Frieden schaffen mit Waffen?

Irakkrise Können Waffenlieferungen an die kurdischen Streitkräfte im Irak den Vormarsch der Truppen des "Islamischen Staats" stoppen oder gar zum Ende des Krieges beitragen?

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Es wurde viel gemahnt in diesen Tagen. Vor 100 Jahren stürzten sich die europäischen Großmächte im nationalistisch-imperialistischen Größenwahn ins Schlachtengetümmel. Es folgte ein Krieg, wie ihn die Welt bis dahin nicht gesehen hatte, mit einem Ausmaß an Toten, wie man bis dahin bestenfalls aus den Kriegen im China der Ching-Dynastie gekannt hatte. Europas Kolonial-Imperien, allen voran das von Größenwahn und Minderwertigkeitskomplexen getragene Deutsche Reich, sollten sich in den kommenden Jahren gegenseitig zermürben. Das alte Europa der feudal-kapitalistishen Großmächte hatte seinen Zenith überschritten. Die feudal-absolutistisch strukturierten Imperien Mittel- und Osteuropas fielen auseinander, die bürgerlich-kapitalistischen geprägten Imperien des Westens waren entscheidend geschwächt. Europa – damals ohnehin kaum mehr als eine geographische Bezeichnung – sollte nicht mehr lange den politischen und ökonomischen Nabel der Welt bilden.

Die Spuren des Zeitalters vermeintlicher imperialer Größe Europas sind heute noch überall sichtbar. Man erkennt sie in der postkolonialen Dominanz der Dritte-Welt-Staaten, deren Grenzen zumeist am Reissbrett ohne Rücksicht auf regionale politische Strukturen und sozio-kulturelle Besonderheiten von den Kolonialmächten gezogen wurden. In Afrika kann man das Zerbrechen dieser künstlichen Gebilde seit langem beobachten. Jetzt erleben wir den Zusammenbruch der postkolonialen Strukturen im Nahen Osten, direkt an der Grenze Europas. Die mit Hilfe der alten Kolonialmächte, der USA und der UdSSR errichteten Staatsstrukturen des 20. Jahrhunderts, die über Jahrzehnte mit brutaler Gewalt zerbröseln. Egal ob nun im Gewand des religiösen oder säkularen Staates gewandet, werden sie von sozialen Unruhen erschüttert, brechen auseinander und versinken in einem unendlichen Albtraum von Krieg und Gewalt. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Versinkt der Nahe Osten vollständig im Chaos?

Hat Hamed Abdel Samad Recht mit seiner These, dass die arabischen Staaten aufgrund ihres feudalistisch-reaktionären Kultur- und Gesellschaftsmodells nicht in der Lage sind, die sozio-kulturellen Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen, zu meistern. Wird der gesamte Nahe Osten in Chaos und Gewalt versinken? Wird eine gewaltiger Flüchtlingstrom Europa überrollen und den Kontinent ebenfalls ins Chaos stürzen? Oder noch schlimmer, wird die arabisch-islamische Welt sich hinter dem schwarzen Banner der IS vereinigen und zum Sturmangriff auf Europa ansetzen?

Vielleicht sind es Angstphantasien wie diese, die viele Journalisten, Intellektuelle und Politiker zu der Auffassung kommen lassen, man müsste die Streitkräfte der kurdischen Autonomie-Region jetzt schnell mit schweren Waffen beliefern, damit der IS endlich besiegt werden kann. Ohne Zweifel wäre der Untergang des IS ein Segen für die kriegsgeplagte Region. Aber die Bellizisten in Deutschland machen es sich wie immer zu einfach. Sie hoffen, das die Kurden stellvertrend für den kriegsmüden Westen all die Problem des Nahen Ostens mit militärischer Gewalt lösen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch dank dessen tatkräftigem Einwirken dort aufgetürmt haben.

Zumindest kann diesen Ängsten entgegen gehalten werden, dass sicher weder die türkische noch saudische oder gar die iranische Regierung den Machtanspruch des neuen „Kalifen“ al Baghdadi akzeptieren werden. Von den Kurden ganz zu Schweigen. Aber auch die anderen islamistischen Rebellengruppen weisen den Anspruch der IS zurück und liefern sich mit dieser weiterhin blutige Kämpfe. Im Moment handelt es sich beim IS noch um eine – allerdings sehr gut organisierte – Organisation von politischen Abenteurern und Hasadeuren, die von der Zerstrittenheit und inneren Schwäche ihrer Gegner profitieren. Sie sind Einäugige unter Blinden.

Es bleibt zu zweifeln, dass sie bei wachsendem Erfolg weiterhin so großzügig Unterstützung aus der arabischen Halbinsel erhalten, wenn sie sie bestehenden politischen Machtverhältnisse dort ernsthaft in Frage stellen sollten. Im Moment aber können sie sich über mangelnde Unterstützung aus Saudi-Arabien und Katar nicht beklagen. In der Türkei kann der IS unbelligt agieren, allerdings dürften es sich die Islamisten durch die Geiselnahme türkischer Staatsbürger auf lange Sicht selbst mit der Regierung Erdogan verscherzt haben.

