Provoziertes Leben

Nachruf Sein Programm war die permanente Verunsicherung und Infragestellung von künstlerischen Gewissheiten: Ein Nachruf zum Tode des Theaterregisseurs Jürgen Gosch

Am Donnerstag ist in Berlin der Theaterregisseur Jürgen Gosch gestorben; er wurde 65 Jahre alt. Noch vor wenigen Wochen wurden ihm mehrere Ehrungen zuteil: zwei Einladungen zum Berliner Theatertreffen, stehende Ovationen nach der Premiere von Roland Schimmelpfennigs Idomeneus und schließlich die Verleihung des Berliner Theaterpreises. Die beiden letzten Anlässe konnte Gosch nurmehr im Rollstuhl sitzend respektive gar nicht wahrnehmen. Dass seine Theaterarbeit diese Auszeichnungen verdient hat, steht außer Frage; typisch ist solch geballte Wertschätzung jedoch nicht: Die weitaus meiste Zeit seines Berufslebens stand Gosch eher in der Schusslinie von Publikum, Presse und Politik als in deren Gunst.

Gosch, 1943 in Cottbus geboren, studierte in (Ost-)Berlin Schauspiel und war anschließend in Parchim und Potsdam engagiert. Seinen Fähigkeiten als Darsteller misstrauend, verlegte er sich zusehends auf die Regie. Schließlich landete er an der Berliner Volksbühne, wo ihm 1978 ein wahrer Paukenschlag gelang: Seine Inszenierung von Leonce und Lena brach einerseits mit dem herrschenden Klassikerverständnis, andererseits zeichnete es die Absurdität von Büchners Pipi-und-Popo-Reich derart „werktreu“ nach, dass eine Verwechslung mit real existierenden Staaten unvermeidlich war. Eine Weiterarbeit in der DDR war auch ohne offizielles Verbot unmöglich.

So landete Gosch im Westen, in Hannover, Bremen, Köln und Hamburg, und schuf in den 80er Jahren umstrittene Inszenierungen wie König Ödipus von Sophokles, in der die Spieler Maske und Kothurn trugen, oder Gorkis Nachtasyl, in das der Flügel eines Flugzeugwracks ragte. In all diesen Arbeiten finden sich Merkmale, die – ungeachtet der Details – bis zu den letzten Inszenierungen überdauert haben: eine zwar prägende, aber stets abstrakte Bildlichkeit, der Verzicht auf jeden Realismus, stattdessen der Versuch, aus der genauen Stück-Lektüre heraus je adäquate Spielformen zu entwickeln.

Ein unwiderbringlicher Verlust

Wohl wegen dieser Betonung des Schauspiels wurde die (West-)Berliner Schaubühne auf Gosch aufmerksam, und wohl deshalb scheiterte seine Berufung zum künstlerischen Leiter schmählich. Denn am Kudamm verstand man darunter vor allem Mitbestimmung und feste ideologische Positionen. Permanente Verunsicherung und die Infragestellung von (auch künstlerischen) Gewissheiten waren ungewohnt und unerwünscht. Von diesem Konflikt war schon Goschs Antrittsinszenierung imprägniert, und selten ist eine Theaterarbeit derart verrissen worden wie sein Macbeth von 1988. Von der Vehemenz der Ablehnung völlig überrascht, zog Gosch sich nach nur einem Jahr zurück.

Der Schock muss tief gesessen haben, denn auch Thomas Langhoffs Einladung, am Deutschen Theater im Ostteil Berlins zu arbeiten, führte nicht zur alten Produktivität. Ein Grund mag gewesen sein, dass Gosch ein Bühnenbildner fehlte, dessen Denken sich mit seinem so eng verschränkt, wie es in den 80er Jahren mit Axel Manthey der Fall war. An der Schaubühne hätte es Gero Troike werden sollen, doch erst Mitte der 90er Jahre fand Gosch mit Johannes Schütz wieder einen solchen Partner. Seither entstanden Arbeiten, von deren Wichtigkeit die Debatten zeugen, die sie anstießen – allen voran der Düsseldorfer Macbeth und der Streit um das sogenannte Ekeltheater.

Beides liegt erst drei Jahre zurück, und heute ist der Skandal auf breiter Front verziehen. Befördert wurde der öffentliche Sinneswandel durch zwei Tschechow-Inszenierungen am Deutschen Theater, Onkel Wanja und Die Möwe, die ohne Theaterblut und Nacktheit auskommen und deshalb das Missverständnis nahelegen, einer seelischen „Innerlichkeit“ zu frönen und deshalb „gesittet“ zu sein. In Wahrheit finden sich darin dieselben Merkmale, die schon die frühen Arbeiten so inkompatibel und umstritten machten. Und auch wenn Goschs Theaterarbeit alle Auszeichnungen verdient hat: Wer nur den derzeit von Publikum, Presse und Politik so Gefeierten in Erinnerung behält, kennt diese Arbeit nicht. Und das ist seit letztem Donnerstag ein unwiederbringlicher Verlust.

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