Noch ist Polen nicht verloren

A propos Gewaltenteilung Die Kritik an der PiS-Regierung zielt vorrangig auf Formalien. Das kann schnell nach hinten losgehen. Sie sollte vielmehr auf die inhaltlichen Programmatik zielen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In der Aufregung um den Regierungswechsel in Polen werden schwere Geschütze aufgefahren und nichts weniger als schwere Beschädigungen „europäischer Werte“, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit usw. angeprangert. Gar von "Kulturkampf" und "Staatsstreich" ist die Rede und schon mal aus Brüssel - ausgerechnet aus deutschem Munde - angedroht, Warschau unter EU-Kuratel zu stellen. Allerdings stehen dabei augenscheinlich eher formal-prozedurale Details im Focus, auffallend weniger ganz konkrete politisch-programmatische Inhalte der PiS-Regierung. Warum eigentlich?

Vor allem die Gewaltenteilung gilt als gefährdet, seit Montesquieu ein Grundpfeiler einer demokratischen Grundordnung. Zu Recht wird dann zumeist auf die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 verwiesen, der ersten demokratischen Verfassung in Europa, deren entscheidende Impulse sie Rousseau und eben Montesquieu verdankt. Allerdings übersieht ein daraus abgeleiteter Vorwurf, etwa die Personalunion von Generalstaatsanwalt und Justizministers, wie sie die PiS-Regierung vorsieht, verstoße gegen jenes Gebot der Gewaltenteilung, daß das Rechtsinstitut "Staatsanwaltschaft" (fr. Magistrat du parquet) auch in Frankreich personell aus der monarchistischen Beamtenschaft hervorgegangen und stets Teil der Exekutive, und nicht der Judikative war: Wie der Name schon sagt, ist ein Staatsanwalt der Anwalt des Staates, hat folglich dessen Interessen zu vertreten, so wie der Verteidiger die Interessen des Angeklagten zu vertreten hat. Es ist also unter dem Aspekt der Gewaltenteilung im Sinne von Montesquieu unerheblich, ob der Generalstaatsanwalt, wie noch heute in Frankreich und wohl allen Demokratien, dem Justizminister gegenüber weisungsgebunden untergeordnet oder gleich mit ihm identisch ist. Unabhängig davon, was sonst noch zu den PiSern zu sagen wäre, in diesem Punkt ist der Vorwurf eines Verstoßes gegen demokratische Essentials ohne Substanz.

Ähnlich zerbrechlich erweist sich die Kritik an der Reform des Verfassungsgerichts, dessen eigenständige Funktionsfähigkeit zum Lackmustest für die Demokratie gemacht wird. Nur dann würden Länder wie etwa Irland, Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark, die Schweiz und Griechenland - alles Länder ohne eigenständiges Verfassungsgericht - sowie das Vereinigte Königreich und die Niederlande - dort gibt‘s überhaupt kein solches oberstes Kontrollorgan - diesen Test nicht bestehen, folglich die demokratischen Mindeststandards nicht erfüllen. Die Venedig-Kommission, der auch die genannten Staaten allesamt angehören, hatte allerdings dies bislang offensichtlich noch nie beanstandet. Sollte die eigenständige Funktionsfähigkeit des polnischen Verfassungsgerichtes und seine Unabhängigkeit durch die neuen Regelungen eingeschränkt werden, befände sich das Land also in überraschender Gesellschaft.

Sogar in Frankreich, dem Mutterland der modernen Demokratie und der Gewaltenteilung, gibt es ein Verfassungsgericht erst seit 1958. General de Gaulle erschuf mit der Verfassung der V. Republik auch den „Conseil constitutionnel“, allerdings zu dem erklärten Zweck, die traditionelle „Souveraineté parlamantaire“ einzuhegen, die er für die permanenten Regierungskrisen der IV. Republik mit verantwortlich machte. Es handelte sich für de Gaulle folglich ehe rum ein präsidiales Machtinstrument als Gegengewicht zum gewählten Parlament, in den Augen der damaligen Kritiker eine Schwächung der Legislative, also eine Aushöhlung der repräsentativen Demokratie und eine Machtverschiebung zugunsten der Exekutive unter der Ägide des persönlichen Präsidialregimes, für den Sozialistenführer François Mitterand seinerzeit nichts weniger als ein „Coup d‘Etat permanent“. Auch wenn die Ernennungsprozeduren letztlich die in den Wahlen manifestierten politischen Kräfteverhältnisse widerspiegeln, ist mit der Drittelparität der Berufungen durch jeweils den Präsidenten der Republik und die beiden Parlamentspräsidenten auch unter Bedingungen der Alternance, also eines Wechsels der parlamentarischen Mehrheiten, letztlich die Sichtweise des ersteren gewährleistet, der das Privileg besitzt, den Vorsitzenden des Verfassungsrates mit einer „voix prépondérante“ im Falle von Stimmengleichheit zu ernennen. Für die Entscheidungen des Verfassungsrates gilt, wie jetzt auch in Polen, übrigens ebenfalls ein Quorum von sieben der neun Mitglieder, was im Falle Polens gern als eine de-Facto-Sperrminorität angesehen wird.

Wie zu sehen, sollte man bei diesen beiden Fragen die Kirche im Dorf lassen und nicht so tun, als ob sich allein davon die Frage nach der Demokratiekompatibiliät ableitete, was die PiSer mit der plausiblen Begründung bejahen, die Reformen stützten sich auf die Mehrheitsverhältnisse in beiden Parlamentskammern und damit auf den Wählerwillen. Die kritische Debatte sollte vielmehr über das konkrete politische Programm der PiS-Regierung geführt werden. Und da gäbe es eine Menge anzumerken.







Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden