Kein Kinderspiel

Literatur-Lektion Wir europäischen Leser sollten endlich lernen, afrikanische Romane als Literatur wahrzunehmen. Zwei Beispiele
Ausgabe 45/2014
Darling mag ich nicht heißen, ich überleg mir jetzt mal einen schöneren Namen!
Darling mag ich nicht heißen, ich überleg mir jetzt mal einen schöneren Namen!

Foto: John Moore / Getty Images

Normalerweise setzt man voraus, dass man von der Geburt bis zum Tod zumindest den gleichen Vornamen behält. In diesem Jahr jedoch erschienen zwei Romane in deutscher Übersetzung, die beide schon auf dem Titel diese Unveränderlichkeit in Frage stellen: Wir brauchen neue Namen lautet der eine Titel, Unsere Namen der andere – Letztgenannter ist auf dem Cover der deutschen Ausgabe, wie schon auf dem der englischsprachigen, durchgestrichen. Beide Titel deuten an, dass es ihnen um das Verhältnis von Eigennamen zu Kollektiven geht.

Wer ist „wir“? Nun sind schon die Namen der Autoren ihrerseits insofern unzuverlässig, als sie die naheliegende Erwartung, die Autoren über den Klang dieser Namen Kollektiven zurechnen zu können, zumindest teilweise in Frage stellen. Zwar klingen beide Namen, NoViolet Bulawayo und Dinaw Mengestu, „afrikanisch“ – doch wären beide Bücher, wenn man sie in die literarische Geografie einordnen wollte, eher der US-amerikanischen Literatur zuzurechnen: NoViolet Bulawayo, die ja übrigens nicht unter ihrem Geburtsnamen schreibt, hat Simbabwe als 18-Jährige verlassen; Dinaw Mengestu kam schon als Kleinkind mit seinen Eltern aus Äthiopien in die USA. Beide haben dort studiert, beide sind inzwischen Anfang/Mitte 30 und werden als vielversprechende Nachwuchsschriftsteller gehandelt.

Durchaus US-amerikanisch

Beide Bücher eint überdies, dass sie teils in den USA, teils in je einem afrikanischen Land spielen. Trotzdem gehen die Biografien beider Autoren bestenfalls vermittelt in ihre Romane ein. Bulawayos Protagonistin singt schon als Zehnjährige in Simbabwe Lieder von Lady Gaga und surft, in Kalamazoo, Michigan, angekommen, als 14-Jährige durch Pornoseiten, kann also inzwischen nicht so alt sein wie ihre Autorin. Mengestus Hauptfigur kommt zwar aus Äthiopien, die Handlung spielt jedoch zu Beginn der 70er Jahre.

Der Zusammenhang von Migration und dem Wechsel von Namen ist mindestens so alt wie die Sklaventransporte von Afrika nach Amerika. Weil die Käufer von Sklaven deren Namen bestimmten, klingen ja noch heute diejenigen der meisten African Americans durchaus US-amerikanisch und unterscheiden sich schon deshalb von den meisten Namen der in jüngerer Zeit aus Afrika eingewanderten Amerikaner. Zwar ruft keiner der beiden Romane diese historische Dimension ausdrücklich auf, aber die von ihnen erzählten Geschichten der Namensgebung und des -tauschs sind Formen des Umgangs mit jüngeren Konstellationen, in denen Sklaverei und Kolonialismus in ganz verschiedenen Gestalten nachwirken.

Bulawayos Titel Wir brauchen neue Namen bezieht sich zunächst einmal nur auf eine im Roman enthaltene Episode, in der einige Mädchen in Simbabwe sich anschicken, ihrer elfjährigen Freundin Chipo, die von ihrem Großvater geschwängert wurde, das Kind aus dem Bauch zu holen. Um dies zu unternehmen, braucht man eben nicht nur einen geradegebogenen verrosteten Drahtkleiderbügel, sondern auch Doktorennamen, in die sich die Mädchen umbenennen. Der Fortgang des Romans jedoch zeigt, dass die Frage nach dem richtigen Namen keineswegs immer ein Kinderspiel ist – und natürlich ist ja schon diese Szene (die übrigens durch das Auftreten einer Erwachsenen unterbrochen wird) nicht nur ein Kinderspiel.

In der Gesellschaft, in der die Icherzählerin aufgewachsen war, hatte einst ein weiser alter Mann über die Namen der Mitglieder seiner Großfamilie entschieden. Der jedoch ist inzwischen nicht nur nach Michigan geflohen, sondern lebt dort nur noch als Karikatur seiner selbst in einem Pflegeheim, wo er regelmäßig seine traditionelle Kleidung anlegt und verrückte Ansprachen hält. Andere Immigranten erscheinen vernünftiger und geben ihren Kindern englischsprachige Namen, die leicht auszusprechen sind. Damit erledigen sie sozusagen selbst, was früher Sklavenhalter erledigten.

Aber sogar die Kinder im Roman, die noch in Simbabwe geboren wurden und größtenteils dort bleiben, heißen Godknows, Bastard und Darling.

Mengestus Protagonist vollzieht die Streichung von Namen, die das Cover des Romans andeutet, bereits auf dem Weg von Äthiopien nach Uganda. 13 Namen, erzählt er, habe er besessen, solange er sich noch im Land seiner Herkunft aufgehalten habe, jeden für eine Generation, in die sich der Stammbaum seiner Familie verfolgen lässt. Sie alle scheinen aber ihre Funktion zu verlieren, sobald der Träger in ein anderes Land geht.

