Vorbild Skandinavien – Deutschland braucht neue Wege

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Von Robert Zion

Niemand wird und sollte ernsthaft die zentrale Rolle Deutschlands für Europa und den europäischen Einigungsprozess in Frage stellen. Im Kern geht es auch immer um die Einbindung eines Landes, dessen Geschichte eine überbordender Hegemonialansprüche ist. Solche Hegemonialansprüche einer Nation müssen nicht zwangsläufig machtpolitisch oder militärisch definiert sein, sie können sich auch im Ökonomischen ihren Weg bahnen. Gerade daran muss jetzt erinnert werden, just in dem Moment in dem das Friedensprojekt Europa in eine schwere, existenzielle Krise geraten ist. Vom Selbstbild des ökonomischen Riesen und Hegemons Deutschland und von dem, was Deutschland für Europa in dieser Rolle zu tun gewillt ist, hängt derzeit viel ab – beinahe alles.

Es ist vielleicht eine sehr gewagte These, dennoch sollte sie einmal angedacht werden: Europa droht nicht an Griechenland zugrunde zu gehen, sondern an Deutschland. Genauer, an den regierungsamtlichen Ideologien eines vom Konservativismus und Wirtschaftsliberalismus lange Zeit geprägten Landes. Heute bekommt Deutschland und damit auch Gesamteuropa die Quittung dafür. Dafür, der Türkei den Weg nach Europa verbaut zu haben und dafür, allein an den Dogmen von Wachstum und Wettbewerb orientiert das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht Europas zerstört zu haben. Der Wettbewerbsstaat Deutschland hat seine Vermögensbesitzer geschont, seine Lohnstückkosten permanent gedrückt und damit seine Leistungsbilanz hoffnungslos nach oben gefahren und so die europäischen Freunde in die Enge oder gar kaputt konkurriert.

Auch dem SPD-Vorsitzenden scheint dies zu dämmern, wenn er in der ZEIT schreibt: „Die konservativ-liberalen Ideologien der völlig freien Märkte, des 'Privat vor Staat' und des Steuersenkungswettbewerbs sind katastrophal gescheitert. Europa ist nicht am Euro gescheitert, sondern der Euro an diesem Missverständnis konservativer Ideologien.“ Einsicht ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung. Nur dann, wenn das Scheitern des Plans A festgestellt wird, sollte man auch möglichst rasch einen Plan B haben. Dazu sollte man zunächst einmal das alte ideologische Gerede, so noch Volker Beck bei Studio Friedman vom 15.09.2001, von der bedingungslosen Verteidigung der „Exportnation Bundesrepublik Deutschland“ unterlassen. In Wahrheit haben nämlich auch die Grünen in ihrem Erfurter Beschluss zum Green New Deal vom November 2008 bereits „globale Regeln, die Ländern Anreize geben, keine übermäßigen Handelsdefizite oder Überschüsse zu erzielen“, eingefordert. Ohne eine Politik der ausgeglichenen Leistungsbilanzen im Euro-Raum jedenfalls wird die Krise ihr zerstörerisches Werk weiter fortsetzen. Die von Gabriel und Trittin angekündigte Unterstützung einer Minderheitsregierung der CDU zur Euro-Rettung ist dabei nur eine weitere akute Notfallmaßnahme - mehr nicht.

Der Plan B kann dann nur in einer wirtschafts- und finanzpolitischen Neuausrichtung Deutschlands, des mit Abstand einflussreichsten ökonomischen Akteurs der EU liegen. Deutschland muss, statt ständig die Leistungsbilanz hochzufahren, seine Staatsquote hochfahren, am besten nach dem Vorbild Skandinaviens auf 55 Prozent des BIP. Das heißt im Wesentlichen, seine Sozialleistungen verbessern, mehr Geld in die Bildung und die Forschung stecken, die Lohnentwicklung deutlich nach oben korrigieren.

Deutschland muss zudem die öffentlichen Schulden zurückfahren, die im Kern nichts anderes sind als die Vermögen der Reichen, und deren Vermögensbesitz stattdessen über Steuern einstreichen. Wenn dann Deutschland unter einer zukünftigen Regierung links von der Mitte seine Hausaufgaben macht und somit seinen hegemonialen Wettbewerbsdruck aus dem Euro-Raum herausnimmt, dann kann sich der politische Diskurs in Deutschland vielleicht dem eigentlichen Problem der Krise unserer Wirtschaftsstruktur widmen, deren Ursache Andreas Fisahn von der Uni Bielefeld und aus dem wissenschaftlichen Beirat von Attac auf den Punkt gebracht hat: „Der Hintergrund ist eine ungleiche Vermögensverteilung und eine Überakkumulation des Kapitals bei den Reichen – was dazu führte, dass sie ständig nach neuen Anlagemöglichkeiten suchen müssen."

Der Niedergang der FDP ist auch der Niedergang einer überkommenen politischen Kultur Deutschlands, in der immer auch ein gutes Stück Arroganz mitschwang. Aber eine neue wird nicht von allein entstehen. Dazu muss eine zukünftige Regierung auch wirklich die Machtfrage stellen wollen und den öffentlichen Diskurs zu prägen versuchen, mit neuen gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen, deren Vorbilder wir mit ein wenig Demut, das diesem Land gut zu Gesicht stehen würde, in Skandinavien beobachten können.

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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