Ausländische Anti-Kreml-Agenten überall?

Russland Privatpersonen, die bei politischem Engagement Unterstützung aus dem Ausland bekommen, droht jetzt eine Zwangsregistrierung. Kritik daran üben nicht nur Liberale.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das neue Agentengesetz

Die Staatsduma, das russische Parlament, hat mit großer Mehrheit getragen von der Putinpartei "Einiges Russland", ein Gesetz verabschiedet, das die Pflichten zur dortigen Registrierung als „ausländischer Agent“ erheblich verschärft. Diese traf seit 2012 bereits Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland Gelder empfingen. Sie mussten sich speziell registrieren, hatten Auskunfts- und Kennzeichnungspflichten bei ihren Aktionen und Publikationen. Diese Pflicht traf in der Vergangenheit renommierte Institutionen wie das Umfrageinstitut Lewada ebenso wie Medien, die tatsächlich ein Stückweit im Interesse ausländischer Mächte auf Russisch aktiv sind, wie den US-Regierungssender Radio Liberty.

Es führte unter anderem dazu, dass sich einige russische Organisationen von der internationalen Arbeit wie Konferenzen und Kongressen aus Angst vor dieser Registrierung zurückgezogen haben. Registrierte NGOs hätten laut einem Bericht der Zeitung Kommersant teilweise ihren Betrieb aufgegeben, denn sie geraten durch ihre Berichtspflicht massiv in die Mechanismen der Behördenbürokratie und hätten beispielsweise Probleme, Veranstaltungsräume zu buchen oder Kontakte zu knüpfen. Die Registrierung als Agent ist ein sichtbares Stigma.

Maßnahmen und ihre Begründung

Durch das aktuelle Gesetz wird nun die Pflicht zur Registrierung auf Privatpersonen ausgeweitet, sowie auf nicht registrierte Gruppen von Privatpersonen, wie kleine Initiativen. Etwa auf Russen, die für derartige Organisationen arbeiten und damit automatisch selbst zum meldepflichtigen Auslandsagenten werden - formalrechtlich sogar die dortige Putzkolonne. Zusätzlich erstreckt sich die neue Pflicht auf alle, die sich politisch engagieren und dafür, wie es die Duma ausdrückt „Unterstützung aus dem Ausland erhalten für finanzielle, materielle, organisatorische oder methodische Aktivität.“ Wer dann auf der Liste steht, muss alle sechs Monate einen Bericht über seine Aktivitäten und den Zufluss ausländischer Mittel vorlegen. Bei Nichtbeachtung von Regeln drohen horrende Strafen bis hin zu fünfjähriger Haft.

Gesetzesinitiator Wassili Piskarew von „Einges Russland“ begründete das Gesetz unter anderem mit der „Verhinderung von Eingriffen in die inneren Angelegenheiten“ Russlands und greift damit eine häufige Angst der russischen Offiziellen auf: Von außen initiierte oder verstärkte Unzufriedenheiten in der russischen Bevölkerung könnten ihre eigene Macht gefährden - Stichwort "Farbrevolution". Diese Angst ist von den Ambitionen westlicher Akteure nicht unbegründet. Denn - wenn sie es auch anders formulieren - arbeiten tatsächlich einige vor allen US-amerikanische Medien und Organisationen in Russland oder auf Russisch mit diesem Ziel. Dementsprechend werden nun Privatleute, die als Auslandsagenten registriert sind, zusätzlich von der Ausübung von Ämtern in der Regierung ausgeschlossen. Ihre Veröffentlichungen dürfen von Medien nur weiterverbreitet werden, wenn diese den Status der Betroffenen als Auslandsagenten erwähnen. Durch eine Änderung in letzter Minute besteht diese selbst unter den zahmen russischen Parlamentariern nicht unumstrittene Kennzeichnungspflicht nicht für Einzelblogger und die Privatpersonen selbst.

