Beherrschen Sprache, Rhythmus und Pose: Darsteller des Gefängnistheater aufBruch
Foto: Mark Schulze Steinen
„Das Gefängnistheater aufBruch zeigt Brechts Arturo Ui, da muss ich wieder hin“, denke ich sofort, als ich die Einladung lese. Schon seit Jahrzehnten inszeniert dieses Gefangenentheater fast jedes Jahr ein oder zwei Stücke. Die Aufführungen finden meist in den Höfen der Gefängnisse statt. Und die ausgewählten Werke haben großes literarisches Gewicht, es sind klassische, anspruchsvolle Dichtungen mit heftigen Konflikten: Die Räuber, Maria Stuart, Hamlet, wobei gewisse Änderungen der Titel wie Penthesilea und Achill Hinweise auf Bearbeitungen sind. Die Gefangenen als Darsteller kommen dabei in Situationen sehr fordernder Identifizierungen, die sie unter der Anleitung des künstlerischen Teams wunderbar meistern. Nun also Der aufhal
en Teams wunderbar meistern. Nun also Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui von Brecht. Das Stück, 1941 im Exil geschrieben, verlegt den Aufstieg Hitlers an die Macht parabelhaft ins Gangstermilieu; die historischen Vorbilder werden allerdings kaum verschlüsselt. Ich erinnere mich: Im Berliner Ensemble wurde es 1958 mit Ekkehard Schall und 1996 mit Martin Wuttke als Ui, alias Hitler, gespielt. Schall gab die Rolle nach 532 Wiederholungen auf, weil ihm der Ui langsam sympathisch wurde.Für sein Stück fand Brecht im Exil in den USA gar keine Verwendung. Aber es gibt heute andere, die sich für diese Parabel und ihre Aktualität interessieren, zum Beispiel das Gefängnistheater, das der Berliner Senat für Justiz fördert und das von der Gefängnisleitung in Tegel unterstützt wird.Das Gefangenentheater fordert vom Zuschauer Zeit und Geduld, schon wegen all der Regeln, die man befolgen muss, um in ein Gefängnis zu gelangen. Die JVA Tegel ist weit draußen, gespielt wird im alten, jetzt denkmalgeschützten Gefängnishof 2 der Anstalt. „Wir spielen auch, wenn es regnet“, steht in der Einladung. Schon auf der Fahrt aus Pankow hinaus blicke ich beunruhigt nach dem Himmel, eine schwärzliche Wolkenwand schiebt sich von Nord-West über die Stadt. Natürlich wird es regnen, Gewitter wahrscheinlich.Schirme sind verboten, das ist Teil der Sicherheitsvorschriften. Der Zuschauer wird durch mit Gittern versperrte Gänge geschleust, legt sein Zeug in ein Schließfach, wird einer Leibesvisitation unterzogen, gibt seinen Ausweis ab und erhält eine feste Plastekarte mit Nummer. Für die Zeit der Vorführungen kann man den Spielort und seinen Platz nicht verlassen, ist ein wenig selbst ein Gefangener. Die Wärter sind sehr zuvorkommend, man erhält einen Regenschutz aus dünner Folie.Es beginnt, in großen Tropfen zu regnen, ich sitze auf einer Bank auf einem Stück Isomatte unter der vorn und hinten zu wenig schützenden Folie, die Schuhe werden nass. Die Zuschauer und die Schauspieler sind ohne Dach, nur die drei Musiker von der Band 17 Hippies haben eine Art Unterstand, um die Instrumente trocken halten zu können. Dann zieht der Regen weiter über Tegel hinweg. In Nässe und etwas Kälte harre ich gespannt aus.Jimmy Juma spielt den Ansager und man spürt seine Lust an der Sprache und am Knittelvers. Wie jeder Endreim sein Urteil fällt und schlagend und platt die Wahrheit betont. Brecht sagte einmal, eine platte Wahrheit sei auch eine Wahrheit. Zum Beispiel diese Anspielung auf die Ermordung Ernst Röhms 1934: „Die Justiz im Coma! Gangster unter sich: die Ermordung des Ernesto Roma!“ Die Justiz im Coma, das versteht man gut, da gibt es auch heute viele Beispiele. Meisterlich ist vom Gefängnistheater gerade der Reichstagsbrand-Prozess komponiert, die atemberaubenden Fälschungen entwickeln sich in einem spannenden Zusammenspiel aller Akteure.Und dann sprechen sie, die Gefangenen als Gefangenenchor, und stellen die Geschichte vor. Sie beherrschen die Sprache und den Rhythmus – etwas, das sie neu erlernt haben. Dazu kommt, dass sie Lieder singen, wo Brecht einst nur das Wort „Bumsmusik“ im Manuskript gebraucht hat. Die drei von der Band 17 Hippies geben der Inszenierung viel dazu. Sie spielen populäre Lieder, die Gefangene und Publikum gut kennen. Die Lebensfreude, die die Männer auf der Bühne ausdrücken, ergreift das Publikum. Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n lässt an die in den Spielern ruhenden unerfüllbaren Sehnsüchte denken. Stets sind die Sänger, ohne ihre sonst im Gefängnisalltag eifersüchtig beachteten Hierarchien, im Chor einander gut und gleich und nah – „demokratisiert“, sagt Peter Atanassow, der Regisseur, der auf eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte des Gefangenentheaters unter seiner Leitung zurückblicken kann. Am Ende singt der Chor eine längst vergessene Losung aus der Ballade von der Wohltätigkeit von Kurt Tucholsky und Hanns Eisler: „Gut, das ist der Pfennig, und wo ist die Mark?“ Das singen sie aggressiv und kräftig auftrumpfend, als Forderung auch von den Gefangenen, die in der letzten Publikumsreihe sitzen und begeistert klatschen.Brecht wollte Änderungen und Erweiterungen seiner Arbeiten. So gibt es zum Beispiel in der Inszenierung in Tegel zwei politische Texte, die dazugegeben worden sind. Jimmy Juma trägt vor, wie der Einzelne die Geschichte am Ende als die Geschichte, die er selber ist, begreift, duldend oder nicht duldend, was ihm geschieht. Dann gibt es noch einen weiteren zusätzlichen Text, eine aggressive Kritik an herrschenden Politikern in Form eines Gedichts des österreichischen Autors Thomas Köck von 2020: „man sieht ja / was passiert / wenn man denen / die Geschichten überlässt / weil dieser versiffte Politiker ist ja schon schlimm genug / aber noch schlimmer wird es / wenn einem klar wird / dass der ja nicht alleine in solche position kommt / sondern eine gesellschaft / genau diese typen / hervorbringt“.Im Gespräch nach der Aufführung erzählt einer der Schauspieler, was er bei den Proben, beim Theaterspielen lerne, das sei besonders die Sprache – er meint ihre Exaktheit, ihren Reichtum, ihre Nuancen. „Das macht etwas mit einem, allein, wie man sich äußert beim Diskutieren, da merke ich, dass ich viel besonnener bin.“ Und er sagt auch, wie er sich geändert habe, weil er geachtet wird und von den Mitspielern lernt, ein Stück, eine Figur, die Geschichte zu begreifen; wie er zum Team, zur Probe kommt, das sei wie zu einer Familie, wie nach Hause. „Ich habe viel mehr Zuversicht und Selbstbewusstsein, ich kann aus meinem Leben noch was machen, denke ich.“Verdoppelte VerfremdungEin Zuschauer vergleicht die berühmteste Aufführung des Ui im Berliner Ensemble im Jahre 1996 unter Heiner Müllers Regie mit dieser im Gefangenentheater. „Da sah ich die Inszenierung vor Jahren im BE, mit Martin Wuttke, das war eine große Show, ja, ich weiß jetzt nicht, was mich mehr beeindruckt hat. Das bedeutende Thema in diesem Kontext hier ist fast noch stärker, der brechtsche Verfremdungseffekt ist fast verdoppelt.“ Die Umgebung, das Gefängnis, die blieben immer im Hinterkopf. „Das gehört zu der Inszenierung, das kann man dabei nicht vergessen.“Ui ist der kriminelle Manipulator, er kann sich auf seine Jungs, die von unten zuschlagen möchten, nicht mehr verlassen, er will zum Oben gehören, nur das kann ihn schützen. „Es muss von oben gehen“, sagt er. Was die Inszenierung des Gefangenentheaters sehr betont, ist die Szene, in der sich Dogsborough (Hindenburg) als korrupt erweist. Da wacht die kriminelle Energie Uis auf. „Ich rieche Geschäfte!“ Da wechselt im Gefangenentheater der Darsteller des Ui. Robin (viele stehen nicht mit vollem Namen im Programm) spielt anfangs beeindruckend den depressiven, erniedrigten, scheel lauernden, körperlich verformten, unentschlossenen Bandenchef. Danach übernimmt H. Peter Maier C. d. F. und mimt den Ui brutal, anmaßend, nüchtern berechnend, heuchelnd, verratend, mordend, schließlich als einen Demagogen und Welteroberer, der sich an seinem „GLAUBEN“ selbst berauscht. Die anfangs bemühte Kopie der Sprechweise des aufgestiegenen Hitler wurde vom neuen Ui-Spieler schließlich abgelehnt, sie strenge zu sehr an. Der Regisseur ist einverstanden.Mehrfachbesetzungen einer Rolle sind eine Methode des künstlerischen Teams des Gefangenentheaters, man kann dadurch Schritte in der Entwicklung von Figuren sehr deutlich machen, man kann aber auch den Zufällen des Gefangenenlebens, der Gefahr des Ausfallens eines Spielers, vorbeugen, man kann mehrere zur Mitarbeit ermuntern und ihnen eine Chance geben, meint die Produktionsleiterin Sibylle Arndt.
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