"Verbote wirken als Beschleuniger"

Tierversuche Seit 2013 werden Kosmetika nicht mehr an Tieren getestet. Das Verbot sollte auch für Haushaltsprodukte gelten, fordert die Tierschützerin Christiane Baumgartl-Simons
Das Sein verstimmt das Bewusstsein - auch bei Tieren
Das Sein verstimmt das Bewusstsein - auch bei Tieren

Foto: Peter McDiarmid/Getty Images

Der Freitag: Frau Baumgartl-Simons, am Sonntag ist Welttierschutztag. Als stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands "Menschen für Tierrechte" fordern Sie ein Verbot von Tierversuchen für Haushaltsprodukte – dabei wissen Sie nicht genau, wie viele Tiere betroffen sind. Wieso dann ein Verbot ins Blaue hinein?

Das wird nicht statistisch erfasst. Aber wir wissen zum Beispiel, dass alleine 280 Tiere für den Test eines einzigen Anti-Schimmel-Sprays sterben mussten. Unser Ziel ist, dass tierversuchsfreie Verfahren entwickelt werden. Ein Verbot kann helfen, den dafür nötigen Druck erzeugen. Die EU hat 2013 Kosmetika verboten, die an Tieren getestet wurden. Danach hat sich die Zahl der Verfahren, die Tierversuche ersetzen, innerhalb von zwei Jahren verdoppelt.

Oft gibt es kein klaren Trennlinie zwischen Inhaltsstoffen, die für Medizin, Kosmetika oder eben auch Haushaltsprodukte untersucht werden. Man könnte ja bestimmte Inhaltsstoffe für die Medizin an Tieren testen, diese Stoffe dann aber für Haushaltprodukte benutzen.

Das ist richtig. Deshalb ist es wichtig, dass auch ein Vermarktungsverbot eingeführt wird. Haushaltsprodukte mit Inhaltsstoffen, die im Tierversuch getestet wurden, dürfen gar nicht erst auf den Markt kommen. Sonst können Produkte mit Inhaltsstoffen aus Tierversuchen auch importiert werden.

Auf lange Sicht wollen Sie Tierversuche ganz abschaffen. Ist das realistisch?

Ja. Je weiter die Verbote gehen, desto mehr wird die Industrie investieren, um neue Verfahren zu entwickeln und einzuführen. Das ist auch ein Gebot der EU-Tierversuchsrichtlinie. Die definiert rechtlich, dass es das Ziel ist, alle Tierversuche zu beenden. Das ist vorher noch nie in dieser Deutlichkeit in einer Rechtsvorschrift formuliert worden.

Tierversuche sind teuer und aufwendig. Warum sollten Wissenschaftler und Industrie nicht ohnehin daran interessiert sein, andere Verfahren zu entwickeln?

Die Industrie ist an den neuen Methoden sehr interessiert. Aber sie steht meistens unter Zeitdruck, ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Deshalb greift sie zu den üblichen Verfahren, zumal diese von Prüfvorschriften solange vorgeschrieben sind, bis es einen tierversuchsfreien Test gibt. Die Entwicklung neuer Tests dauert lange und kostet Geld.

Nobelpreisträger wie Françoise Barré-Sinoussi und May-Britt Moser setzen sich dafür ein, Tierversuche zu erhalten. Die sagen zum Beispiel, man könne das Gehirn mit alternativen Verfahren nicht erforschen. Wären die momentanen Fortschritte in der Wissenschaft und Medizin ohne Tierversuche überhaupt möglich?

Die jetzigen Entwicklungen zeigen, dass die neuen Verfahren leistungsstark sind. Die Entwicklungen passieren natürlich schrittweise. Organe wie Leber, Niere, Darm oder Haut auf einem Chip nachzustellen, hat man noch im Jahr 2010 für undenkbar gehalten. Heute wird damit gearbeitet, sogar in der Industrie. Generell gilt: Verbote wirken als Beschleuniger und machen Druck, sich über andere Wege Gedanken zu machen. Das gilt auch für die Erforschung des Gehirns.

Glauben Sie, dass Ihre Forderung Erfolg haben wird?

Das denke ich schon. Wir haben ja bei den Kosmetika gelernt, dass es machbar ist. Also werden wir das auch für Haushaltsprodukte schaffen. Die Industrie ist schon wachgerüttelt. Sie wird weiter in neue Verfahren investieren müssen.

Christiane Baumgartl-Simons ist Tierärztin und stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands der Tierversuchsgegner.

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Geschrieben von

Pia Rauschenberger

lebt in Berlin. Schreibt in Berlin. Und über die Welt.

Pia Rauschenberger

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