Corona legitimiert längst jedes Verbot

Silvesterfeuerwerk Zur Pandemiebekämpfung wird auch dieses Jahr Silvester ausfallen. Auch wenn die Meinungsführer dies bejubeln werden: Das "Böllerverbot" ist nur eine undemokratische Machtdemonstration.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Auch beim kommenden Jahreswechsel soll es nach einer Vereinbarung der "Bund-Länder-Konferenz" kein privates Silvesterfeuerwerk geben. "Böllerverbot" heißt das im erprobten Journalisten-Framing, obwohl es gerade nicht nur um die Böller geht.

Die Diskussion gab es schon vor Corona jedes Jahr, sie wird von Medienleuten und anderen Meinungsführern gerne befeuert, schließlich steht man selbst ja intellektuell (und finanziell) weit über dem Spaß, einmal im Jahr ein paar Raketen zünden zu dürfen, deshalb führt man allerhand Argumente gegen diesen Stumpfsinn an und meint, Mensch, Tier, Umwelt und Kultur wäre geholfen, wenn auch hier endlich der paternalistische Staat sagt, was gut für die Welt ist und was schlecht.

Das grundlegende Problem ist schlicht mangelndes demokratisches Verständnis. Wer Demokratie als organisiertes Selbstbestimmungsrecht versteht, bei dem individuelle Freiheit nur dort begrenzt werden kann, wo sie über Gebühr in die Freiheit anderer eingreift*, wird die Silvesterknallerei nicht verbieten wollen - weil privates Feuerwerk bereits an 364 Tagen im Jahr verboten ist und damit den Raketengegnern maximal entgegengekommen wird (etwas ausführlicher im politischen Feuilleton: Restriktive Gesellschaft - Verbote, Verbote, Verbote). Es ist völlig egal, ob andere diese Tradition nachvollziehen können oder sinnvoll finden. Und es braucht auch keine Genehmigung der Mehrheit dafür. Die Prüfung kann stets nur sein: greift die Ausübung einer Freiheit (hier: Silvesterfeuerwerk zu zünden) unzumutbar bzw. mehr als notwendig in die Freiheitsrechte anderer ein. Und das wird man verneinen müssen, solange noch eine relevante Zahl von Bürgern Spaß am Feuerwerk hat.

Letztes Jahr aber setzte sich die restriktive Politik zum ersten Mal durch, weil sie Corona als Vorwand nehmen konnte. Und so soll es nun auch 2021/2022 sein: Damit es nicht zu Corona-Infektionen kommt, sollen wieder grundsätzlich Menschenansammlungen verboten werden, und damit kein Feuerwerk gezündet wird, ist der Verkauf entsprechender Artikel auch in diesem Jahr ausgesetzt; zusätzlich sollen die Kommunen Orte ausweisen, an denen Feuerwerk komplett verboten ist, damit auch keine Altbestände hochgejagt werden können. Das Feuerwerksverbot wird wie so vieles seit zwei Jahren mit dem Schutz des Gesundheitssystems begründet. Beispielhaft für diese faktenfreie aber populistische Argumentation das Statement von Comedian Till Reiners in der letzten Folge "Talk ohne Gast", wo er im Gespräch mit Moritz Neumeier sagt:

"Ich finde, jetzt gerade, wo wir alle darum kämpfen, oder wir alle mental damit beschäftigt sind, krass, die Intensivstationen laufen voll, wie geht man damit um, [...] dann zu sagen ja dann machen wir Silvester nach wie vor, und da machen wir nochmal mit 30, 40 Leute zusätzlich die Intensivstation voll, weil sie den Böller falsch gehalten haben oder zu besoffen waren, also das kann ja nicht wahr sein. Wir reden hier gerade über so Sachen wie Triage, du musst über Leben und Tod entscheiden, und dann machen wir nochmal zusätzlich die Klinik voll, also, das kann nicht euer Ernst sein."

Es ist nun ein Jahr her, dass erstmals ein Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk angeordnet war und Gerichte dies, der plumpen Warnung vor einem überlasteten Gesundheitswesen folgend, akzeptiert haben - und offenbar sind wir in der Zwischenzeit keinen Schritt weitergekommen.

Was bitte haben Feuerwerksverletzungen mit Covid-19 zu tun? Was eine abgesprengte Hand mit der Intensivstation? Nichts natürlich. Aber man steht mit einem Böllerverbot auf der richtigen Seite, bei den Guten, den Schlauen, den Erhabenen, und für die Knall-Prolls von der Straße wird sich niemand öffentlich stark machen, da ist der Meinungskampf schon entschieden, bevor überhaupt ein Wort gewechselt ist.

Fakten spielen leider in der ganzen Corona-Politik wie auch sonst in vielen Auseinandersetzungen keine große Rolle. So gibt es die von Till Reiners erwähnte Triage bisher nicht, auch wenn seit 22 Monaten mit begeistertem Schaudern davon gesprochen wird. Divi-Präsident Gernot Marx hielt sie gerade auch noch für sehr unwahrscheinlich. Und sollte es doch dazu kommen, dass Krankenhäuser entscheiden, wen sie noch behandeln können und wen sie abweisen müssen (so drohte kürzlich Bodo Ramelow "den Ungeimpften"), dann sollte man sich vorsichtig fragen, ob das deutsche Gesundheitssystem mit Kosten von über einer Milliarde Euro pro Tag vielleicht nur ein aufgeblasener Popanz ist.

Es ist offenbar eine große Herausforderung, in einer demokratischen Gesellschaft nicht von allen Menschen zu verlangen so zu sein wie man selbst ist (oder gerne sein möchte). Und antidemokratisches Herrschaftsgebaren als solches zu benennen, auch wenn es gerade die Richtigen trifft.

Anmerkung:
* Weiterhin unübertroffen dargelegt in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Artikel 2 sagt: „Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte. Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung.“
Und Artikel 4 formuliert dann: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden