Früher dachte ich immer noch, dass es sich lohnt für eine politische Richtung zu streiten. Die Sozialdemokratie mit Ihrer langen Tradition hatte es mir jahrzehntelang angetan. Meine Stimme für die Sozis war etwas Selbstverständliches. Das war schon fast so eine Art Herzenssache.
Die SPD hat in Ihrer Regierungsverantwortung unter Schröder Hartz IV und die Agenda 2010 umgesetzt.
Das hat der SPD viele Sympathien gekostet und ich werde sie auch nicht mehr wählen.
Aus direkter Betroffenheit konnte ich damals trotzdem jahrelang kaum sachlich auf Hartz IV reagieren. Trotz meiner Ablehnung machte ich von Anfang unter Hochdruck als Betroffener bei der Agenda 2010 mit und war schon im Oktober 2004 auf freiwilliger Basis im 1 € -Job. Ich machte diese typische Karriere eines arbeitslosen Akademikers in der Betreuung eines Sozialkonzerns. Das war nicht alles schlecht und manches sogar sehr gut.
Ich machte verschiedene Projekte, die das Sozialarbeitsunternehmen im Zusammenarbeit mit dem Job-Center anbot, mit. Dabei traf ich auf Mitarbeiterinnen im Sozialkonzern, die total engagiert waren und weit über das erforderliche Maß versuchten, mir dabei zu helfen wieder ins geordnete Berufsleben reinzukommen. Die Projekte enthielten alle einen großen Praxisteil mit dem Ziel den Teilnehmern den Wiedereintritt in die Berufswelt zu ermöglichen. Nach ca. 3 Jahren klappte es bei mir in einem Bereich sehr weit unter meiner Qualifikation, doch ich war ziemlich glücklich überhaupt einen Job bekommen zu haben,gerade weil ich soviel dafür getan hatte.
So gesehen müsste ich eigentlich ein Vorzeigekandidat und ein Musterbeispiel für die Agenda 2010 und Hartz IV sein.
Ich mag Hartz IV und die größten Teile der Agenda 2010 trotzdem nicht. Viele sagen, dass man mit dieser Beschneidung der Einkünfte bis auf das Existenzminimum zufrieden sein muß, weil alles Andere nicht mehr bezahlbar ist. Sicher war ein Umbau des Sozialsystems notwendig. Die Menschen sind bei der arroganten Schröder´ schen „Basta“ –Umgestaltung aber nicht mitgenommen worden. Der Umbau des deutschen Sozialsystems auf neoliberale Prinzipien wurde im Hauruckverfahren durchgezogen und es wurde hinterher versucht, Hartz IV als sozial ausgewogen zu rechtfertigen, was einfach nicht stimmte. Das damit verbundene Versprechen der halbierten Arbeitslosigkeit wurde auch nicht eingehalten.
Die Lasten der Sozialeinsparungen wurden ganz weit unten aufgesetzt.
Gleiches befürchte ich bei den gegenwärtig noch nicht öffentlich ausgesprochenen aber angedachten sozialen Härten der großen und kleinen Parteien, die nach der Bundestagswahl 2009 wohl kommen werden.
Mein Vertrauen in die Politik ist ziemlich verschwunden.
Ich möchte nicht wieder von einer Partei so verschaukelt werden, wie es mir bei den Bundestagswahlen 1998 und 2002 mit Schröder passiert ist.
Dann wäre wohl die einzige Alternative nicht wählen zu gehen, doch das kommt für mich nicht in Frage. Bei all meinem Jammer, den ich hier geschildert habe, möchte ich meine wirklich superkleine Möglichkeit der Einflußnahme nicht ungenutzt lassen und diese doch so klitzekleine Form der Teilhabe als gedruckten Stimmzettel in der Hand halten, so lange diese Möglichkeit noch besteht.
Ich werde aus Protest „DIE LINKE“ wählen, ohne mir dabei sicher sein zu können, ob sie wirklich alles hält, was sie verspricht oder wenigstens in einer Koalition alles daran setzt, nicht vertretbare soziale Härten abzuwehren, doch die Demokratie sollte dieses überschaubare Risiko drin sein.
