Abschied bis morgen

Bühne Das Deutsche Theater in Berlin startet mit einem Monolog ins neue Jahr: Oliver Bukowskis "Der Heiler" ist zugleich der langsame Abschied des großen Jörg Gudzuhn vom Haus

Die erste Premiere 2011 am Deutschen Theater in Berlin war etwas Besonderes, weil die Uraufführung eines Monologs. Seit Aischylos vor 2.500 Jahren den zweiten Schauspieler eingeführt hat, sind solche Alleingänge selten. Das DT jedoch hat damit seit jeher gute Erfahrungen. Manche Inszenierung brachte es auf über 200 Vorstellungen. Bei Leben bis Männer von Thomas Brussig reichte es „nur“ zu gut 100, bis es letzten Sommer abgespielt war. Der Protagonist war seinerzeit Jörg Gudzuhn, und der bestritt in den Kammerspielen nun auch besagte Uraufführung.

Gudzuhn ist 65 Jahre alt, seit 40 Jahren Schauspieler, davon fast 25 am DT. Das wirft die Frage auf, warum er sich die Strapaze eines Monologs noch antut. Auch anders herum ist die Frage legitim: Warum findet sich für ihn keine große Rolle in einem Ensemblestück? Eine Antwort könnte lauten: Weil es keine Ensembles mehr gibt, zumindest keine, die über lange Zeit gewachsen sind und künstlerisch an einem Strang ziehen – möglichst auf derselben Seite. Ein Theater gleicht heute einem Wirtschaftsunternehmen, das bei einem Leitungswechsel das Gros des Führungspersonals austauscht. Dass das dem Zusammenhalt und dem künstlerischen Profil nicht förderlich ist, leuchtet auf Anhieb ein. Ob früher alles besser war, sei dahingestellt. Gudzuhn jedenfalls, so war zu lesen, hadert mit der Gegenwart des Theaters (nicht nur des DT) offenbar so sehr, dass er mit der aktuellen Arbeit seinen Abschied nimmt. Dass sich das neue Stück von Oliver Bukowski um dieses Thema dreht, trifft sich also gut.

Es heißt Der Heiler und handelt von dem Psychotherapeuten Prof. Dr. Matthes Grebenhoeve, der, schmerzlich und heilsam zugleich, erfahren muss, dass er genau das nicht ist: ein Heiler. Seine letzte Patientin hat sich umgebracht, und er wurde nackt neben der Leiche gefunden. „Professor Pervers“ titelt das Boulevardblatt, das am Rand der Bühne liegt, die in klinischem Weiß gehalten ist, das Aussehen einer Gummizelle und die Ausmaße eines Boxrings hat (Bühne Hans-Jürgen Nikulka). Für sein „unstandesgemäßes“ Verhalten muss sich Grebenhoeve vor einer Kommission verantworten. Er spricht in ein Mikro, das über ihm baumelt, vor allem aber zum Publikum und rekapituliert mit Wut und Wehmut den Hergang der Geschichte, in deren Verlauf sich sämtliche Gewissheiten in Luft auflösen. Der Clou des Stücks ist, dass der renommierte Fachmann den Macht- und Kontrollverlust als Befreiung schildert – eine Befreiung, die auch dem Theater zu wünschen ist, das sich selbst allzu oft als allwissender „Heiler“ begreift und entsprechend großkotzig oder abgeklärt auftritt.+

Bis zum Ende ist noch Zeit

Unter der Regie seines Weggefährten Piet Drescher führt Gudzuhn vor, dass es auch anders geht. Die Gänge und Gesten, die er in den 90 Minuten vollführt, lassen sich an zwei Händen abzählen. Gudzuhn konzentriert sich auf die Sprache, die er, oft gegen die Erwartung, variiert und moduliert. So schafft er eine Spannung, die im Parkett eine ungeheure Konzentration und Aufmerksamkeit erzeugt – und tiefer in die beschriebenen Vorgänge blicken lässt als jede sich noch so wissend gebende Lesart eines „Inhalts“. Es ist dieser vermeintliche „Umweg“ über das Wie der Darstellung, das diesen kleinen Abend groß und wichtig macht. Den Abschied vom Ensemble des DT mag Gudzuhn damit vollzogen haben, doch bis zum Abschied von der Bühne hat es wohl noch Zeit: Sein letzter Monolog lief fast zehn Jahre lang.

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