Als Recklinghausen I fiel

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Zeiten meiner Kindheit waren die Zeiten in denen noch so viele Fördertürme im Ruhrgebiet standen.

Die Fördertürme standen da schon seit den Zeiten des letzten deutschen Kaisers, als das Wort Sozialdemokrat nach für was Anderes stand als heute. Es waren andere 'Zeiten gewesen. Von den Besitzern der Kohlegruben hatte es viel Druck gegeben und Solidarität war das Zauberwort für das Überleben der Arbeiter gewesen. Mit der Zeit war es besser geworden. Das Verbot der sozialdemokratischen Partei war aufgehoben worden und die Angst des Fürsten Bismarck vor den Sozis hatte schon vorher zu Sozialreformen geführt. Eine Rente war eingeführt worden, deren erste Bezieher nie lange was davon gehabt hatten.

Wenn das Arbeitsleben vorbei gewesen war hatte es oft nicht mehr als ein bis zwei Jahre gedauert bis der Sensenmann kam und die Kumpels zu ihrer letzten Fahrt nach unten abholte.

Die armen Frauen der Bergleute, die aus sehr wenig das Beste machen mussten, Kumpels traf es oft schon im Kindbett.

Viele Fehlgeburten hatten sie und danach standen sie manchmal gar nicht mehr auf.

Das Kind , dass ich war, wußte nichts von all dem.

Es starrte nur auf den langen gemauerten Schlot von Recklinghausen I.

Es war noch nicht lange her als meine Eltern mit meinen beiden Geschwistern nach Hochlarmark umgezogen waren. An der Ecke zur Hochlarmarkstrasse standen noch alte graue Häuder aus der Gründerzeit. Die wurden jetzt abgerissen. Die Arbeiter die den Abbrauch vornahmen, hatten alte Bierflaschen , die wohl auch noch aus uralter Zeit stammten, gefunden. Da sprach die ganze Siedlung von.

Meine Familie lebte mit mir in einem Neubau, aber viele von den Nachbarsfamilien lebten noch vom Bergbau in den Zechensiedlungen, die streng hierarchisch aufgebaut gewesen waren. Die Häuder der "besseren Leute" waren die steigerhäuser. Die befanden sich zumeist in unmittelbarer Nähe der Zeche oder in "besseren" Strassen etwa direkt an der Kirche, in der ich dann später auch konformiert wurde.

Rechklinghausen II förderte noch trotz allem.

Oft spielte ich mit Kameraden aus der Schule an den 'Zechenanlagen. Das war gefährlich, hatte aber auch den Reiz des Verbotenen.

Das letzt Jahrzehnt in dem die Dampflokomotiven noch volle Pulle ihre schweren Lasten zogen, war angebrochen.

Die Erde bebte am Recklinghäuser Südbahnhof wenn sie mit vollem Karacho die Schienen Richtung Haltern oder Richtung Wanne-Eickel lagfuhren.

Die Schranke am Recklinghäuser Südbahnhof nannten die Einwohner die "Glück auf"-Schranke.

Das war eine ironische Anspielung auf den gleichlautenden Bergmannsgruß gewesen. Man hatte Glück wenn man die Gleise überquerte und wenn die "Glück auf"-Schranke auf war.

Es war die Zeit als die Karriere der Beatles so langsam ihrem Zenit entgegen strebte.

Schwimmen gegangen wurde im Rhein-Herne Kanal, immer an den Bahngleisen lang.

Da fuhren die Binnenschiffe oft schwer mit der Kohle des Ruhrgebiets beladen lang.

Eine riesige Eisengbahnbrücke gab es da.

Die hatte sehr hohe Träger die bestimmt zehn Meter hoch gingen.

