Der UN-Zukunftspakt. Kommen die Vereinten Nationen in Bewegung?

Reform der UN Es werden Anfang 2024 im Rahmen der Empfehlungen zum UN-Zukunftspakt Reformvorschläge vorgelegt. Diese werden im Beitrag fokussiert dargestellt und einer Beurteilung unterzogen.

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Der UN-Zukunftspakt. Kommen die Vereinten Nationen in Bewegung?

Im Januar 2024 wurden Empfehlungen eines mit Hunderten von NGOs beratenen und weiter zu entwickelnden UN-Zukunftspakt (Pact for the Future) vorgelegt. Der Zukunftspakt basiert auf den UN-Reformprozessen zu ‚Our Common Agenda‘, der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und den SDG-Nachfolgekonferenzen. Die Ergebnisse und Maßnahmen des UN-Zukunftspakts sollen dann im Jahr 2026 der UN-Generalversammlung vorgestellt und überprüft werden.

Die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse und Namibias Botschafter Neville Gertze haben den Vorbereitungsprozess für den Zukunftspakt maßgeblich vorangetrieben. Im ‚Pact for the Future‘ wird die derzeitige globale Krisensituation als Ausgangspunkt für die erforderlichen Maßnahmen zusammenfassend skizziert:

„We are at a moment of acute global peril. Across our world, people are suffering from the effects of poverty, hunger, inequality, armed conflicts, violence, displacement, terrorism, climate change, disease, and the adverse impacts of technology. Humanity faces a range of potentially catastrophic and existential risks. We are also at a moment of opportunity, where advances in knowledge and technology, properly managed, could deliver a better future for all.“[1]

Hierbei wird die multilaterale Kooperation hinsichtlich u.a. des UN-Sicherheitsrats sowie der weltweitern Finanzarchitektur kritisch betrachtet.

Die Empfehlungen für den Zukunftspakt, der im Spätsommer 2024 von den UN verabschiedet werden sollen, plädiert für einen Neubeginn im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen. Ausgehend von den drei Säulen des UN-Regelungswerkes – Entwicklungs- Friedens- bzw. Sicherheits- sowie Menschenrechtspolitik – werden eine Reihe von eher allgemein gehaltenen Veränderungsvorschlägen über 148 Themenpunkten auf 29 Seiten mit den Schwerpunkten auf der Armutsbekämpfung, der Friedenssicherung und dem Kampf gegen die Klimakrise und die Umweltzerstörung vorgenommen.

Die Forderungen der Empfehlungen zum UN-Zukunftspaktes sind in fünf Themenbereiche gegliedert:


* Sustainable development and financing for development;

* International peace and security;

* Science, technology and innovation and digital cooperation;

* Youth and future generations;

* Transforming global governance;

Es wird u.a. im Punkt 23 die Ernsthaftigkeit der Situation angemessen formuliert:

„We remain resolved, between now and 2030, to end poverty in all its forms and dimensions and hunger, everywhere, as a priority. We recognize our responsibility to ensure the lasting protection of the planet and its natural resources and that we may be the last generation to have a chance of saving the planet.“[2]

Es werden nun die Klimaziele der Pariser Klimakonferenz, inklusive des bereits in 2023 wohl überschrittenen 1,5-Grad-Zieles sowie des Ziels der Netto-Null-Emissionen bis 2050, übernommen und insbesondere der Aspekt der Klimagerechtigkeit mit dem Blick auf die Entwicklungsländer fokussiert. Hierbei wird allerdings im Punkt 45 sehr allgemein, also ohne konkrete Verursacher zu benennen, daran erinnert, einseitige und aus nationalem Interesse gesteuerte Maßnahmen ökonomischer Protektion zu unterlassen, welche die sozialökologische Entwicklung der ärmeren Länder behindern könnten.