Kommentare 14
Du kannst beruhigt die Linke oder die Piraten wählen. Beide Parteien sind ein dicker Stachel im Fleisch der Verursacher des Sozialabbaus, können aber wenig Schaden anrichten. Bei dem daraus resultierenden Wahlergebnis wirst du bestimmt einige SPD-Politiker auf die Reise in Gefilde schicken, die du beschrieben hast. Ich denke kaum, dass es dir um sie leid tun wird.
Lieber Streifzug,
vielen Dank für Deine Ermutigung. Ich glaube, dass ich mich genauso verhalten werde.
por
Hallo poor,
bei dem ganzen Hin und Her der Bewertung der Agenda 2010/Hartz IV geht es doch bei dieser Wahl auch darum, die SPD aus ihrer baylonischen Gefangescaft des "Working poor" um jeden Preis zu befreien.
Das könnte gelingen, wenn endlich von den deutschen Eliten wahrgenommen wird, dass der Exportweltmeister Deutschland mit dieser Art Lohnsubvention über die Hartz IV Gestze bei Aufstockern nach dem Restvermögen vor dem Schonvermögen gegen Bestimmungen der WTO für den Weltarbeitsmarkt verstößt und damit die "Marke" Deutschland auf Sicht mehr als beschädigt!?
Viele Nachbarländer Deutschlands in der EU beklagen schon diese prekäre Praxis Deutschlands am Arbeitsmarkt in Europa, die anderen Länder in der Ferne haben es nur noch nicht bemerkt.
tschüss
JP
poor on ruhr schreibt: "Nach ca. 3 Jahren klappte es bei mir in einem Bereich sehr weit unter meiner Qualifikation, doch ich war ziemlich glücklich überhaupt einen Job bekommen zu haben,gerade weil ich soviel dafür getan hatte."
Ja, so etwas wird dann gern als erfolg der agenda 2010 verkauft, letztendlich die schaffung einer menge jobs im prekären bereich, die nur eines produzieren: neue armut. Und diese politik erwies sich bisher als probates mittel, generell die löhne unter druck zu setzen.
Was die alternativen angeht, so ist für mich eines klar - die linke war und ist die einzige partei im bundestag, die z.b. massiv gegen die hartz IV-gesetze und deren repressionslogik aufgetreten ist, welche andere sollte ich da wählen? Ich wähle diese partei überdies nicht aus protest, sondern weil von ihr einiges zu erwarten ist, nicht nur in hinsicht auf hartz IV. Doch weitreichende veränderungen können sicher nicht im alleingang geschehen, da muß auch "auf der straße" was passieren und beispielsweise bei den gewerkschaften ...
Liebe Jayne,
vielen Dank für den Kommentar. Das mit den Gewerkschaften wäre wirklich toll und das mit der "Straße" stimmt auch. Am Sonntag war ja wieder "Anne Will". Ich habe nicht schlecht gestaunt als der Christian Wulf (CDU) andeutete,dass die Gewekschaften keine Wahlempfehlung augesprochen hätten, weil die CDU sozialpolitisch Etliches gut gemacht hätte. Ich hoffe, dass er,mit seiner Andeutung nicht recht hat. Ich hoffe, dass die Gewerkschaften immer noch irgendwie links stehen und irgendwann doch mit uns auf die Straße gehen. Ich stehe eigentlich auch links und erwarte viel von "DIE LINKE". Ich hoffe sehr, dass sie wirklich auch was bringen.
por
Wulf ist ein lustiger Knilch. Die Gewerkschaften haben keine Wahlempfehlung für die SPD ausgesprochen, weil etliche Gewerkschafter die Linkspartei vorziehen.
Hallo J.P.
vielen Dank für Ihren Kommentar. Das mit der WTO habe ich so nicht gewußt.
