Linksparteiliche Struktur & Integrität angesichts #LinkeMeToo

Debatte Das deutsche Pressewesen überrascht in 2022 mit der öffentlichen Debatte um #LinkeMeToo, während die Funktionsträger*innen der Linkspartei meist verlässlich agieren, was anhand einiger paradigmatischen Statements umrissen sei.

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Am meisten an der #LinkeMeToo-Debatte überrascht mich, dass sie sich in 2022 ereignet und dass die deutsche Presselandschaft sich nunmehr mit Beiträgen überschlägt, während sie sich zuvor wenig für die Thematik interessierte, und dass im Zuge dessen sogar eine Kritik an der langjährigen Kreis- und Landesvorsitzenden (für Frankfurt resp. Hessen) Janine Wissler salonfähig wird, wo man zuvor allzugern vor allem auf wohlmeinende, seichte und inhaltsleere Hochglanzporträtierungen in der Frankfurter Presse oder auf „hübsche“ (sexism rules!) Positionierungen in Talkshows setzte.

Während in den vorliegenden Zeilen die Analyse, warum gerade in 2022 die Debatte in Partei, Presse und Öffentlichkeit losbricht, schuldig bleibt, sei im weiteren hingegen der Augenmerk auf den zweiten Aspekt gelenkt, nämlich auf die Integrität der Linkspartei in dieser Situation der öffentlichen Aufmerksamkeit und auf die Facetten dieser Verlässlichkeit.

Am konsequentesten, wenn auch am eigenwilligsten, ist wohl das Reagieren von Marjana Schott, die ihren stellvertretenden Landesvorsitz (Hessen) und zugleich ihre Partei-Mitgliedschaft niederlegt1 und zudem eine Hauptträgerin von #LinkeMeToo verklagen will.2 Denn Amtsniederlegung und Austritt Schotts erfolgen freilich nicht wegen der Vielzahl berichteter sexistischer Vorfälle, sondern wegen derer öffentlichen Thematiserung.
Fehlendes Schuldbewusstsein und fehlende Reflektionsfähigkeit mag man das zunächst nennen, tatsächlich geht es aber m.E. etwas tiefer, nämlich darum, die Struktur und das Strukturelle der Linkspartei sowie die 15jährige Parteigeschichte zu schützen, deren Bestandteil Schott ja selbst ist. In diesem Falle geht dieses Schützen der Struktur also den etwas eigenwilligen Weg, dem Druck durch Presse und der parteiinternen #MeToo-Artikulierenden mit einem Austritt zu entweichen und gleichzeitig verhärtet am Strukturellen festzuhalten: Die Partei hat immer Recht, auch nach diesem Austritt, der bezüglich des Ideologischen und Strukturellen gar keiner ist.

Das Thematisieren von Struktur, dem Strukturellen oder dem Programmatischen der Linkspartei findet sich gegenwärtig in zahlreichen Statements von Funktionsträgern der Partei. In kaum einem Fall aber scheinen die Sprechenden zu wissen, was sie da sagen. Denn erstens kennt die Partei nur diese eine 15jährige Struktur, zweitens sind alle heutigen Amtsträger*innen aus dieser Struktur hervorgegangen, drittens sind sie damit selbst Bestandtteil dieser Struktur und können daher viertens von ihrem jetztigen Standpunkt aus gar nicht diese Struktur, diese DNA, deren Teil ihre einzelnen Individualitäten wie Parteifunktionen sind, in Frage stellen. Das Totalen kennt entweder kein Außerhalb oder es verdammt es --- begleitet von dem üblichen Gekreische von "Lügenpresse", "Nestbeschmutzung" oder "Schmutzkampagne".

Nötig wäre zunächst ein Abstandnehmen von der Partei (ideell oder materiell), von ihrer Struktur, von ihrem Strukturellen, damit dann eine glaubwürdige Auseinandersetzung erfolgen könnte. Eben dieses Abstandnehmen, dieses Zur-Seite-Treten, findet sich dieser Tage unter den Verantwortlichen der Linkspartei kaum. Vielleicht mag man es im „Zurücktreten der falschen Vorsitzenden“ erahnen und übrigens formuliert Susanne Hennig-Wellsow nicht nur ehrlich den katastrophalen Zustand der Linkspartei, sondern kritisiert den Umgang mit Sexismus in der Partei und nicht die Existenz des Sexismus‘.3 Bei ihr geht offensichtlich das Schützen der Partei-DNA nicht so weit, dass sie die Offenlegung des Sexismus‘, der nicht unwesentlicher Bestandteil der Partei-DNA ist, als überraschende neue Enthüllung heuchelt.


