Eine neue Kriegsgesellschaft

Ossietzky - Ausgabe 19 / Für das beginnende 21. Jahrhundert muss Kant umformuliert werden: Aufklärung ist der Aufbruch des Menschen in seine selbstverschuldete Unmenschlichkeit. (Ulrich Schacht)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Strategien zur Gewöhnung an Krieg (Georg Rammer)
daraus:
Die Bundesregierung steht also vor einem Problem: Wie kann sie erreichen, dass ihre bisher von der Mehrheit abgelehnten Ziele künftig nicht nur toleriert, sondern geradezu eingefordert werden? (...)
Und man ist auf gutem Weg. Die Zauberworte der Spin-Doktoren lauten Nudging, Framing, Testing the Limits. Kurz: Manipulation. (...)
1. Stelle eine positive emotionale Assoziation zum Militär her!
2. Schaffe personalisierte Feindbilder!
3. Provoziere den »Feind«!
4. Schaffe und nutze Ressentiments in der Bevölkerung für deine Zwecke!
5. Schaffe symbolträchtige Situationen!
6. Vor allem aber: Nutze Katastrophen, um deinen Zielen näherzukommen!
7. Rede von Frieden und Sicherheit, wenn du den Krieg vorbereitest (in Abwandlung des klassischen Grundsatzes »Si vis pacem, para bellum!«, »Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor«)!
8. Schließlich die gute alte Ablenkung (lässt sich selbst in der FC gut beobachten).
----------------------------------------------------------------------------------------

Die Vernunft und ihre Tochter Wahrheit (Günter Buhlke)
daraus:
Die Vernunft und die Wahrheit sind auch in Deutschland rare Wesen. Machtpolitiker pflegen zu wenig Umgang mit beiden. (...)
Es mangelt an friedensstärkenden Gesetzesregelungen. Bürgerliche Politiker und Medien beeilen sich zu erwähnen, dass sich die Teilnahme an den Konflikten im Rahmen des Rechts bewege. Keine der mehrheitstragenden bürgerlichen Parteien fordert hingegen, Gesetze zu ändern oder konsequent anzuwenden, um der Vernunft (Wahrheit!) Geltung zu verschaffen.
----------------------------------------------------------------------------------------

Und willst du nicht mein Bruder sein (Ralph Hartmann)
daraus:
Dieser Prozess der Einladung der Nordatlantischen Allianz (Ostländer) sei, so die Kanzlerin, nicht beendet: »Wir schlagen die Tür nicht zu.« Ja, wenn es das »Recht der freien Bündniswahl« nicht gäbe! (...)
Fazit: Die NATO-Oberen wollten keine Ausdehnung des Friedenspaktes bis an die Grenzen Russlands. Aber was sollten sie denn tun, wenn souveräne Staaten von ihrem »Recht der freien Bündniswahl« Gebrauch machten und um Aufnahme ersuchten? Sie wurden gewissermaßen gezwungen, dem Bitten nachzugeben. (...)
Aber was soll’s? Die Strategen in Brüssel, Washington und Berlin finden andere Wege, um ihrem Ziel näherzukommen. Sie machten einfach deutlich, dass ohne einen NATO-Beitritt eine Aufnahme in die EU, ein sehnlicher Wunsch Belgrads, schwerlich denkbar sei. Nolens volens ließ sich die serbische Regierung auf einen faulen Kompromiss ein und unterzeichnete mit der NATO einen sogenannten Individuellen Partnerschaftsaktionsplan (IPAP), den die Skupština Mitte Februar des Jahres ratifizierte. Danach erhält die NATO Nutzungsrechte an der militärischen Infrastruktur Serbiens. Das gilt für alle Armeeobjekte, für jede Kaserne auf serbischem Territorium. Mit anderen Worten: Der Kriegspakt erhält das Recht, zeitweilig in beliebigen militärischen Einrichtungen in Serbien militärische Einheiten zu stationieren, wobei deren Angehörige diplomatische Immunität genießen. (...)
Was jetzt in dem »Partnerschaftsaktionsplan« vereinbart wurde, entspricht in wesentlichen Teilen dem Ultimatum, das die NATO am 17. März 1999 in den Verhandlungen von Rambouillet Belgrad stellte.
----------------------------------------------------------------------------------------