Der Aufstieg der IS ist die direkte Folge der us-amerikanischen Politik

Nur infolge der katastrophalen US-Politik unter George W. Bush konnten sich die islamisten im Zweistromland überhaupt festsetzen und die Unterdrückung der Sunniten unter der Regierung Al-Maliki für ihre Zwecke instrumentalisieren. Sie ist aber auch so stark, weil sie jede Menge westliche Waffen hat, die aus ähnlichen Gründen, wie sie jetzt von allen Seiten vogetragen werden, in den Irak geliefert worden sind. Und Niemand kann gegenwärtig garantieren, dass neue Waffenlieferungen wirklich bei den Peschmerga ankommen. Denn schon jetzt verlangt die Regierung in Bagdad, bei den Waffenlieferungen nicht übergangen zu werden. Übrigen erhielten die kurdischen Streitkräfte bereits seit 2003 moderne Ausrüstung. Es ist daher falsch zu behauupten, sie kämpften allein mit sowjetischen Waffen. Weitere Waffenlieferungen dürften auch den Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden nützen und sie würden auch der PKK zu Gute kommen, die im Kampf gegen IS eng mit den Peschmerga kooperiert und einen wichtigen Beitrag zur Rettung der Jesiden geleistet hat.

Man sollte daher nicht vergessen, dass die kurdischen Politiker im Irak mit den Waffenlieferungen ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Selbstverständlich wollen sie damit den IS auf Distanz halten. Aber es ist davon auszugehen, dass sie nach dessen Zerschlagung diese Waffen auch nutzen werden, um die von ihnen in den vergangenen Monaten eingenommenen Positionen außerhalb des kurdischen Autonomiegebietes zu behaupten. Insbesondere die Region um Kirkuk mit ihren ergiebigen Ölfeldern dürfte ein neuer Konfliktherd zwischen den hochgerüsteten Konfliktparteien werden. Nicht vergessen sollte auch, dass die Bundesregierung bisher weder die Kurden in Syrien noch in Irak in nennenswerter Weise unterstützte. Obwohl die Islamisten in Syrien schon viel länger mit brutaler Gewalt gegen die Kurden vorgehen, die aber ebenfalls keine Engel sind.

Es herrscht in der Region kein Mangel an Waffen, sondern ein eklatanter Mangel an Verantwortungsbewusstsein in der herrschenden politischen und ökonomischen Klasse. Diese hat die Länder in Nahost mit dem Segen der führen Industrienationen dermaßen heruntergewirtschaftet, dass diese nun eins nach dem anderen kollabieren, mit allen dazu gehörigen Folgen. Es wird viel Blut fließen, bis alle Konflikte bereinigt sind. Westliche Waffenlieferungen ändern daran gar nichts. Es steht zu befürchten, dass hier Dinge ins Rollen gekommen sind, die von außen nicht mehr gesteuert werden können. Außer vielleicht durch einen Ölboykott gegen Länder der arabischen Halbinsel? Ein schöner, aber wohl unrealistischer Traum, da die moderne Welt nach wie vor vom schwarzen Gold abhängig ist, wovon der IS, der inzwischen auch einige Raffinierien kontrolliert, ebenfalls profitiert. So kann das Blut im Nahen Osten noch so sehr fließen, der Fluss der Öls bleibt davon beinahe unberührt.

Die Lieferung von Waffen in die Region mag den Vormarsch der IS stoppen und kurzfristig die Situation im Nahen Osten entschärfen. Für Überwindung der Gewalt in der Region aber müssen die dortigen gesellschaftlichen Kräfte eine gemeinsame Lösung finden. Ohne die Lösung der gewaltigen sozialen Probleme in den Ländern der arabisch-islamischen Welt wird der Islamismus kaum zu überwinden sein. Ebenso sind entschiedene Sanktionen gegen Saudi-Arabien, Katar sowie gegen Stiftungen, Unternehmen und Personen notwendig, die die islamistischen Gruppen ideologisch, logistisch und finanziell unterstützen. Aber da es sich um die engsten Verbündete der westlichen Welt handel und die gegenseitige ökonomische Verneutzung zu groß ist, dürften derartige Schritte fürs erste wohl eine Illusion bleiben.

Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges scheint eine Welt frei von Krieg und gewalttätigen Konflikten unrealistischer denn je. Die Waffenindustrie wird's freuen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philipp Schaab

Studierte Religionswissenschaft, Geschichte und etwas Geographie in Heidelberg und Krakau. Schreibt über Religionen, Geschichte u. a. schöne Dinge.

Philipp Schaab

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