Hinter der Sprachlosigkeit

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War er doch so sprachlos gewesen und stumm.

Es zogen die Geräusche des Fernsehers an sein Ohr, doch berührten sie ihn nicht wirklich.

Eine verpanzerte Kruste von Schwermut lag über dem Jan.

Keine Gedanken. Nichts, was wirklich wichtig erscheint.

Versuche aufzustehen gelingen ohne, dass sich im Kopf etwas rührt.

In der Wohnung setzen sich die Bewegungen der Alltagsroutine fort.

Die wichtigsten Sachen werden von ihm erledigt. Dann wieder hinlegen und wieder versuchen zu denken, was wiederum nicht gelingen will.

Versuche die Kruste um sich herum auf zu pieksen und aus dem kalten Wasser aufzutauchen.

Das kalte Wasser von Eis überzogen.

Nur alle paar Kilometer ein Loch und Jan setzt an, wieder aufzutauchen.

Die Sehnsucht nach dem blaugoldenen Winterhimmel treibt ihn vorran und die Angst vor dem nach seinem Fleisch gierendem Eisbär an der Oberfläche hält ihn zurück.

Jan erwacht aus seinem Tagtraum auf seinem Bett und taucht wieder unter in die Sprachlosigkeit unter seiner Eiskruste und doch steckt hinter dieser Sprachlosigkeit die ganze Routine seines Alltags.

Die vielen Handgriffe auf seiner Arbeit , die er gerne macht und ihm Halt in seinem Leben geben.

Eine Sprachlosigkeit hinter der sein ganzes Leben steckt.

Die Versuche immer wieder aufzutauchen, in der Natur der Umgebung das Schöne zu finden und der Seele damit neue Kraft zu geben.

Die Angst sich den Engeln von der anderen Seite zu nähern, die doch eigentlich nur Frauen sind und auf volles Risiko zu gehen.

Gefühle zu gestehen und Liebe zu wagen.

Die Zeit ist vergangen und mittlerweile ist er ein älterer Mann geworden.

Die letzte Liebe war in einer anderen Zeit als er noch voller Hoffnung gewesen war.

Hinter seiner Sprachlosigkeit liegt auch ein Leben , dass doch ziemlich anders und nicht so wie es sich der Jan gewünscht hatte, verlaufen ist.

Damit kann sich der Jan abfinden, auch wenn so manche in Frankreich mit einer vergleichbaren Biograhie wahrscheinlich zum Berufsrevolutionär geworden wären.

Doch dafür war der Jan einfach nicht der Typ.

Hinter der Sprachlosigkeit gab es die Menschen, die nicht mehr waren.

Darunter eine, die ihn wirklich geliebt hatte, die aber an ihren eigenen Erwartungen und am Leben zerbrochen war.

Im Laufe der Jahre blieb die, die nicht mehr war, dem Jan oft wochenlang fern, doch dann besuchte sie ihn wieder und tauchte mit ihm zusammen ein Stück im kalten Winterwasser unter der weiß und golden schimmernden Eiskruste, bevor sie ihn wieder vo ihm ging oder er sie wieder los lassen konnte.

Auch lebende Menschen gab es hinter der Sprachlosigkeit, sogar Frauen.

So hatte sich der Jan getraut wieder einmal Liebe zu wagen in seiner einsamen Geschichte, nachdem er gemeint hatte, unmissverständliche Signale von so einem sanften Engel zu empfangen.

-Hatte er gemeint und es hatte sich herausgestellt, dass der sanfte Engel eine Frau aus Fleisch und Blut mit ihren eigenen Bedürfnissen und Zielen war.

Das Träumen von der Liebe war so schön gewesen.

Mit allem Respekt den ein Mann gegenüber einer Frau nur haben kann, hatte er von ihr geträumt und ihre Liebe herbei gesehnt.

Ihre Stimme hatte ihn angezogen.

Sie war auf ihn eingegangen.

Doch als Jan anfing ihr eindeutig zu zeigen, wie sehr er sie mag , hatte sie aufeinmal einen bemerkenswerten Mangel an Zeit.

Jan war zu ihr sehr deswegen verständnisvoll, doch das Signal , dass es mit der erträumten Liebe nichts wird, war bei ihm angekommen.

Jan war älter geworden und konnte über sowas nicht mehr richtig weinen.

Nur einmal waren ihm wegen der Sache ein paar Tränen aus dem Auge gelaufen, von denen er nicht genau wusste, ob es ihretwegen war oder ob er was am Auge hatte.

Hinter der Sprachlosigkeit die immer noch währende Empörung über Hartz IV, und seine Zeit in den 1€-Jobs, in denen er einer der ersten gewesen war-ein Quartal noch bevor Hartz IV überhaupt offiziell eingeführt worden war.

Er hatte sich der neuen Zeit nicht entgegengestellt und von Anfang an mitgemacht, doch die Empörung über Hartz IV hatt er sich nicht verbieten lassen wollen und war von Anfang an überall, wo die Gelegenheit dazu dar gewesen war , gegen das, was ihm an der neuen Zeit als sozial ungerecht erschien , mit marschiert um dann wieder in der maschinartigen Welt der Sozialkonzerne mit ihren sicher oft sehr bemühten Mitarbeiterinnen, die ehrlich helfen wollten und ja auch halfen, zu verschwinden.

Sprachlos war der Jan und musste darüber lachen, dass er es gewagt hatte wieder zu lieben.

Das war ein sehr einsames und einseitiges Erlebnis gewesen doch nach einem Jahrzehnt, nachdem er es gar nicht mehr getan hatte, war das trotzdem wunder- schön gewesen.

Er wollte weiter von den Engeln,die doch eigentlich nur Frauen sind, träumen und sicher würde er irgendwann wieder was Neues wagen und auftauchen zu diesem blau goldenen glänzenden Loch an der Oberfläche .

Mochten die Eisbären, die da lauerten und auf sein Fleisch warteten, doch mit ihm machen , was sie wollen.

Ist seine Geschichte doch nur nur eine dieser millionenfach ungeschriebenen Geschichten des Alltags, in dem es vielleicht doch in einem ganz verborgenen Winkel noch eine Liebe geben mochte, die vielleicht auch für ihn bestimmt sein mochte.

-Und wenn nicht, was hatte er denn zu verlieren?

Er musst einfach immer wieder aufstehen, er kann es einfach nicht anders.

Das ist seine Ehre und sein einziger wirklicher Stolz.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

poor on ruhr

Vielseitiger interessierter Arbeiter und ziemlich stark in die in die in aller Welt bekannten Pandabären vernarrt. 🐼

poor on ruhr

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