Die leise Stimme des Intellekts (Wolfgang Beutin)
daraus:
Entscheidend nun: Die Verliebtheit in die eigene Nation kann jederzeit selbst die »Unterprivilegierten« in einem Lande, Teile der Ausgebeuteten und Entrechteten ergreifen. Sie sehen sich eingebettet in die Kultur ihres Landes, deren Überlegenheit ihnen als erwiesen gilt. In seiner Schrift »Die Zukunft einer Illusion« (1927) beschrieb Sigmund Freud diesen Sachverhalt: »Nicht nur die bevorzugten Klassen, welche die Wohltaten dieser Kultur genießen, sondern auch die Unterdrückten können an ihr Anteil haben, indem die Berechtigung, die Außenstehenden zu verachten, sie für die Beeinträchtigung in ihrem eigenen Kreis entschädigt. Man ist zwar ein elender, von Schulden und Kriegsdiensten geplagter Plebejer, aber dafür ist man Römer, hat seinen Anteil an der Aufgabe, andere Nationen zu beherrschen und ihnen Gesetze vorzuschreiben.« Das Resultat des Vorgangs ist dann: die »Identifizierung der Unterdrückten mit der sie beherrschenden und ausbeutenden Klasse«. Übrigens müssen es nicht zu verachtende »Außenstehende« allein sein in dem Sinne, dass sie in anderen Erdteilen zuhause sind oder waren und nun immigrieren; es können auch im Landesinnern Befindliche sein, die von den Herrschenden aber gegenüber den Beherrschten als aus der eigenen Kultur Ausgeschlossene bezeichnet werden (im Faschismus als »Nichtarier«). (...)
Der psychische Mechanismus erweist sich als komplexes Phänomen mit vertrackten Folgen. Es nimmt seinen Ausgang bei dem Narzissmus, der Teile eines Kollektivs ergreift, der in Klassen unterteilten Nation, darunter der unterdrückten Klassen, bis hin zu deren politisch gravierender Identifizierung mit der Klasse der Unterdrücker. Daraus ergibt sich die Verachtung »Außenstehender« (Angehöriger der nicht heimischen Kultur) sogar auch durch Teile der Klasse der Unterdrückten, die nunmehr zur Frontstellung gegen die Immigration neigen – statt gegen ihre eigenen Unterdrücker. Gehen die Herrschenden dazu über, eine Politik der Verachtung »Außenstehender« gegen eine auszutauschen, die in der Sicht der Beherrschten die Flüchtlinge begünstigt, gehen Teile der Unterdrückten in Opposition zur Regierungspolitik. Ihre Frontstellung ist jetzt die doppelte: eine falsche gegen die Migration wie eine falsche gegen die Herrschenden – gegen diese die richtige wäre eine gegen die unsägliche Identifizierung.
----------------------------------------------------------------------------------------

Knüppel aus dem Sack (Kilian Stein)
daraus:
Zum 60. Mal jährten sich dieses Jahr zwei für die Geschichte der Bundesrepublik bedeutsame Ereignisse: das Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 und die Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) am 14. September 1956. Mit dem Verbot hatte die KPD das sogenannte Parteienprivileg verloren. Damit war der Weg für eine breit gestreute politische Repression auf der Grundlage des BEG geebnet. (...)
Eine Berliner Jüdin – ihren Namen kenne ich nicht – verliert 1943 den Schutz der »Mischehe«, als ihr Mann, ein Schuhmacher, wegen seiner Tätigkeit für die KPD verhaftet und ermordet wird. Sie wird nach Auschwitz deportiert. Sie überlebt. Nach dem Krieg tritt sie dem Demokratischen Frauenbund bei und wird dort Kassiererin. Damit verwirkt sie ihren Anspruch auf Entschädigung. (..)
Es (der Bundesgerichtshof) stellte den Grundsatz auf, »dass Opfer und Erfolg objektiv in einem nach allgemeiner Rechtsüberzeugung gebilligten Verhältnis zueinander stehen müssen«. Dies sei im Falle Gs zu verneinen. Es ließe sich nicht erkennen, dass »G. durch die Unterstützung jugoslawischer Partisanen irgendeine Aussicht hatte, die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus zu beeinträchtigen oder den gegenüber dieser Herrschaft bestehenden Widerstand zu stärken«. Deshalb sei es auch nicht zu rechtfertigen gewesen, dass G. »unbeteiligte Soldaten oder Polizeibeamte in Gefahr gebracht habe«.

Eigene Anmerkung:
Für künftige Ansprüche an den Bund gilt es also für den Widerstand (oder halt systemkritische Organisationen) zu beachten, das der Widerstand "irgend eine Aussicht" auf Erfolg haben sollte, dass bei den dann Unterlegenen bei solchen Gerichten keine Aussicht auf Recht verspricht!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden