„Es fällt schwer, nicht schwarz zu sehen“

Nachruf Gorbatschow warnte eindringlich vor einem unkontrolliertem Umschlagen eines neuen Kalten Krieges in einen heißen, den wir alle nicht überleben würden.

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Nach dem Tod von M. Gorbatschow sei an dessen wiederholte Warnungen vor dem Wiederaufflammen des Kalten Krieges erinnert, der jeden Moment in einen heißen, atomaren umschlagen könne. („Es fällt schwer, nicht schwarz zu sehen“ IPG-Journal, 06.01. 2015). Noch deutlicher wurde er wenig später in einem Spiegel-Interview: "Wenn angesichts dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven verliert, werden wir die nächsten Jahre nicht überleben." Dabei zögerte er nicht, die Katze eine Katze zu nennen und die Schuld an dieser brandgefährlichen Situation unumwunden dem transatlantistischen Bündnisblock zuzuweisen, genauer dessen seit Ende der UdSSR verfolgten Ost-Europa-Politik in siegesberauschter Umdeutung des Epochenwechsels: „Doch anstatt neue europäische Sicherheitsinstitutionen aufzubauen und die Entmilitarisierung Europas voranzutreiben – wie es die NATO-Mitgliedsstaaten in der Londoner Erklärung von 1990 versprochen haben – erklärte sich der Westen, allen voran die Vereinigten Staaten, zum Sieger. Euphorie und Triumphalismus sind den westlichen Staats- und Regierungschefs zu Kopf gestiegen. Sie haben die Schwäche Rußlands und das Fehlen eines Gegengewichts ausgenutzt, um ein Monopol auf die Führung in der Welt zu erheben und sich geweigert, diesbezügliche Warnungen ernst zu nehmen.“ (im „ Spiegel“, 2/2015)

Dem wurde hierzulande keine weitere Beachtung geschenkt, outete sich doch der Träger der Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland - Undank ist der Welten Lohn - schlecht verhüllt als „Putin-Versteher“, d. h. als russischer Politiker, der sich um die Sicherheit seines Landes sorgte. Das dürfte allerdings auch sein Grundmotiv gewesen sein, als er vor 35 Jahren dem Okzident die Hand reichte, um mit strategischen Vorleistungen die Ost-West-Konfrontation aufzubrechen, was dem Westen immerhin der Friedens-Nobelpreis wert war.

Der Okzident hatte die Bereitschaft des Kremls vor 35 Jahren, den Cordon sanitaire an seiner Westflanke zugunsten von Garantien in einem europäischen System der kollektiven Sicherheit preiszugeben, zunächst mit Kreidestimme bejubelt, um dann nach Tisch unverzüglich wie mit Widerhaken in die einstige Glacis des Kremls einzudringen und somit die bis dahin friedenserhaltende Strategie des Gleichgewichts fallenzulassen. Nunmehr hielt man es im Westen nicht mehr für nötig, sich „in die Schuhe des anderen zu versetzen“ (Helmut Schmidt „Strategie des Gleichgewichts“, 1969, S. 24). Wenn aber dieses Gleichgewicht die conditio sine qua non für einen kriegsvermeidenden Modus vivendi mit der einstigen östlichen Siegermacht war, mußte dessen Preisgabe angesichts eines geschwächten Gegners notwendig wieder zu einer Verschärfung der Spannungen und zur Kriegsgefahr führen.

Das wurde übrigens selbst in den USA hier und da ähnlich beurteilt. So sah auch Jack Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau, den Konflikt zwischen der Ukraine und Rußland als „Familienstreit“ und ordnete ihn kontextualisierend in eine zeitgeschichtliche Perspektive ein, die Sicherheitsinteressen der Atommacht Rußland als legitim in Rechnung stellend. „Wir dürfen nicht vergessen“, so Matlock, „dass das Ende des Kalten Kriegs kein westlicher Sieg war. Wir haben das Ende des Kalten Kriegs verhandelt und es zu Bedingungen getan, die auch vorteilhaft für die Sowjetunion waren. Wir haben alle gewonnen... Das ist eines der Probleme, dass heute viele Leute die Sache als einen westlichen Sieg betrachten.“ (Taz, 09. 09. 2014)

In der Tat scheint es seit 30 Jahren das neue doktrinale Essential des atlantistischen Bündnisblocks zu sein, gleichsam sein zweiter Gründungsmythos unter den PNAC-Auspizien, die Epochenwende von 1989/90 post festum als „Siegfrieden“ zu protokollieren und vergessen zu machen, daß es sich im Grunde um einen Verständigungsfrieden handelte. Es wird so getan, als seien die Vereinbarungen von Malta im Dezember 1989 und die „2+4-Akte“ gleichbedeutend mit einer Kapitulation der Sowjetunion à la Frankfurter Frieden, Versaille oder Compiègne. Für so manchen Deutsch-Nationalen und „Patrioten Europas“ schien dies gar klammheimlich die „Schande“ des 8. Mai 1945 wettzumachen. Aber auch ein Gorbatschow hätte nicht die Macht besessen, sich einem solcherart diktierten Kapitulationsfrieden mir nichts dir nichts zu beugen. Dessen war sich auch Präsident Bush sen. bewußt. Das damalige historische Agreement nach Tisch in den Kategorien von Sieg und Niederlage zu beschreiben und damit umzudeuten, mußte zwangsläufig zu Reaktionen des Kremls führen, wie wir sie jetzt erleben und in der - gleichwohl völkerrechtswidrigen - Aggression gegen die Ukraine einen fatalen Höhepunkt erreichten. Es ist wohl kein Zufall, daß von Gorbatschow keinerlei Kritik daran zu vernehmen war: Er hatte es wohl so kommen sehen.

Der Friedensnobelpreisträger sah sich an seinem Lebensabend nach dem innenpolitischen Scheitern seiner Perestroika-Politik nun auch noch vor dem Scherbenhaufen seiner Friedens- und Entspannungspolitik. Er mußte sich nun eingestehen, daß Rußland nach dem brüsken Wechsel von Washingtons Deutschland-Politik kurz nach dem Koalitionssieg über Hakenkreuz-Deutschland 1945, in dem die Sowjetunion den weitaus größeren Teil der Kastanien aus dem Feuer holen mußte, abermals über den Tisch gezogen wurde. Der Bluff gehört nun mal schon seit ihren Gründerjahren zu den kulturellen Essentials der US-amerikanischen Gesellschaft. Selbst Stalin war da offensichtlich sehr blauäugig.

In den Zeiten des Kalten Krieges war es üblich, daß westliche Staatsmänner an den Staatsbegräbnissen der Sowjetführer teilnahmen. Wird Bundespräsident W. Steinmeier nach Moskau reisen?

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