Das Gesetz wurde bei seiner Verabschiedung durch weitere Maßnahmen flankiert. So wurden Regelungen für öffentliche Kundgebungen verschärft, insbesondere ihre Finanzierung und Rechte der von dort berichtenden Journalisten eingeschränkt. Weitere neue Gesetze ermöglichen das Sanktionieren Sozialer Netzwerke, die russische Medien zensieren oder nach russischem Recht illegale Inhalte verbreiten. Das klingt nicht politisch, betrifft aber unter anderem die in Russland nicht legale „Beleidigung von Regierungsstellen“, über die es immer wieder zutiefst politische Auseinandersetzungen bezüglich der Interpretation gibt.

Kritik unter russischen Fachleuten

Die russische Politologin Tatjana Stanowaja, Gastexpertin am Moskauer Carnegiezentrum, sieht in der aktuellen politischen Entwicklung, neben dem neuen Agentengesetz auch Äußerungen Putins bei seiner jüngsten Pressekonferenz, die Aufhebung der Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik. Oppositionelle wie etwa Nawalny seien für Russlands Obrigkeit keine Politiker, sondern Werkzeuge in den Händen ausländischer Geheimdienste. Der außerparlamentarischen, liberalen Opposition werde nach ihrer Meinung der Krieg erklärt - es gäbe für die Regierungspartei nur die, die für sie sind und die Gegner - ein polarisiertes Weltbild.

Dabei dient die tatsächlich vorhandene Einflussnahme auf innenpolitische Prozesse in Russland - allen voran von den USA - als Grund für Verschärfungen, die nun vor allem Russen betreffen, die nicht die Regierungsmeinung haben. Daran äußern nicht nur liberale russische Experten Kritik, sondern sogar solche aus dem Umfeld der russischen Regierung. In einer Analyse des russisch-amerikanischen Verhältnisses stellt der bekannte Moskauer Politikwissenschaftler Iwan Timofejew vom Russischen Rat für Auswärtige Angelegenheiten zunächst fest, dass die US-Regierung unter Biden in der Tat prowestliche Gruppen in Russland tatsächlich finanziert und indoktriniert.

Die Gefahr, die für Russland dadurch ausginge, werde jedoch übertrieben. Einem innerlich gesunden Russland könnten sie nach seiner Meinung nicht schaden. Am besten bekämpfe man sie, indem man geschürter Unzufriedenheit den Nährboden entziehe, etwa die Korruption vermindere, eine offenere Gesellschaft schaffe oder das staatliche Management effektiviere. Konzentriere man sich stattdessen nur auf den Kampf gegen „westliche Intervention“, werde man zu diesem Zweck neue Bürokratien und Unzufriedenheiten unter den Russen schaffen. „Unerbittliche Befürworter der Säuberung von allem und jedem sind die besten Verbündeten der Vereinigten Staaten“ meint er in seiner Analyse für den Waldaj-Club, wo auch Putin selbst gerne auftritt. Timofejews Organisation, der "Russische Rat für Auswärtige Angelegenheiten" ist dabei unter anderem eine Gründung zweier russischer Ministerien.

Haltet den Dieb

Die Befürworter harter Maßnahmen sind entgegen dem Rat des Experten aktuell im russischen Politestablishment dominant in der Offensive und verschärfen Regelungen am laufenden Band. Putin selbst hält sich aus diesen Maßnahmen im Detail heraus, deckt sie jedoch durch flankierende Äußerungen, die immer wieder große Gefahren für die russische Stabilität im Inneren heraufbeschwören - durch Diversanten des Westens. Obwohl keine explizit prowestliche Kraft im Land eine nennenswerte Zahl von Anhängern besitzt.

Dass der Rückgang seiner immer noch hohen persönlichen Popularität in den letzten Jahren nicht auf Auslandsmedien oder US-NGOs zurückzuführen ist, sondern auf sinkende Reallöhne, eine kriselnde Wirtschaft und einen zunehmend verkrusteten Staatsaufbau, müsste ihm aber bekannt sein, denn zur Analyse der Stimmung der Russen unterhält der Geheimdienst des Kreml eine eigene, hochklassige Abteilung. So muss leider davon ausgegangen werden, dass man hier gegen den Rat der Experten den Blick angesichts der Misstände auf einen Sündenbock lenkt, der zwar mit Sicherheit keine guten Absichten hat, aber an der Mehrzahl der sichtbaren Schieflagen in Russland nicht schuld ist. Haltet den Dieb.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden