Alte Rechnungen

Griechische Schulden Griechenland hat die Dreistigkeit, dem Zahlmeister Europas alte Rechnungen zu präsentieren. Der digitale Stammtisch ist entrüstet.

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Selten hat eine Debatte so hohe Wellen geschlagen wie die wieder mal aus der Versenkung gezogenen Reparations- und Rückzahlungsforderungen Griechenlands an die Adresse Deutschlands als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Tenor des digitalen Stammtisches ist dabei die moralische Entrüstung über die unverschämten Forderungen eines Landes, dessen Bevölkerung sich offensichtlich überwiegend aus Faulenzern und korrupten Staatsbeamten zusammensetzt. Ein vorläufiges Fazit dieser Debatte läßt sich dahingehend ziehen, daß nach diesen Vorstellungen völkerrechtlich und moralisch nur solche Staaten das Recht auf Reparations- Rückzahlungsforderungen von Zwangskrediten genießen dürfen, die den hehren Maßstäben des Furor teutonicus oeconomicus gerecht werden, eine originelle Weiterentwicklung des Völkerrechts. Ja, wären die Griechen so fleißig und sparsam wie wir Deutschen, dann könnte man ja über die Sache reden. Aber so?...

Dabei wäre ein Blick in die Geschichte vielleicht nicht ganz unnütz. Nach den Bestimmungen des Frankfurter Friedens 1871, nicht weniger ein Diktatfrieden als der Versailler Vertrag von 1919, wurden Frankreich nach dessen Niederlage im Krieg gegen Preußen und seine Allianz Reparationszahlungen in Höhe von 5 Mrd. Francs d‘or auferlegt. Das entsprach ca. 25 % des französischen BIP, also heute einem Wert von etwa 500 Mrd. Euro. Damit wurde nicht nur der deutsche Wirtschaftsaufschwung der „Gründerzeit“ gedopt, sondern es war noch genügend Geld übrig, damit den Bau des Deutschen Reichstages zu finanzieren, dieses Juwels deutscher Architekturgeschichte, denn durch Frankreich verursachte kriegsbedingte Schäden auf deutschem Territorium mußten mit dem Geld nicht „repariert“ werden: Es gab keine.

Es ist kein plausibler Grund erkennbar, die damaligen Forderungen Preußens an die Adresse des besiegten Frankreichs und die späteren Forderungen Griechenlands nach dem II. Weltkrieg an die Adresse Deutschlands völkerrechtlich und politisch-moralisch unterschiedlich zu beurteilen. Es sind auch keine Vorbehalte Frankreichs überliefert, die Reparationszahlungen an Berlin an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, etwa an eine grenzenlose Bewunderung der französischen Lebensart o. ä.

Man stelle sich jedoch vor, der Umfang der Reparationsforderungen wie im Falle Griechenlands würde sich nach den Maßstäben der Schadensberechnungen bemessen, wie sie damals im Frankfurter Frieden angewandt wurden: Gemessen an den tatsächlichen Kriegsschäden, und zwar auf griechischem Territorium, wären die Forderungen dann wohl weit höher als nur 25 % des deutschen BIP.

In diesem Zusammenhang verdient vielleicht eine andere Tatsache in Erinnerung gerufen zu werden, die in allen Reparationsdebatten tunlichst unter dem Deckel gehalten wird, die Lastenverteilung zwischen Ost und West der deutschen Reparationen nach dem II. Weltkrieg an die Großmächte. Bis 1953 hatte die SBZ/DDR Reparationsleistungen an die UdSSR in Höhe von nahezu 100 Mrd DM (zu Preisen von 1953) und damit die höchsten im 20. Jahrhundert bekanntgewordenen Reparationen erbracht. Die vom Westteil Deutschlands erbrachten Reparationsleistungen beliefen sich dagegen lediglich auf etwas mehr als 2,1 Mrd. DM (wieder zu Preisen von 1953). Die damals 18 Millionen Deutschen in der von der sowjetischen Siegermacht kontrollierten Zone hatten damit fast 98 % der Reparationslast Gesamtdeutschlands zu tragen– pro Person also das 130fache. (Vgl. Dierk Hoffmann, Michael Schwartz, Hermann Wentker (Hrsgb.): Vor dem Mauerbau: Politik und Gesellschaft in der DDR der fünfziger Jahre, München 2003)

Rechnet man den Schuldenschnitt deutscher Vorkriegsverbindlichkeiten (Londoner Schuldenabkommen von 1953), die Leistungen aus dem Marshall-Plan und die Rückflüsse aus der rechtzeitig in Sicherheit gebrachten Raub- und Kriegsbeute hinzu, ergibt dies eine Anschubfinanzierung der (west)deutschen Wirtschaft, deren Dimensionen gern als quantité négligeable abgetan werden. Sie boten vielleicht das entscheidende Fundament für das bald einsetzende Wiedererstarken Deutschlands, wodurch es erst in seine heutige hegemoniale Lage in Europa versetzt wurde, gegenüber den PIGS-Staaten derart auf den Putz zu hauen.


(Vgl. Dierk Hoffmann, Michael Schwartz, Hermann Wentker (Hrsgb.): Vor dem Mauerbau: Politik und Gesellschaft in der DDR der fünfziger Jahre, München 2003)

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