Im Mittelpunkt der Friedens- und Sicherheitspolitik der Empfehlungen des Zukunftspakts stehen zwar richtige, doch weitgehend sehr allgemein gehaltene Formulierungen, wie z.B. im Punkt 50:

„We recognize the interdependence of international peace and security, sustainable development and human rights. We reaffirm the need to build peaceful, just and inclusive societies that provide equal access to justice and are based on human rights, the rule of law and good governance at all levels and on transparent, effective and accountable institutions. In this regard, we recognize the importance of fostering a culture of peace, upholding the rule of law and promoting human security.“[3]

Konkret wird die Halbierung aller weltweit auftretenden Gewaltfälle bis 2030 gefordert. Auch die Beteiligung von Frauen an allen Entscheidungen zur Durchsetzung von Frieden und Sicherheit sowie der Schutz von Zivilisten und insbesondere von Jugendlichen und Kindern in umkämpften Gebieten werden gefordert. Die Durchsetzungsmaßnahmen hierfür bleiben aber vage.

Richtig wird endlich der Zusammenhang zwischen der Klimaentwicklung und gewalttätigen Auseinandersetzungen im Punkt 69 angesprochen:

„We recognize that climate impacts can multiply risks that fuel conflict. We encourage the relevant organs of the United Nations, as appropriate and within their respective mandates, to intensify their efforts in considering and addressing climate change, including its possible security implications. We urge the Security Council to address the peace and security implications of climate change in the mandates of peace operations and during discussions on other country or regional situations on its agenda, where relevant.“[4]

Allerdings wird die umwelt- und klimazerstörende Wirkung des Militärs sowohl in Friedens- als auch Kriegszeiten nicht thematisiert. Da hierzu inzwischen genügend aussagekräftige Statistiken vorliegen, hätte dies an dieser Stelle sehr konkret benannt werden können. So bleiben in den Empfehlungen zum UN-Zukunftspakt die ökologischen Auswirkungen der Militarisierung der Welt ein blinder Fleck.

Es wird sich deutlich für die Weiterentwicklung und bessere Finanzierung von Peace-Keeping, Peace-Building sowie Enforcement Action, um die internationale Sicherheit auf der Grundlage des Kap VII der UN-Charta durchzusetzen, ausgesprochen, ohne allerdings hier konkrete und relevante finanzpolitische Instrumente zu benennen.

Es wird eine zukünftige UN-Generalversammlung vorgeschlagen, die sich mit internationalen Abrüstungsfragen befassen solle.

Im Punkt 81 wird sich für die zivile Nutzung der Atomenergie ausgesprochen:

„We reaffirm the inalienable right of all countries to develop research, production and use of nuclear energy for peaceful purposes without discrimination.“[5]

Hierbei wird fahrlässiger Weise versäumt, die Gefahren, die von nuklearen Störfällen ausgehen, sowie die fehlende Entsorgungsmöglichkeit radioaktiven Mülls, zu thematisieren.

Bis zur endgültigen Abschaffung der Atomwaffen werden im Punkt 80 die Atomwaffenstaaten aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um einen Atomkrieg aus Versehen sowie den Einsatz von Atomwaffen in militärischen Konflikten zu verhindern. Des Weiteren werden zusätzliche Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung gefordert. Die Vorschläge bleiben allgemein und verzichten sogar auf eine bewusste Nennung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags.

Hinsichtlich innovativer technologischer Entwicklungsmaßnahmen wird unter einem Sicherheitsaspekt angesprochen, Maßnahmen zu entwickeln, die eine friedliche Nutzung des Weltraums gewährleisten und die Austragung von militärischen Konflikten im Weltraum verhindern. Militärische Bedrohungen von im Weltraum stationierten Systemen sowie ein Wettrüsten im Weltraum müssten über entsprechende Regelungen verhindert werden. Derartige Regeln und Maßnahmen werden allerdings nicht konkretisiert.

Hinsichtlich des zu begrenzenden Einsatzes von KI in Waffensystemen und der Verhinderung von autonomen Waffensystemen finden sich in den Punkten 88 und 89 des vorgeschlagenen Zukunftspaktes hingegen etwas konkretere Formulierungen:

„88. Building on progress made in multilateral negotiations, we commit to concluding without delay a legally binding instrument to prohibit lethal autonomous weapons systems that function without human control or oversight, and which cannot be used in compliance with international humanitarian law, and to regulate all other types of autonomous weapons systems.

89. We commit to strengthening oversight mechanisms for the use of data-driven technology, including artificial intelligence, to support the maintenance of international peace and security. We also commit to developing norms, rules and principles on the design, development and use of military applications of artificial intelligence through a multilateral process, while also ensuring engagement with stakeholders from industry, academia, civil society and other sectors.“[6]

Sehr zurückhaltend wird sich im Punkt 90 geäußert, lediglich Maßnahmen zu erkunden, die sich auf die Anwendung von Biotechnologien insbesondere auch für den Kriegsfall beziehen.