Ich saß da oft mit meinen Geschwistern oder mit meiner Mutter am Kanal und beobachtete wie Kinder mit mehr Selbstvertrauen als ich es hatte, versuchten auf die Binnenschiffe zu klettern. Das war sehr gefährlich und die Binnenschiffer sahen das nicht gern. Manchmal spritzten die Bootsmatrosen ihrer ungebetenen Gäste mit dem Wasserschlauch vom Boot. Meinen Kunpels, die sich was trauten, ging es vor allem umn die Bugwelle der Binnenschiffe. Es musste wohl angenehm sein sich von ihnben mit tragen zu lassen. Ich nahm diese Erfahrungen nur in Ufernähe wahr und da fand ich es auch schon gut.

Die ganz mutigen Kumpels kletterten das hohe tragende Geländer der Eisenbahnbrücke hoch und sprangen dann von ganz oben runter.

Das waren dann die Helden in irca fünfzehn Meter Höhe.

Zu denen hatte ich nie gehört.

Alle Badenden am Ufer des Kanals guckten dann zu den Helden hoch und bewunderte ihre Sprünge in die Mitte des Rhein-Herne-Kanals.

Die ganz Mutigen machten sogar einen Kopfsprung oder Köpper, wie wir dazu sagten.

Bei manchen wurde es auch ziemlich schmerzhafte Bauchplatscher. So nannten wir es, wenn sie mit dem Bauch zuerst ins Wasser fielen.

Die hatten dann unser Mitleid gehabt. An den Ufern des Rhein-Herne-Kanals wuchsen damals an dieser Stelle viele Bromberrsträucher und vor allem Himbeersträucher.

Im Spätsommer konnte man dann immer leckere Früchte naschen.

Meine Schwester ging schon in die Recklinghäuser Vestlandhalle und hörte Beatmusik, die dort von kleineren Bands noch oft live gespielt wurde. Die Discowelle war noch nicht angebrochen.

Irgendwann in dieser Zeit fiel der lange Schlot der ehemaligen Zeche Rechlinghausen I in dern Nähe vom Recklinghäuser Südbahnhof.

http://www.der-foerderturm.de/images/dg/gerue1.jpg

Ich kann mich nicht mehr darin erinnen, den Schornstein fallen gesehen zu haben, aber auf jeden Fall fiel mit den Backsteinen des großen Kamins von Recklinghausen nicht nur ein Schornstein, es war ein Stück Ruhrgebietsgeschichte, was uns allen damals überhaupt nicht bewusst gewesen war.

Immerhin hat man nicht direkt alle Bauwerke von Recklinghausen I umgelegt. Die alte Waschkaue, als das Gebäude, in dem sich die Bergleute füher umgezogen haben, beherbergt mittlerweile schon seit Jahrzehnten einen großen Textilienfachhandel.

Der Kauenbereich war immer in eine Schwarz und eine Weißkaue getrennt.

In der Weißkaue wurden die Strassenssachen ausgezogen und dann gingen die Bergleute undbekleidet in die Schwarzkaue und zogen ihre Körbe mit Ihrer Arbeitskleidung von der Decke runter und zogen als Vorbereitung für die Einfahrt in die Grube an.

In der Schwarzkaue war alles dreckig von der Kohle und der Kauenwart hatte immer viel mit der Reinigung zu tun.

Nach der Schicht , wenn die Bergleute total verschmutzt von der Grube wieder ans Tageslicht kamen ging es umgegekehrt.

Sie zogen sich in der Schwartzkaue komplett aus, dann ab in die Dusche, was zum Teil riesige Räume mit fünfzig oder mehr Duschen waren und dann ging es wieder strassentauglich in die Weisskaue zum Anlegen der Strassenkleidung.

Heute nach etlichen Jahrzehnten zum Teilk erfolgreichen Strukturwandels ist man im Ruhrgebiet sehr froh darüber, dass man diese alte Industriearchitektur noch hat.

Die Zeche Zollverein mit Ihrem Baushausstil "aus einem Guß" in Essen-Katernberg ist sogar ein Weltkulturerbe der UNESCO geworden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

poor on ruhr

Vielseitiger interessierter Arbeiter und ziemlich stark in die in die in aller Welt bekannten Pandabären vernarrt. 🐼

poor on ruhr

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden