Merkel zitiert? Wohl kaum. Im Kern ist das Argument das jeder Nazivergleich automatisch die Menschheitsverbrechen der Nazis relativiert der politisch korrekte Bruder des "unter Hitler war nicht alles schlecht". Während letzteres Argument zwar eindeutig die Judenvernichtung verharmlost, verharmlost das Nazi-Vergleichsverbot alle anderen ebenso, oder etwas weniger menschenverachtenden Praktiken unter Hitler.

Unter Hitler wurden eben nicht nur Juden, Behinderte, Homosexuelle, linke Oppositionelle und andere unliebsame Menschen systematisch vernichtet. Unter Hitler gab es auch eine massive staatliche Überwachung durch Geheimdienste, Blogwarte und Denunzianten, die nicht immer direkt im Konzentrationslager, sondern auch in Flucht, Berufsverboten und Gefängnistrafen endete. Und diese, etwas weniger menschenverachtenden Praxis, ist heute bereits Realität.

Wenn es ausreicht, "wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gefährder einen Anschlag begehen könnte" um durch eine elektronische Fussfessel überwacht zu werden,

Wenn die EU-Aussengrenzen auch auf Geheiß der Bundesregierung so dicht gemacht werden, dass jedes Jahr mehre tausend Flüchtlinge im Meer ertrinken,

Wenn Thomas de Maizière das Vereinsrecht missbraucht um eine Internetseite zu sperren,

Wenn Thomas de Maizière eine flächendeckende biometrische Videoüberwachung aller in Deutschland für wünschenswert hält,

Wenn es für Thomas de Maizière schon ausreicht auf einer Demonstration nur in der Nähe von Flaschenwürfen zu sein, um in Zukunft verhaftet zu werden,

und wenn es für ihn, wie hier, schon ausreichen soll Sympathie mit linksunten.indymedia zu bekunden um bestraft zu werden, dann muss ich nicht erst einen Blick auf die AFD werfen um im Nazi-Deutschland den einzig passenden Vergleich zu finden. Vielmehr ist Deutschland nur noch eine Bundestagswahl davon entfernt, dass die CDU, unter Duldung der AFD, dafür sorgt, dass die weniger scheusslichen Nazi-Verbrechen eher harmlos wirken und bereits das Teilen, Verändern und Verbreiten unter meinem oder auch unten seinen eigenen Namen, dieses Artikels ebenso eine Straftat darstellt, wie am Samstag in Freiburg gegen das linksunten.indymedia.org Verbot zu demonstrieren.

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CC BY-NC-ND 4.0 Philipp Adamik 07.09.2017

Dieser Artikel erschien zuerst auf digitalrealism unter dem schöneren, aber ein paar Zeichen zu langen Titel "Unter Hitler war nicht nur die Judenverfolgung schlecht".

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Geschrieben von

Philipp Adamik

Philipp Adamik war wissenschaftlicher Assistent am soziologischen Seminar der Universität Basel. Er ist Herausgeber des Blogs thedigitalisedworld.org.

Philipp Adamik

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