Liberalismus und Fundamentalismus

Radikale Linke: Slavoj Žižek beschreibt in seinem Essay den Zusammenhang, den er zwischen dem Liberalismus und Fundamentalismus sieht - Ein Teufelskreis zweier Extreme.

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Angestoßen durch den Beitrag von Janto Ban "Alles Scheiße" (und Kommentare), ist mir ein feiner Beitrag von Slavoj Žižek unter die Augen gekommen, der vielleicht ein wenig zur Erhellung beitragen kann, warum es Aufgabe der Linken ist, endlich die "Kurve" zu kriegen, damit die aktuelle Zuspitzung die Richtung nehmen kann, wie wir es in Jantos Beitrag thematisiert haben. Und "Linke" sind für mich alle, die die gegenwärtige Entwicklung der sich entsolidarisierenden Gesellschaft als Skandal empfinden, den ich als "politische Aufkündigung des sozialen Konsenses" bezeichnen möchte.

Der Beitrag ist von der WOZ unter dem Titel "Verunsicherte Fundamentalisten" veröffentlicht worden. (Aus dem Englischen von Florian Keller.)

Bevor ich darauf noch weiter eingehe, einige Zitate von Žižek selbst:

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"Es mag scheinen, dass die Spaltung zwischen der freizügigen Ersten Welt und der fundamentalistischen Reaktion dagegen mehr und mehr entlang dieses Gegensatzes verläuft: zwischen einem langen, erfüllten Leben voller materiellem und kulturellem Reichtum und jenen, die ihr Leben einer transzendenten Sache widmen. Ist das nicht genau der Antagonismus zwischen dem, was Nietzsche «passiven» und «aktiven» Nihilismus nannte? Wir im Westen sind die nietzscheanischen letzten Menschen, versunken in unsere blöden alltäglichen Lüstchen, während die radikalen MuslimInnen bereit sind, alles aufs Spiel zu setzen und ihren Kampf bis zur Selbstzerstörung zu führen. William Butler Yeats’ Gedicht «Second Coming» scheint unser gegenwärtiges Dilemma genau auf den Punkt zu bringen: «Die Besten sind des Zweifels voll, die Ärgsten / Sind von der Kraft der Leidenschaft erfüllt.» Das ist eine hervorragende Beschreibung der heutigen Spaltung zwischen blutleeren Liberalen und leidenschaftlichen Fundamentalisten. «Die Besten» sind nicht mehr fähig, sich voll einzusetzen, während «die Ärgsten» sich in rassistischem, religiösem, sexistischem Fanatismus ergehen."

"Genau hier zeigt sich, dass Yeats’ Diagnose unserem heutigen Dilemma nicht gerecht wird: Die Kraft der Leidenschaft dieser Terroristen zeugt von einem Mangel an echter Überzeugung. Wie fragil muss der Glaube eines Muslims sein, wenn er sich von einer dummen Karikatur in einer satirischen Zeitschrift bedroht fühlt?"

"Die jüngsten Wechselfälle des islamischen Fundamentalismus bestätigen Walter Benjamins alte Erkenntnis, dass jeder Aufstieg des Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeuge: Der Aufstieg des Faschismus ist das Scheitern der Linken, aber gleichzeitig auch ein Beweis dafür, dass es ein revolutionäres Potenzial gegeben hat, eine Unzufriedenheit, die die Linke nicht zu mobilisieren vermochte."

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Das letzte Zitat aufgreifend, sind wir im Thema der falsch laufenden Proteste (Pegida). Das Zeitfenster hat sich für mich noch nicht geschlossen, um das Potential der Unzufriedenen (abgesehen von den Faschos) aufzugreifen und mit den konkreten Themen zu verbinden, für die es gilt, in großer Zahl auf die Straße zu gehen. Dann wird sich auch das "falsche Thema" Islamismus (nicht Islam in der Gänze), als untergeordnetes Thema erweisen (einordnen lassen).

Slavoj Žižek, geboren 1949, ist Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker. Er lehrt Philosophie an der Universität von Ljubljana in Slowenien und an der European Graduate School in Saas-Fee und ist derzeit International Director am Birkbeck Institute for the Humanities in London. Seine zahlreichen Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt.
Vom slowenischen Philosophen und Kulturtheoretiker Slavoj Zizek (65) sind zuletzt erschienen: «Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus» (Suhrkamp) und «Absolute Recoil: Towards a New Foundation of Dialectical Materialism» (Verso).

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