Hito Steyerls „Animal Spirits“: Das Metaverse ist Käse
Kunst Die Videokünstlerin Hito Steyerl steht seit Jahren für herausfordernde Installationskunst. Eine Arbeit, die sie im vergangenen Jahr aus Protest von der Documenta zurückzog. Eine Untersuchung des Metaverse
Was es mit den „Animal Spirits“ (2022) auf sich hat, erklärt im Video der Schauspieler Mark Waschke als John Maynard Keynes
Foto: Courtesy of the Artist, Andrew Kreps Gallery, NY and Esther Schipper, Berlin/Paris/Seoul; Hito Steyerl/VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Eigentlich geht es 1936 los, als John Maynard Keynes den Begriff „Animal Spirits“ prägte. Abseits von Instabilität, die durch Spekulation bedingt ist – so der Ökonom –, gibt es die Instabilität, die die menschliche Natur verursacht. Es geht um Wirtschaft, und Hito Steyerl hat die Videoarbeit im Zentrum ihrer Ausstellung Contemporary Cave Art nach Keynes’ Doktrin benannt. „Der Begriff“, so die Künstlerin, „lässt sich auch auf wirkliche Tiere anwenden und darauf, was Menschen auf sie projizieren. Und das alles trifft sich in der Höhle“ – die wiederum mit ihren Felsmalereien selbst als Proto-Kino gelten kann.
Die Arbeit selbst hat eine lange Geschichte, und wahrscheinlich war deswegen bei der Galerie
gen bei der Galerie Esther Schipper hoch über der Potsdamer Straße in Berlin eine der längsten Schlangen des Gallery Weekend. Denn ursprünglich war die Installation anlässlich der documenta 15 im Kasseler Naturkundemuseum zu sehen, aber die Künstlerin verlangte bald den Abbau: Sie wollte das Versagen der Leitung der Kunstschau im Umgang mit den gezeigten antisemitischen Werken nicht unterstützen. Die Debatte um documenta und Antisemitismus wurde nicht leiser, und irgendwann im August vergangenen Jahres beschloss Steyerl, die Arbeit doch zugänglich zu machen, und zwar in einer ehemaligen Videothek, die von einem ortsansässigen Verein betrieben wird. „Ich zeige meine Arbeit tausendmal lieber in diesem Kasseler Verein als auf der documenta 15“, so zitierte das Magazin Der Spiegel die Künstlerin.Die Arbeit ist laut, sie nervt ein bisschen. Mit ihren labyrinthartig angeordneten Screens in einem dunklen Raum ist sie, um einen etwas ausgeleierten Begriff zu bemühen, immersiv. Von der Decke hängen kugelrunde Glasgefäße, darin Pflanzen, die mit violettem Licht bestrahlt werden: „Das Gehirn der Installation“, sagt die Künstlerin. Die Gefäße wirken auf in Echtzeit generierte Videos von Höhlenmalereien ein, neben den Bildschirmen sind sie die einzige Lichtquelle im Inneren. Auf der Außenseite spielt der Film Animal Spirits, und wer ihn sich ansehen will, muss entweder stehen oder auf grob behauenen Felsbrocken Platz nehmen.Der Film erinnert an den aufgedrehten Stil von Reality-TV. Ein Schafhirte in Nordspanien, der zugleich Influencer ist, tritt auf, wütend über die Menschen aus der Stadt, die nur die Wölfe sehen wollen: „Das ist Disney-Ökologie“, zetert er, „und hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun“. Er möchte am liebsten unsichtbar werden, dabei ist er doch gerade die Brücke zwischen der Welt der Landwirtschaft und dem Digitalen, und vielleicht auch zwischen zwei konkurrierenden Wirtschaftsformen: Agrar- und Aufmerksamkeitsökonomie.John Maynard Keynes – gespielt von Mark Waschke – erklärt die Sache mit den Tiergeistern: Märkte geraten außer Kontrolle, weil Emotionen wie Ehrgeiz oder Angst das Verhalten unvorhersehbar machen, für die es der Ökonomie an genauen Beschreibungsinstrumenten fehlt. Keynes, der für die Volkswirtschaft des starken Staats um die Jahrhundertmitte steht, bevor diverse Ausprägungen von neoklassischer und neoliberaler Theorie zur allgemeingültigen, alternativlosen Doktrin erhoben wurden, sagt, die Geister flöhen vielleicht in den Wald, seien aber bereit, jederzeit zurückzukommen.Die Macht von BildernEigentlich hat Steyerl in Tokio Kinematografie und Regie studiert, war Regieassistentin bei Wim Wenders, bevor sie eigene Dokumentarfilme drehte, darunter einen Episodenfilm zu antisemitischen Gewalttaten in Deutschland nach der Wiedervereinigung. Irgendwann, in den 2000ern, tauchten ihre Filme vermehrt in Kunstausstellungen auf, so wurde der Essayfilm November 2004 auf der Manifesta in San Sebastian uraufgeführt, später waren Filme von ihr auf der documenta zu sehen, als wären Biennalen und Großausstellungen empfänglicher für Steyerls Arbeit, die sich mit der Produktion, der Zirkulation und der Macht von Bildern beschäftigte. Das war zu jener Zeit ein Lieblingsthema des institutionellen Kunstbetriebs.Die Arbeit der 1966 in München geborenen Künstlerin veränderte sich, ihre Filme wurden zu Installationen. Installationskunst, so schrieb die Philosophin Juliane Rebentisch Anfang der 2000er sinngemäß, wirbelt das modernistische Dogma von der autonomen Kunst durcheinander, denn die alte Trennung von ästhetischem Objekt und denkendem Subjekt greift nicht mehr so ganz. Und während bei Steyerl die Filme in eine Umgebung eingebettet werden, explodieren sie auf mehreren Bildschirmen und in den Raum. Steyerl erzählt von einem Finanzanalysten, der zum Mixed-Martial-Arts-Kämpfer wird, nachdem er in der Krise von 2008 seinen Job verloren hat, oder sie legt dar, wie man in einer Welt der totalen Überwachung unsichtbar wird, sie untersucht den Zusammenhang von Videospielen und Militär. Auch inhaltlich expandiert sie. In den vergangenen Jahren befasste sie sich mit den „schalen Versprechen des Metaverse“, wie sie es bei einer Konferenz in New York im März nannte.In Animal Spirits ziehen sich gerenderte Wölfe in dunkle Wälder zurück. Dort stoßen sie auf Höhlen, und in einer drolligen Wendung schlägt einer der Protagonisten des Films ein Metaverse aus Käse vor, eine Blockchain, wo Dezentralisierung und Autonomie auf Milchsäurebakterien und Enzymen basieren. Die Höhlen werden, so Steyerl, zur „Zentralbank für Käse“, und gerade da liegt vielleicht die Pointe in ihrer Installation.