Das mit der Befreiung der SPD aus der babylonischen Gefangenschaft des working poor habe ich ehrlich nicht ganz verstanden? Bei aller Bewertung von Agenda 2010/ Hartz IV wünsche ich der SPD natürlich trozdem nicht den Untergang. Es hat aber Gründe, dass sie da steht, wo sie jetzt steht. Trotzdem ist mir klar dass eine linke Alternative in Deutschland ohne die SPD nicht klappen kann. Mit der jetzigen Spitze der Sozis ist das aber leider nicht drin, weil die -in meinen Augen- weiter neoliberale Politik mit einem roten Anstrich machen.
por
Lieber Streifzug,
danke. Genauso sehe ich das nämlich auch, vielleicht mit Ausnahme der Chemiegewerkschaft, deren jetziger
Vorsitzender nichts gegen Hartz IV einzuwenden hat.
por
Hallo por,
das liegt meiner Meinung nach an der Grundproblematik der deutschen Gewerkschaften. Die mussten in der Nachkriegszeit nie wirklich kämpfen sondern bekamen es durch die Systemkonkurrenz und Vorgaben aus den USA nachgeschmissen.
Wiederaufbau der Industrieapparate Deutschlands und Japans waren wesentliche Aspekte des US-amerikanischen Rüstungs-Wohlfahrtstaates im Kalten Krieg.
Das gleiche Grundproblem gilt auch für die SPD.
Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum beide Gruppierungen beim ersten wirklichen Konflikt nach dem Ende der Systemkonkurrenz auf ganzer Linie versagt haben.
Hallo Streifzug,
so habe ich noch nie darüber nachgedacht, aber ich teile Deine Einschätzung wirklich voll und ganz!
Wirklich toll! ;-) Nur warum wird jetzt in der Not auch nicht gekämpft? Na ja, die SPD versucht das ja leidlich im Wahlkampf, aber die Basis der Partei scheint nicht richtig mitzugehen, was ihr auch nicht zu verdenken ist,wenn man sich bei dieser Art der innerparteilichen Demokratie alle 4 Jahre -mit den anderen Wahlen zusammen etwas mehr- an die Nützlichkeit der Basis erinnert.
Die Gewerkschaften versuchen mit ihren Kampagnen für eine Politik , die für die Menschen arbeitet auch dies und das, aber wirklicher Kampf ist etwas Anderes. Der hat in Form von 'Demonstrationen auf der Straße und auch sonst noch außerparlamentarisch stattzufinden, finde ich.
por
Ist das wirklich so mit dem Nachgeschmissen?
War es nicht eher so, daß durch die Systemkonkurrenz Forderungen der Gewerkschaften einfach leichter durchzusetzen waren, auch durch das sogenannte Wirtschaftswunder, als in der Zeit vor dem Krieg. Außerdem sollte man dabei nicht die soziale Rolle von Gewerkschaften und "Arbeiterpartei" vergessen. Die sozialen Gefüge in (ehemaligen) Gewerkschafts-/Parteihochburgen sind andere als in gewerkschaftsfernen Landstrichen. Und diese sozialen Gefüge haben sich sehr verändert in den letzten Jahrzehnten, somit wird sich zwangsläufig auch die Gewerkschaft verändern.
Hallo Titta,
der von Dir beschriebene Wandel im sozialen Gefüge spielt natürlich eine Rolle. Auch die leichtere Durchsetzbarkeit in Zeiten der Systemkonkurrenz ist ebenfalls wichtig. Es ist wohl wirklich so, dass Vieles nicht so leicht zu beantworten ist, wie es auf dem ersten Blick erscheint. Danke für diese nachdenklichen Töne, die mich etwas von den schnellen Antworten zum Nachdenken gebracht haben.
por
Dazu paßt auch eine meldung von gestern, gefunden im nachrichtenblock des dlf: "In Deutschland hat die Zahl der Teilzeit- und Leiharbeitsverhältnisse deutlich zugenommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden sind derzeit rund 22 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohn-Sektor tätig. Im vergangenen Jahr waren es noch 14 Prozent. Diese Arbeitnehmer seien von einem höheren Armutsrisiko bedroht als Normalbeschäftigte."
Liebe jayne,
vielen Dank auch Dir. Es stimmt. Es sind wirklich strukturelle Veränderungen, die auf Dauer auch ganz erheblich die Demokratie in diesem Land bedrohen.
por