Wenn dies schon für eine Migration innerhalb Afrikas gilt, wird damit die naheliegende Annahme unterlaufen, bei allen entscheidenden Auswanderungen müsste der Atlantik oder mindestens das Mittelmeer überquert werden. Auch Bulawayo hält immer wieder spielerisch die Unterschiede zwischen verschiedenen afrikanischen Ländern fest, sodass keineswegs eines von ihnen so leicht auf den ganzen Kontinent hochzurechnen ist, wie es die Rede von „Afrika“ allzu häufig nahelegt.

Amacimbi, Ezangaphakathi

Allerdings sollte man keinen der beiden Romane zu schnell auf reale Verhältnisse beziehen, denn beide erfüllen nur in vermittelter Weise die Erwartung, die an literarische Texte, die in Afrika spielen, gern gestellt wird: dass man aus ihnen, in unterhaltsamer Form, etwas über die Geschichte und die Sitten dieser Länder lerne. Bulawayo gestaltet zwar realhistorische Ereignisse wie die Pogrome gegen weißhäutige Bewohner Simbabwes unter dem späten Robert Mugabe, doch das geschieht fast durchgängig aus der Perspektive der kindlichen Darling, die sich deutlich mehr mit dem Essen von Guaven und dem Spielen der Jagd auf Osama bin Laden beschäftigt.

Als Leser muss man sich für diese Perspektive selbst mindestens ebenso interessieren wie für die perspektivierten Sachverhalte, also auch Freude an der Sprache eines jungen Mädchens haben. Wenn es der Übersetzerin Miriam Mandelkow bemerkenswert gut gelingt, das Idiom des Romans nachzubilden, so vielleicht, weil sie sich ein wenig an Wolfgang Herrndorfs Tschick schulen konnte; dass sich Darlings Sprechen von einem kolonialen Kinderenglisch zu einem US-amerikanischen Jugendenglisch wandelt, wie sie es nicht nur selbst thematisiert, sondern auch ihre Autorin schreibend umsetzt, ist freilich im Deutschen bestenfalls anzudeuten. Treu nachgebildet ist hingegen, dass der Text immer wieder von Bruchstücken einer in Simbabwe gesprochenen Sprache durchsetzt ist, die, im Unterschied zur dominanten Praxis von Romanen mit afrikanischen Themen, keineswegs alle übersetzt werden. Ein wenig Unverständlichkeit ist dem Leser zuzumuten, beim Nennen von Gerichten wie Ezangaphakathi, Amacimbi und Umfushwa läuft einem ja ohnehin das Wasser im Mund zusammen.

Von Robert Stockhammer erschien zuletzt eine Studie über Grammatik im Suhrkamp Verlag

Mengestus Roman schlägt einen ganz anderen Ton an. Anders als sein leichtfüßig erzählter Erstling Zum Wiedersehen der Sterne ist Unsere Namen eine eher anstrengende Lektüre, weil man in jedem Satz die Bemühung des Autors merkt, bloß nichts missverständlich zu lassen. Der Roman hat trotzdem nicht Verena Kilchlings besserwisserische Übersetzung verdient, in der man beispielsweise noch in Liebesbeziehungen nicht etwa tut, worum einen der andere bittet, sondern „einer Aufforderung nachkommt“.

Zur Tyrannei

Wie NoViolet Bulawayo verweigert auch Dinaw Mengestu die zu schnelle Destillation historischer Sachverhalte aus einem fiktionalen Text. Er nämlich erzählt von Ereignissen, die in Uganda so nicht stattgefunden haben. Seine beiden männlichen Protagonisten, die selbst nicht studieren, entwickeln auf dem Campus der Universität von Kampala zunächst fantasievolle Formen der Opposition, treten dann jedoch in den Dienst des charismatischen Joseph Mabira, unter dessen Führung die Revolte gegen die repressive Regierung sehr schnell in ein blutiges Gemetzel an der Zivilbevölkerung umschlägt. Der Roman vertritt damit offenbar die nicht mehr ganz neue These, dass in Afrika jeder noch so emanzipatorisch motivierte Aufstand gegen Tyrannei nur in eine noch schlimmere Tyrannei führen könne.

Aber dies ist eben nicht der einzige Handlungsstrang von Unsere Namen. Das im Titel angekündigte Thema ist vor allem auch in die Form des Romans geronnen, in dem zwei Erzählstränge sich kapitelweise abwechseln. Mit dem Namen Isaac sind die in Uganda spielenden Kapitel überschrieben, die auch tatsächlich von einer Freundschaft mit einem Isaac handeln, mit dem Namen Helen hingegen all jene Kapitel, die aus der Perspektive einer Sozialarbeiterin geschrieben sind, die sich im noch immer vom Rassismus geprägten Mittleren Westen der 70er Jahre in einen ihrer Klienten verliebt. Der Wendepunkt der Handlung könnte nachgerade Bulawayos Titel auf Mengestus Roman anwenden: Hier braucht jemand einen neuen Namen, um zu überleben.

Wir brauchen neue Namen NoViolet Bulawayo Miriam Mandelkow (Übers.), Suhrkamp 2014, 264 S., 21,95 €

Unsere Namen Dinaw Mengestu Verena Kilchling (Übers.), Kein & Aber 2014, 336 S., 22,90 €

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