Schleichende Zombifizierung

Essay In Literatur, Film und Fernsehen sorgen Zombies regelmäßig für Endzeitstimmung. Längst sind die Untoten zu einem wichtigen Teil unserer Alltagskultur geworden.

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Foto: Peter MacDiarmid/Getty Images

Schüsse und Schreie zerreißen die Luft. Von weitem sind gewaltige Explosionen zu hören, schwarze Rauchsäulen steigen gen Himmel. Menschen fliehen. Ihre Angreifer: Infizierte, die sich binnen weniger Sekunden zu reißenden Bestien verwandeln und Nicht-Infizierte angreifen. Zu Beginn des Kinofilms World War Z (2013) wird Philadephia von Zombiemassen überrollt und gleicht einem Kriegsgebiet. Die Augen starr auf die Kinoleinwand gebannt, die Hände fest in die Sitzlehne gekrallt, sieht das Publikum freudig-gespannt der Zombie-Apokalypse entgegen.

Zombies haben Konjunktur

Zombies, diese umherirrenden Untoten mit den verfaulten Zähnen, der zerrissenen Kleidung, dem schlurfenden Gang und den leeren, ausdruckslosen Gesichtern - getrieben von der Gier nach Menschenfleisch - haben Konjunktur. Ob nun in Film, Fernsehen, Comics oder auf einem Zombie Walk in Köln oder Frankfurt am Main, Zombies sind allgegenwärtig und unlängst zum kollektiven Symbol der westlichen Alltagskultur geworden. Der Hype um die lebenden Untoten geht soweit, dass selbst die US-Seuchenschutzbehörde CDC und das US-Militär die Folgen einer Zombie-Epidemie dargestellt haben, einschließlich wertvoller Überlebenstipps.

Doch warum ist der Zombie so populär? Für welches Motiv steht er? Woher kommt die Furcht vor dem millionenfachen Sterben und deren Wiederkehr als Untote? Selbstverständlich gibt es mehrere Ansätze, die die Faszination der Zombies erklären: Der Zombie als Metapher für Kapitalismuskritik oder als Parabel für den unkontrollierten biotechnischen Fortschritt. Oder aber die post-apokalyptische Zombiewelt zeigt sich uns als Spiegelbild für die Zerbrechlichkeit demokratischer Gesellschaften in der Zeiten der Krise.

Der Zombie als Metapher für Kapitalismuskritik

Erstmals begegnet uns der Zombie in der haitianischen Voodoo-Kultur. Hierunter wird eine Person verstanden, die von einem Hexenmeister in eine Art Scheintod versetzt und mittels einer Droge als willen- und empfindungslose Arbeitskraft wieder zum Leben erweckt wird. Fortan schuften sie als entrechtete Arbeitssklaven auf den Feldern ihrer Herren.

Der haitianische Zombie wird zum Symbol kolonialistischer Ausbeutungslogik und "verkörpert die komplette Entfremdung von Sklaven und Sklavinnen, ihre totale Unfreiheit und den Verlust all ihrer Rechte", schreibt der Kulturwissenschaftler Raphael Hörmann in seinem Essay "Tropen des Terrors. Zombies und die Haitianische Revolution" (2014).

Doch spätestens mit George A. Romeros Dawn of the Dead (1978) wandert der Zombie als sinnentleerter Arbeitsklave "aus den traurigen Tropen der Sklaverei ins Herz der postindustriellen Gesellschaft des Westens" und wird als unnützer Arbeiter und Konsument zur "zentralen Metapher der Trash-Kapitalismuskritik", schreibt Georg Seeßlen in seinem klugen Essay "Die etwas andere Auferstehung."

Der willenlose Zombie wird zum Symbol der westlichen Arbeitwelt: Der Mensch, herabgestuft als billige Arbeitskraft, der sich millionenfach den Weg in die grauen Bürotürme und schlechtbeleuchteten Fabrikhallen, in die Maschinenräume und Schaltzentralen des Kapitalismus, bahnt. Innerlich längst tot, aber trotzdem gezwungen, die äußeren Zeichen von Leben zu tragen.

Doch verweigern wir uns, verschmelzen wir schnell "in den anoymen Massen der Überflüssigen, die ihre politische Teilhabe- und Mitwirkungsrechte eingebüßt haben und einen sozialen Tod sterben", konstatiert Jeanette Ehrmann in ihrem Essay "Working Dead. Walking Debt. Der Zombie als Metapher für Kapitalismuskritik." Das Zombie-Dasein wird zur fundamentalen Kritik für die radikale Ökonomisierung des Humanen: Der Mensch als entfremdeter Arbeits-Zombie oder überflüssiger Prekariats-Zombie.

