Kasan-Amoklauf: Riesenproblem Waffenbesitz

Russland Nach dem dortigen Schulmassaker hat sich in Russland eine Diskussion über Waffengesetze entzündet. Doch der Schusswaffenbesitz im Land ist wenig kontrollierbar.

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Ganz Russland ist erschüttert vom Schul-Amoklauf in der Wolgametropole Kasan. Entsetzt sind viele auch davon, dass der 19jährige mutmaßliche Täter, der in Sozialen Medien sehr wirr auftrat („ich fühle mich wie ein Gott“), die Tatwaffe, ein Jagdgewehr türkischer Herstellung, legal besaß. Die Lizenz erhielt er erst vor wenigen Wochen, wo sein offensichtlich gefährlicher Geisteszustand nicht wesentlich besser gewesen sein dürfte, als bei der Schreckenstat.

90 % der Antragsteller erhalten ein Schusswaffenlizenz

Die Anforderungen für einen Waffenkauf in Russland sind bisher nicht sonderlich streng. Nach einem der wenigen deutschsprachigen Berichte zu diesem Thema der Moskauerin Julia Dudnik von 2017 erhalten etwa 90 % der gut 500.000 Antragsteller pro Jahr eine Genehmigung. Formal darf keine psychische Beeinträchtigung, keine Suchterkrankung und keine Sehstörung bestehen. Ein Schießtraining ist Pflicht, das nach Auskunft des TV-Senders Doschd insgesamt sechs Stunden dauert.

Doch die Prüfung dieser Voraussetzungen wird nach russischen Presseberichten von den Behörden teilweise lasch gehandhabt - was der Fall des Schützen von Kasan leider äußerst tragisch unterstreicht. Er war nach Informationen des russischen Medienportals RBK in seinem privaten Umfeld als aggressiv bekannt, es lag die Diagnose einer Geisteserkrankung vor und er flog kürzlich von der Schule, in der er seinen Amoklauf verübte. Er kündigte allerdings nach Recherchen der Zeitung gazeta.ru seine Taten im privaten Umfeld nicht an, eine Leidenschaft für Kriege und Geschichte teilte er mit zahlreichen männlichen Altersgenossen im Land. Erst kurz vor dem Angriff habe er sich von seinen sozialen Kontakten komplett zurückgezogen.

Rufe nach schärferen Waffengesetzen

Es ist dennoch nicht verwunderlich, dass Russlands Präsident Putin noch am Tag des Anschlags seine Verwaltung mit einer Überprüfung der Waffengesetze beauftragte. Just am folgenden Tag verabschiedete ein Parlamentsausschuss einen Gesetzesentwurf zur Regulierung des Waffenumlaufs - der nach dortigen Angaben nichts mit der Gewalttat in Kasan zu tun habe, sondern schon länger in Arbeit sei. Es würden neue Möglichkeiten geschaffen, eine Lizenz abzulehnen oder zu widerrufen, etwa bei Trunkenheit. Bau- und Pflegeanleitungen im Internet würden verboten.

Eine Verschärfung dieser Regelungen hat im Land kompetente Unterstützer. So befürwortet etwa der frühere FSB-Offizier und Vorsitzende der Gewerkschaft der Antiterroreinheit Alfa Alexei Filatow weniger Schusswaffen im Privatbesitz. Je mehr Waffen die Bürger haben, desto häufiger werden sie schießen - und das nicht nur zu dem Zweck, für die sie die Waffe beschafft haben, gibt er der Onlinezeitung lenta.ru an. Der Experte Dmitry Filatow von der russischen Nationalen Waffenvereinigung plädiert weiterhin gegenüber RIA Novosti für eine Anhebung des Mindestalters für einen Waffenschein auf 21 Jahren. Schon 2018 hatte es in Kertsch auf der jetzt russischen Krim einen ähnlichen Amoklauf eines 18jährigen gegeben - mit dem gleichen Gewehrtyp wie in Kasan.

Es gibt auch andere Meinung im Land, etwa eine Vereinigung für das Recht auf privaten Waffenbesitz. Niemand glaubt wirklich, dass man privates Waffeneigentum in Russland durch Restriktionen etwa so weit zurückdrängen könnte, wie in Mitteleuropa. Denn etwa in abgelegenen Gegenden der russischen Weite kann der Besitz einer Schusswaffe zur Jagd durchaus lebenswichtig sein.

Massives Problem der illegalen Schusswaffen

Ob gesetzliche Restriktionen etwas helfen, bezweifeln ebenfalls einige Experten. Ex-Geheimdienstoffizier Filatow verweist hierzu auf die zahlreichen Möglichkeiten in Russland, eine Waffe nicht legal, sondern auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen. Die Mehrheit der Straftaten wird nicht mit legal erworbenen Waffen, sondern mit solchen aus dunklen Quellen begangen. Auch der dringend Tatverdächtige von Kasan hatte in seiner Wohnung noch eine weitere Schusswaffe, unvollständiges Zubehör zum Bombenbau und reichlich Munition.

Ein Problem, auf das Julia Dudnik in ihrem Beitrag hinweist, ist der große Grundstamm an nicht registrierten Privatwaffen, der in Russland noch aus früheren Epochen besteht. In den chaotischen 90er Jahren war die Beschaffung praktisch jeden Gewehrs oder Pistole ohne Einschränkung möglich, Handfeuerwaffen aus Sowjetbeständen verschwanden in private Hände. Da Waffen bei guter Pflege über Jahrzehnte gebrauchsfähig bleiben, bestehen die dadurch entstandenen Probleme bis heute. Illegale Waffen sind so verbreitet, dass in der zur Russland gehörenden Kaukasusrepublik Inguschetien erst in dieser Woche die Behörden ihren Bürgern anboten, illegale Feuerwaffen straffrei abgeben zu können - sogar ohne Gang zur Polizeidienststelle und mit Servicetelefon für Abgabewillige.

Manche Experten glauben wegen der mannigfaltigen Probleme nicht, dass sich beim Thema Waffenbesitz in Russland in nächster Zeit wirklich viel ändern wird. Etwa Michail Kretschmar, Herausgeber einer wichtigen Jagdzeitschrift. Nach seiner Ansicht gibt es keine gesetzlichen Möglichkeiten, dieses Problem wirklich in den Griff zu bekommen. Die Diskussion über Maßnahmen zur Verschärfung der Gesetze werde in einigen Monaten versanden. Recht könnte er wohl nur behalten, wenn es, wie alle hoffen, keine derartigen Gewaltvorfälle mehr im Land gibt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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