Weinsteins Party ist zu Ende

#metoo Wir alle müssen dafür sorgen, dass der Hashtag nicht ergebnislos versandet

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Weinsteins Party ist vorbei
Weinsteins Party ist vorbei

Foto: Rich Polk/Getty Images for The Weinstein Company

Auf die Frage, was Courtney Love jungen Frauen rate, wenn sie nach Hollywood umziehen, antwortete sie einmal: "If Harvey Weinstein invites you to a private party in the Four Seasons, don't go."

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Nur weil Courtney Love, diesen Rat an junge Frauen in Hollywood, einer Komikerin im Interview im Jahr 2005 mitgeteilt hatte, handelte es sich nicht um einen krassen Joke. Es war vollkommen ernst gemeint von ihr. Doch eins nach dem Anderen.

#metoo ist älter als Milanos Tweet

Ein Hashtag geht wieder viral. Unter #metoo berichten Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden davon, was ihnen zugestoßen ist, ungeschönt, ohne Filter. Die aktuelle Hashtag-Aktion hat allerdings eine Vorgeschichte, die erzählt werden mus: Die Bewegung „Me Too“ ist schon älter als Alyssa Milanos Tweet und dem damit verbundenen Hashtag vom 15.10.2017. Gegründet wurde die Bewegung „Me Too“ 2007 von der Sozialarbeiterin Tarana Burke und ihren Unterstützern innerhalb der Jugendorganisation „Just Be Inc.“. Burke gründete „Just Be Inc.“, um nicht-weißen nicht privilegierten Kindern und Jugendlichen eine Möglichkeit zu geben über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt sprechen zu können. Man kann also für die Chronik der Hashtags festhalten, dass Tarana Burke (und nicht nur sie allein) sich für die Opfer sexualisierter Gewalt bereits eingesetzt hat, noch bevor es Hashtags und den #metoo überhaupt gab.

Was sich derzeit jeder öffentlich im Internet an Geschichten unter dem Hashtag #metoo durchlesen konnte, gleicht einer Version der Hölle. Die Hölle, durch die all die Betroffenen teilweise Jahre gehen mussten, weil sie nicht in der Lage waren darüber zu sprechen, was ihnen passiert war. Manche sprachen aber auch immer schon darüber, wurden aber als „Feminazis“ verspottet, die in Augen ihrer Gegner zu offensiv sexualisierte Gewalt an Frauen (und Männern) anprangerten. Mit jeder Hashtag-Aktion, die jetzt noch folgt, wird der Druck sich zu positionieren größer und es wird immer nötiger.

Viele kritisieren Hashtag-Aktionen wie #aufschrei, #whyisaidnothing, #ausnahmslos oder jetzt #metoo, weil sie ja eh nichts bringen würden, den Opfern nur 140 Zeichen Ruhm auf Twitter verschaffen würden, damit sie die Täter fertigmachen können. Diese Liebe und das Verständnis für die Täter, die sich in manchen Verlautbarungen entfalten („Der Star-Produzent Weinstein sei ein Genie“) mutet äußerst bizarr an und hilft den Opfern nicht bei der Bewältigung des Erlebten. Vermutlich verstehen viele nicht, dass sehr viele der Opfer eine lange Zeit über das, was ihnen Geschehen ist, nicht sprechen konnten. Sie sprechen nun unter dem Hashtag #metoo darüber, um der Twitter-Gemeinde und darüber hinaus allen zu zeigen, welches Ausmaß das Problem der sexualisierten Gewalt hat.

If you’ve been sexually harassed or assaulted write ‘me too’ as a reply to this tweet. - Alyssa Milano, Twitter, 15.10.2017

Und das Ausmaß schockiert. Es schockiert nicht nur die Betroffenen, es schockiert alle. Die Nicht-Betroffenen und auch die Täter, die sich unter uns bewegen und lieber schweigen, oder gar nicht erst verstehen, was sie angerichtet haben. Jahrelang hatten sich die Opfer eine Hilflosig- und Tatenlosigkeit antrainiert, die demoralisierend wirkte und sie nicht gerade dazu ermutigte zur Polizei zu gehen (was ein beliebter Einwand der Kritiker der Hashtag-Aktion ist).Die Betroffenen holen sich mit dieser Hashtag-Aktion einen Grad an Selbstbestimmung über ihr eigenes Leben zurück. Was hier geschieht ist eine individuelle Auseinandersetzung mit dem eigenen Erlebten. Sonst sind wir es gewohnt, dass Themen wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen auf höchst abstrakten akademischen Ebenen behandelt werden. Es werden Statistiken zitiert, in Kolumnen und Feuilletons Positionen und Gegenpositionen erarbeitet und es wird viel Abstraktes in den politischen Talkshows dazu gesagt. Zu dieser abstrakten Auseinandersetzung mit dem Thema sind sehr viele Menschen nicht nur fähig, sondern sehr begabt. Nur gibt es neben der abstrakten Auseinandersetzung noch eine individuelle Seite, die immer zu kurz kommt. Genau deshalb sind hier soziale Medien so gut geeignet, um die individuelle persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu beginnen und zu führen. Im Moment verläuft diese noch sehr einseitig, weil es wieder einmal in der Mehrzahl Frauen (und wenige Männer) sind, die von ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt berichten, aber kaum Täter, die sich bekennen, sich dazu äußern oder gar Bedauern kund tun. Ein entsprechendes Hashtag (#Iregret) ist ja schon vorgeschlagen worden, welches aber nicht rege benutzt wird.

Was folgt jetzt?

Für einen kommt das „Bedauern“ seiner Taten wahrscheinlich zu spät, nämlich für Harvey Weinstein. Der „Sex-Skandal“ weite sich aus, schreibt die Bild-Zeitung. Warum ein so reichweitenreiches Medium, wie die Bild-Zeitung es in ihrer 65-jährigen Geschichte es immer noch nicht versteht, sexualisierte Gewalt von Sex-Skandal zu trennen, ist unbegreiflich. Warum wirkt es bisweilen so, als sei Weinstein ein Opfer? Warum haben die Chefredakteure Julian Reichelt und Tanit Koch nicht aus Rücksicht auf die Opfer die geschmacklosen Verharmlosungen sexualisierter Gewalt in der Bild-Zeitung, sowohl online, als auch im Print, nicht ändern lassen oder einfach gestrichen? Vielleicht überwiegt die Chance auf eine gute Auflage und hohe Klickzahlen das Schicksal der Opfer. Es ist verachtenswert.

Deswegen: Hört nicht auf über eure Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt zu sprechen. Es gibt viele Menschen da draußen, die euch glauben. Achtet nicht auf jene, die euch verspotten und verhöhnen. Sie wissen nicht was sie tun. Sorgt dafür, dass viele Fälle in Bezug auf Weinstein und andere Täter bekannt werden, sodass das juristische Nachspiel für sie ein Nachhaltiges wird. Auch Männer sind Opfer, auch Männer sollen darüber sprechen und nicht so tun, als seien Frauen die einzigen Opfer sexualisierter Gewalt. Es ist tragisch, dass sich erst massenweise Opfer individuell melden müssen, damit ihnen das, was ihnen zugestoßen ist, geglaubt wird. Darum müssen alle weiterhin dafür sorgen, dass der Hashtag nicht ergebnislos versandet. Weinsteins Party ist zu Ende.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rajner Tatz

Angestellter | Politik, Medien und Gesellschaft | Jeder Mensch hat seine eigene Sprache. | I don't read comments, write a piece on your own.

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