Der Bereich „Science, technology and innovation and digital cooperation“ betont die Nutzung der Wissenschaft und neuerer technologischer Entwicklung zum Wohle der Menschheit, indem hierdurch u.a. ein besseres Einkommen, mehr Nachhaltigkeit in der Produktion und mehr inklusive Formen der Partizipation im Sinne der Agenda 2030 gefördert würden. Im Zugang zu Wissenschaft und neuen Technologien müssten die großen Unterschiede zwischen reichen Staaten und Entwicklungsländern abgebaut werden. Barrieren müssten weltweit abgebaut werden, die verhindern, dass Frauen und Mädchen einen Zugang insbesondere zur Naturwissenschaft und neuen Technologien haben.

Insbesondere müssten die Forschung und innovative Technologien zur Durchsetzung der Sustainable Development Goals (SDG) weltweit aktiviert und verbreitet werden. Und im Punkt 101 wird mit Bezug auf das UN-Generalsekretariat noch einmal der Fokus auf die Situation der Entwicklungsländer und der Förderung digitaler Technologien gelegt:

„We call upon the United Nations system to support the efforts of developing countries to develop and strengthen their national science, technology and innovation ecosystems. To facilitate these efforts, we welcome the Secretary-General’s vision to work towards a UN 2.0 to increase the effectiveness of the Organization through enhancing capabilities in data analytics, digital transformation, strategic foresight, and results orientation.“

Der Themenbereich „Youth and Future Generations“ betont, dass heutige Maßnahmen die Zukunft der Jugend und der nächsten Generationen determinieren. In diesem Zusammenhang werden politische Aktionen von jungen Menschen begrüßt, die sich für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung der Geschlechter einsetzen (Punkt 103). Der Aspekt eines Einsatzes für den Erhalt oder die Durchsetzung der Demokratie wird hier allerdings nicht – mit Rücksicht auf autoritäre Staaten? – genannt. Allerdings wird die Partizipation junger Menschen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene eingefordert und die Einrichtung eines UN-Fonds bzw. UN-Investitions-Plattform gefordert, um die Jugendarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen zu unterstützen (Punkt 111).

Jugendliche seien in allen Ländern zu schützen. Hindernisse der politischen Partizipation junger Menschen unter 30 Jahren seien abzubauen.

Der Themenbereich „Transforming global governance“ konnte keine konkreten Verbesserungsvorschläge vorlegen, die sich auf den UN-Sicherheitsrat und die UN-Generalversammlung beziehen. Es reichte hier – neben einigen allgemeinen Formulierungen zur verbesserten Kommunikation und Koordination der verschiedenen UN-Gremien – nur zu einer Anmerkung der Ko-Organisatoren, dass hier noch im Laufe des Jahres 2024 nachgearbeitet würde.

Besonders enttäuschend sind hier die allgemeinen und unverbindlichen Aussagen, dass die UN-Generalversammlung revitalisiert werden müsse. Die UN-Vollversammlung sei ein wichtiges beratendes und politikgestaltendendes Gremium, das in Zusammenarbeit mit dem UN-Sicherheitsrat und dem UN-Generalsekretär unter „voller Beachtung der bestehenden Mandate“ (Punkt 119) weiterhin zusammenarbeiten werde. Mehr ist hier – trotz der erheblichen Notwendigkeit einer Neustrukturierung des UN-Sicherheitsrats sowie der Zusammenarbeit von Sicherheitsrat und UN-Generalversammlung nicht zu entnehmen.

Im weiteren Verlauf der Ausführungen werden die Stärkung des UN-Economic and Social Council und dessen verbesserte Zusammenarbeit mit weiteren UN-Gremien u.a. zum Umgang mit globalen ökonomischen Schocks sowie zur Besserstellung ökonomisch unterentwickelter Regionen, insbesondere im Umgang mit der Schuldenproblematik, auf einer allgemeinen Ebene angesprochen.

Fazit: Neben einigen begrüßenswerten allgemeinen Überlegungen zu den Menschenrechten, der ökologischen Nachhaltigkeit, der Partizipation sowie der Sicherheits- und Friedenspolitik gibt es nur wenige konkrete innovative Forderungen in den Empfehlungen zum UN-Zukunftspakt, der im Laufe des Jahres 2024 weiter beraten und beschlossen werden soll.

Positiv zu sehen sind u.a. konkretere Vorschläge zur Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen, zur Partizipation junger Menschen an Entscheidungsprozessen, zum Verbot autonomer Waffensysteme, die ohne menschliche Kontrolle funktionieren, sowie der starke Fokus auf die aufholende Entwicklung ärmerer Weltregionen. Auch die Ablehnung von Atomwaffen und die hiermit verbundenen Abrüstungsvorschläge sind positiv zu erwähnen.

Eher schwach ausgeprägt und dringend ergänzungsbedürftig sind Forderungen, die sich auf die Zentren der Macht in der globalen Sicherheits- und Finanzarchitektur beziehen. Hier scheinen die Autoren_innen der Empfehlungen doch zu vorsichtig mit dem Blick auf mächtige Akteure im Rahmen der UN gewesen zu sein.

Die ökologischen Auswirkungen der Militarisierung der Welt sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten bleiben unerwähnt. Hier wird lediglich der Einfluss der Klimaveränderungen auf gewalttätige Konflikte angesprochen. Des Weiteren liegt eine unkritische Ausrichtung an der zivilen Nutzung der Atomenergie vor, welche die vorhandenen Risiken und Probleme übersieht.

Im Juni soll nun ein Vorschlag zur Reform der UN-Institutionen vorgelegt werden. Im Mai 2024 wird ein Zukunftsgipfel ziviler NGOs in Nairobi durchgeführt, um den Zukunftspakt weiter zu beraten und vorzubereiten. So schreibt Rolf Bader (2024), ein IPPNW-Aktivist:

Nairobi wurde als Tagungsort ausgewählt, um die Interessen und Belange Afrikas stärker gewichten zu können. Die ungleiche Verteilung von Lebenschancen zwischen Staaten des Südens und des Nordens ist eine wesentliche Ursache von Spannungen und gewaltsamen Konflikten. Auf der Konferenz der Zivilgesellschaft in Afrika wird sicher auch über Entschuldung, den Abbau des Protektionismus und über gerechtere Handelsstrukturen beraten werden.“ [7]

Mit dem Blick auf die im Untertitel gestellte Ausgangsfrage lässt sich feststellen, dass die UN über die Empfehlungen für einen zu beschließenden UN-Zukunftspakt tatsächlich etwas in Bewegung kommen könnte, allerdings ist es fraglich, ob die Luft dafür ausreicht, angesichts der vorhandenen und erwartbaren Bedrohungen schnell und kontinuierlich genug zu laufen. Oder anders ausgedrückt: Wie viel Tempo ist von den Akteuren des Reformprozesses zu erwarten und welche Hindernisse werden an Veränderung uninteressierte Machtzentren aufbauen, um den Reformlauf zu stoppen?

[1] Pact for the Future, in: https://www.un.org/sites/un2.un.org/files/sotf-co-facilitators-zero-draft_pact-for-the-future.pdf, S.1, 26.1.2024, 13.3.2024.

[2] Pact for The Future: a.a.O., S.5.

[3] Pact for the Future: a.a.O., S.8.

[4] Pact for the Future: a.a.O., S.10.

[5] Pact for the Future: a.a.O., S. 12.

[6] Pact for the Future: a.a.O., S.12.

[7] Bader, Rolf (2024): Reform der Vereinten Nationen. Freundlicher Angriff auf die Veto-Mächte, in: https://www.telepolis.de/features/Reform-der-Vereinten-Nationen-Freundlicher-Frontalangriff-auf-die-Veto-Maechte-9651133.html, 11.3.2024, 11.3.2024.

(Der Autor hat im open access das Buch 'Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich.' in der 5. aktualisierten und erweiterten Auflage veröffentlicht:

https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/

Dort finden sich auch noch vertiefte Ausführungen zur Kritik und Reformnotwendigkeit der UN in den Kapiteln 1.2, 1.3, 2.3 und insbesondere 5.7.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Moegling

apl. Prof. Dr. habil. i.R., Pol.wiss. u. Soziologe, Autor von 'Neuordnung', https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/

Klaus Moegling

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