Wir schreiben den September 2012. Ein Referent, der mit seinem langen Rauschebart russischer nicht aussehen kann, spricht auf einer Konferenz der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Moskauer Elite-Universität MGIMO. Das Thema lautet: Gemeinsame Werte – der Konservativismus in Russland und Deutschland. Aufschlussreich ist, wer hier gemeinsame Werte mit den deutschen Christdemokraten haben soll. Es handelt sich um Alexander Dugin, rechtsnationaler Philosoph und Symbolfigur der neurechten Eurasischen Bewegung, nicht erst seit dem tödlichen Anschlag auf seine Tochter Darja Dugina (der Freitag 34/2022) in der russischen Öffentlichkeit präsent. Auf der Konferenz seinerzeit darf er laut Bericht der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung zum Ausdruck bringen, dass Gemeinschaft und Gesellschaft für russische Konservative wichtiger seien als das Individuum.
Nie gekündigt
Dass Dugin kein demokratisch denkender Konservativer ist, war zu diesem Zeitpunkt über Russland hinaus gut bekannt. Er galt seit den 1990er-Jahren als prominenter ultrarechter Hardliner. Zwei Jahre nach der Konferenz von 2012 verlor er wegen eines Mordaufrufs gegen Sympathisanten der ukrainischen Regierung seine Professur in Moskau. Damals herrschte im Kreml noch kein mit heute vergleichbares Klima. Dass Dugins Extremismus seit jeher auf einem ultrakonservativen Gedankengut beruht, ist nicht ungewöhnlich. In der Regel allerdings berufen sich russische Ultranationalisten mehr auf eine monarchistische Tradition – eine stark durch den Ukrainekrieg geprägte rechte Diktatur hat es in der russischen Geschichte vor Wladimir Putin nicht gegeben.
Warum die Konrad-Adenauer-Stiftung Alexander Dugin als Fachreferenten engagierte, wollte sie auf Rückfrage des Autors nicht beantworten. Neben Dugin waren auf jener Konferenz auch Funktionäre der Putin-Partei Einiges Russland zu Gast, etwa Jurij Schuwalow, stellvertretender Vorsitzender des Generalrates der Partei. Dies entsprach den damals vorzüglichen Beziehungen. Schon 2009 hatten Mitglieder der Jungen Garde, dem Nachwuchs der Kreml-Partei, am CDU-Wahlkampf in Thüringen teilgenommen. Der von dort kommende CDU-Bundestagsabgeordnete Manfred Grund überbrachte danach dem Parteitag von Einiges Russland Grüße Angela Merkels. Die Partei könne stolz sein auf ihren Nachwuchs, zitierte ihn der Spiegel bei seinem Besuch des Putin-Wahlvereins. Dabei gingen die Kontakte zwischen der CDU und Einiges Russland über gegenseitige Besuche um einiges hinaus, vorrangig bei der Parteijugend. Im Februar 2010 sprach Einiges Russland offiziell von einer Partnerschaft, die zu einem gemeinsamen Aktionsplan zwischen Junger Union und Junger Garde geführt habe. Das forderte Kritik heraus. „Fragwürdige Freundschaft zur Putinjugend“ titelte im November des gleichen Jahres der Spiegel.
Wladislaw Below vom Europainstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften gab 2017 in einem Interview mit dem Magazin Russland.direct sogar an, es wäre schon 2006 ein Kooperationsabkommen zwischen der CDU und Einiges Russland geschlossen worden. Dafür habe er von russischer Seite die Kontakte geknüpft – über wen sonst als die Konrad-Adenauer-Stiftung? Der Vertrag sei nach seiner Kenntnis nie gekündigt worden, irgendwann habe ihn die CDU einfach nicht mehr umgesetzt. Die Adenauer-Stiftung spricht später gegenüber dem US-Sender Radio Swoboda von „Kontakten“ – ausdrücklich nicht von „Zusammenarbeit“.
Für den russischen Teil war die CDU als Kooperationspartner erste Wahl. Einiges Russland betrachtet sich bis heute selbst als konservativ, als Volkspartei und Garant innerer Stabilität. Ihr sei die Merkel-CDU als ideales Pendant erschienen, gibt Wladislaw Below im Interview an. Eine vergleichbare Auffassung wurde von den Christdemokraten mit Blick auf die Kremlpartei wahrscheinlich nicht geteilt. Sie sahen es hingegen als ihre Mission, durch Kooperation demokratische Werte zu vermitteln. Nur wäre zu fragen, wie ein solches Ansinnen bei Einiges Russland jemals aussichtsreich gewesen sein soll. Die Partei war seit ihrer Gründung 2001 ein Machtvehikel, blieb dem Mandat von Bürokraten ausgeliefert und war gegen Korruption nicht gefeit.
Der KP-Vorsitzende Gennadij Sjuganow meinte 2010 über die Putin-Partei, also zur Zeit eines durchaus guten Einvernehmens mit der CDU: „Einiges Russland hat keine Ideologie, kein klares Programm, aber zwei Ziele: Den Machterhalt und den Zugriff auf die Hauptkasse – den Haushalt.“ Der verstorbene Michail Gorbatschow bezeichnete die Partei 2011 als„schlechte Kopie der KPdSU“. Ihr Konservativismus beschränkte sich auf den Erhalt der Macht und favorisierte einen reaktionären Weg zurück in die Vergangenheit, wie er sich im Kriegsjahr 2022 in besonderer Weise manifestiert. Spät dämmerte das wohl auch den deutschen Konservativen. Zum Zeitpunkt des Below-Interviews 2017 war vom freundlichen Austausch zwischen CDU und Einiges Russland bereits nichts mehr übrig.
So begannen die Putinisten zu dieser Zeit, nach Kontakten mit einer anderen deutschen Partei Ausschau zu halten, die es mit der Kritik an russischen Demokratiedefiziten nicht so genau nahm. Heute ist es die AfD, die sich mit Putins Parteigängern partnerschaftlich verbunden fühlt.
Mantel des Vergessens
Philipp Despot, Pressereferent der Jungen Union, erklärte zur früheren Verbindung mit der Jungen Garde, dass es in der Amtszeit des aktuellen JU-Vorsitzenden Tilman Kuban keinerlei Kooperation mit dem russischen Verband gegeben habe und man „fest und geschlossen“ an der Seite der Ukraine stehe. Doch Kuban sei erst seit 2019 JU-Chef, und zu früheren Partnerschaften könnten nur seine Vorgänger Auskunft erteilen. Die CDU und ihr Nachwuchs fallen derzeit durch viel Härte in Richtung Russland auf. Aktuell befürworten sie unter mehreren Alternativen – sei es bei Waffenlieferungen oder EU-Einreisebeschränkungen für Russen – stets die radikalste, selbst wenn die Rechtfertigung pauschaler Visumsperren EU-weit umstritten ist. Über die Auftritte russischer Ultranationalisten bei eigenen Events breitet man dagegen den Mantel des Vergessens.
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