Die Fortschrittsgläubigkeit ist der Fortschrittsangst gewichen

Einer der ältesten und beharrlichsten Träume der Menschheit ist die seiner Vernichtung. Heute sind es nicht Naturgewalten oder der Zorn Gottes, vor dem es dem Menschen fürchtet: Es ist der Mensch selbst, der das Schicksal seiner eigenen Art bedroht. Der unaufhaltsame und zumeist unkontrollierte technische Fortschritt, vor allem auf dem Gebiet der Bio-, Gen- und Nanotechnologie, führt viele Menschen vor Augen, dass wir von heut auf morgen zu einer weiteren gefährdeten Spezies auf dem Planeten werden könnten. Nur vorsichtig lässt sich erahnen, an welchen biologischen Erregern in den zahlreichen Forschungslabors rund um den Globus gearbeitet wird. Und diese Angst treibt den Menschen um. Die Fortschrittsgläubigkeit ist der Fortschrittsangst gewichen.

In der Filmreihe Resident Evil (2002), die auf dem gleichnamigen Computerspiel basiert, wird in geheimen Forschungslabors der Umbrella-Corporation an Viren experimentiert, die tote Zellen wieder zum Leben erwecken können und kaum zu kontrollieren sind. Trotz umfangreicher Sicherheitsvorkehrungen gelingt es nicht, ein Entweichen des sogenannten T-Virus in die Umwelt zu verhindern. Die Menschen, einmal durch Bisse mit dem Virus infiziert, verwandeln sich schnell in antrieblose, aber gefräßige Zombies. Am Ende bleibt ein verdorrte, vom Menschen entvölkerte und von Zombies bevölkerte Landschaft zurück.

In Zeiten von Ebola, SARS, Schweine- und Vogelgrippe ist bei vielen von uns die Angst allgegenwärtig, dass Wissenschaftler in ihrer Hybris, dass hohe Risiko ihrer Arbeit bedenkenlos in Kauf nehmen. Der Virus-Zombie wird zur Verbildlichung eines gescheiterten Viren-Experiments, als "sichtbarer Überträger des Virus", konstatiert Rolf F. Nohr in seinem Essay "Virale Zombifizierung."

Die Zombie-Apokalypse als Spiegelbild unserer Selbst

Nach dem großen Sterben, nachdem Städte und weite Landstriche verwüstet sind, sammeln sich die letzten Überlebenden in den Trümmern ihrer Zivilisation. In der neuen Welt des permanenten Ausnahmezustandes gibt es für die neu zusammengewürfelten Krisengemeinschaften nur ein Ziel: Überleben!

"Was uns gute Zombiefilme wirklich zeigen, ist, wie kaputt wir doch eigentlich sind. Sie bringen uns dazu, unseren Platz in der Gesellschaft zu hinterfragen, ebenso wie die Gesellschaft selbst", erklärt Robert Kirkman in einem seiner Comics The Walking Dead. Wahrscheinlich ist die gleichnamige Endzeit-Serie deshalb so populär, weil sich im Kampf um die letzten Ressourcen zeigt, was vom Menschsein übrig bleibt. In drastischen, teilweise verschreckenden und brutalen Szenen zeigt sie uns die Verwundbarkeit und innere Zerrissenheit des Menschen, wenn dieser in eine neue, grausame Umwelt katapultiert wird.

Es sind aber nicht die Untoten der post-apokalyptischen Zombiewelt, von denen die wirkliche Gefahr ausgeht: Es sind die Fremden. Im Kampf um die letzten Ressourcen, um Schutz und Sicherheit, zerfällt die Welt zurück in den Hobbesschen Naturzustand: In einem Krieg aller gegen alle. In Zombiefilmen und -serien ist der Lebensalltag von der ständigen Angst vor dem Fremden bestimmt. Oftmals scheint ein Miteinander-Leben zwischen den letzten Überlebenden nicht möglich, zu groß ist das gegenseitige Misstrauen. Als letzter Ausweg bleibt oft nur der bewaffnete Kampf.

Häufig wird sich der eine oder andere Zuschauer fragen, welche harten Entscheidungen er selbst treffen würde, um sich und seine Familie zu schützen. Halten uns Zombiefilme und andere Katastrophen- und Endzeitfilme heutzutage, in denen die Krisen unserer Zeit zum gefühlten Dauerzustand werden, wenn uns Kriege und Terror alltäglich auf den heimischen Fernsehbildschirme begegnen, nicht einen Spiegel vor: Wie würden wir handeln? Wenn das Überleben zum einzigen Handlungsmotiv wird, zeigt sich auch, wer man selber ist.

Der Zombie im 21. Jahrhundert ist mehr als ein Stück westlicher Alltagskultur. Er ist zum Symbol für die Krisensymptome unserer Zeit geworden. Als Sinnbild für die radikale Ökonomisierung des Menschen zum willenlosen Humankapital, als Ausdruck für die Furcht vor dem biotechnischen Fortschritt und menschlicher Hybris und die postapokalyptische Zombiewelt als Spiegelbild unserer Gesellschaft in Zeiten der permanenten Dauerkrise. Seine steigende Popularität gewinnt der moderne Zombie daraus, weil er zum Abbild für die Krisen unserer Zeit geworden ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

René Korth

freier Autor, der über Kultur, Gesellschaft und Politik schreibt

René Korth

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