Viele andere Funktionsträgerinnen aber sind so sehr Bestandtteil der Struktur, dass ihnen deren Schutz, der eben auch Selbstschutz ist, über alles stellen:



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Ich weise die Unterstellung, ich hätte bereits vor November 2021 bzw. dem Jahreswechsel 2021/2022 Kenntnis über Vorwürfe von sexueller Belästigung und Machtmissbrauch gehabt, entschieden zurück. Es gibt nichts, was das belegt, weil es nicht so war. Hätte ich Kenntnis von derartigen Vorwürfen gehabt, wäre ich tätig geworden.“4 (Janine Wissler)

- „Deutschlandfunk: Es gibt Vorwürfe innerhalb Ihrer Partei, eine Debatte, Sexismus-Vorwürfe, keine Einzelfälle, sondern die Linksjugend spricht von mehreren, einer zweistelligen Zahl an Fällen. Janine Wissler aus dem hessischen Landesverband steht da durchaus im Mittelpunkt, mit im Mittelpunkt. Das alles ist noch Bestandteil von verschiedenen juristischen Verfahren, anderen Punkten. Aber ist sie nicht im Grunde genommen als Person zu belastet, um jetzt alleine die Partei zu führen, auch wenn es nur für einen Übergang ist?

Partei-Geschäftsführer Oskar Schindler: Das sehe ich so nicht und das ist auch gestern im Parteivorstand anders diskutiert worden. [...].“5

- „#Me-Too-Beschuldigungen: Hessischer Landesverband nimmt Linkenchefin Wissler in Schutz“6 (Der Spiegel)

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Patriarchale Machtstrukturen finden sich überall in der Gesellschaft. Wir bedauern, dass DIE LINKE davon nicht ausgenommen ist. ... Wir weisen allerdings in aller Deutlichkeit den Vorwurf zurück, wir hätten bereits seit Jahren von den Vorfällen gewusst und durch bewusstes Nichthandeln Täterschutz betrieben.“7 (Hessischer Landesvorstand)

- „[D]ie frühere langjährige Landtagsabgeordnete und Co-Landeschefin Marjana Schott hat in einem Statement auf Facebook bekannt gegeben, dass sie die Bundessprecherin der Linksjugend wegen Verleumdung anzeigen will. So schreibt Schott über Dubiel: "Sie behauptet, ich hätte als Mitglied des Vorstands von Missbrauchsvorwürfen gewusst und nichts getan." Weiter schreibt die Politikerin, dass der "Spiegel" aus einer Mail zitiere, von der Schott nicht wisse, von wem sie stamme und ob sie überhaupt echt sei.“8



So findet sich am Boden aller sich zerknirscht gebender Aufarbeitungsbekenntnisse, Entschuldigungen und, reichlich verspäteter und vereinzelter, Freistellungen vom Dienst ein Credo des Leugnens und des Schützens von Struktur und Personal.

Angesichts von Statements wie „Ich kenne keine Genossin, die noch nie sexistisch angegangen wurde“ (Sarah Dubiel, Sprecherin Linksjugend Solid) oder „Diese Zustände konnten nur durch Klüngel und Männerbünde aufgebaut und erhalten werden. Verbündete werden bei Vorwürfen geschützt, um die eigene Machtposition zu erhalten.
[...] Gewalt gegen Frauen und queere Personen ist Ausdruck und Folge einer gesellschaftlichen Abwertung und Unterdrückung, von hierarchischen und patriarchalen Geschlechterverhältnissen. Diese Abwertung wird durch Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse verstärkt, wie DIE LINKE es leider in letzter Zeit bewiesen hat.(Linksjugend Solid),9 erscheint das Partei-Credo des Leugnens und Schützens aber lediglich als eine erneute Bestätigung der Struktur selbst.

Die konservative Presse holt jenseits linker Verstrickungen (nicht ohne pointierte Einlassungen) genüsslich zur Generalkritik aus, Livia Gerster schreibt in der FAZ (und ich verzichte im weiteren bewusst auf die stalinistische Technik des Whataboutism, also, wie es denn um Sexismus im konservativen Milieu stehe):

„Die Frauen in der Linken [...] haben sogar einen feststehenden Begriff für diesen Typ Mann, der seine Grenzüberschreitungen mit progressiven Formeln kaschiert und seit 1968 einfach nicht ausstirbt: der linke Macker. Damals haben Männer in Woodstock Vergewaltigung zur sexuellen Revolution verklärt, in München die Ehe durch den Harem ersetzt und Frauen in der Kommune den Kaffee kochen lassen. Heute spielen sie sich, wie jüngst in Hessen, als identitätspolitisch versierte Förderer auf und lassen sich für Sex mit sehr jungen Mädchen als „Hengst“ und „Roman Polanski“ feiern.

Die „Macker“ scheinen überall präsent zu sein, wo die Linke zu Hause ist. Die
Antifa ist laut linken Szene-Blogs ein ähnlich übler Männerverein wie die Burschenschaft. Frauen dürften dort allenfalls die Fahrräder bewachen. In der IG Metall, berichten Gewerkschafterinnen, gingen misogyne Sprüche als Arbeiterfolklore durch. Und in den Parteiverbänden, erzählen Genossinnen, hätten männliche Funktionäre ein fein austariertes Netz aus Missbrauch und Schweigen gesponnen.

Man könnte denken, die Zeit von Männern wie Diether Dehm sei vorbei, der den deutschen Außenminister Heiko Maas noch vor wenigen Jahren in bester homophober Macker-Manier als „Nato-Strichjungen“ beschimpfte. Doch seine jüngeren Widergänger sind nur schwerer zu enttarnen. Sie kennen die verbalfeministischen Codes, zitieren Simone de Beauvoir, aber behaupten dann, wenn es drauf ankommt, Nein heiße Ja.

Dass mit der übrig gebliebenen Parteivorsitzenden
Janine Wissler nun ausgerechnet eine betrogene Frau im Zentrum der Vorwürfe steht, passt ins System dieser Männer. Wissler war mit dem „Hengst“ aus Wiesbaden liiert, als der einer fünfundzwanzig Jahre jüngeren Genossin auf den Balkon stieg.“10



Dagegen finden sich im gesamten Diskurs um das Strukturelle der Linkspartei nur wenige Genoss*innen, die das notwendige Abstandnehmen praktizieren, um die Struktur dann ausführlicher aus dieser Perspektive zu beleuchten. Eine der wenigen Ausnahmen stellt Andrea Johlige dar, welche schreibt:



Was stört mich am meisten? Ganz einfach: Es geht viel zu wenig um die Opfer bzw. Betroffenen. Da wird betont, wie wichtig man das Thema findet und wie nötig Aufklärung ist und dass sich was ändern muss. Um im nächsten Moment mitzuteilen: Aber ich stehe zu meiner Parteivorsitzenden. Da wird den Betroffenen und ihren Unterstützer*innen mindestens unterschwellig unterstellt, eine Kampagne gegen die Partei zu fahren – eingedenk der Tatsache, dass sie monate-, wenn nicht gar jahrelang versucht haben, sich innerparteilich Gehör zu verschaffen und dabei immer wieder gegen Wände gelaufen sind. Und auch Vorwürfe, der Partei schaden zu wollen und selbst nur die mediale Aufmerksamkeit zu wollen, fehlen nicht. [...] Ihnen schlägt eine Verteidigungsstrategie seitens der Partei entgegen, die abgesprochen scheint: Ja, man nimmt das schon alles ernst, aber das darf jetzt nicht dazu führen, dass Janine in die Öffentlichkeit gezerrt wird, sie war schließlich die betrogene Frau. Und es wäre doch viel besser, das innerparteilich zu klären. Ich fürchte ja, diese Verteidigungsstrategie ist nicht abgesprochen. Vielmehr scheinen mir hier lange eingeübte Reflexe zu wirken: wenn eine uns nahestehende Person aus der Partei angegriffen wird, werden wir sie verteidigen, auf Teufel komm raus und mit Argumenten, die uns halt gerade so einfallen.11



Mit diesem einerseits empathischen und andererseits analytischen Blick aus der abstandnehmenden Perspektive zur Struktur, finden sich dann auch die klarsten Erkenntnisse, die insbesondere auch die struktuelle Dimension der Vetternwirtschaft beleuchten:


Die Vorsitzende einer Fraktion hat eine (anfangs heimliche) Beziehung mit einem Mitarbeiter. Das kommt vor und ist erst einmal auch nicht schlimm. Allerdings sollte inzwischen auch allgemein unumstritten sein, dass eine solche Konstellation immer auch problematisch ist, weshalb man das klären sollte, bspw. indem einer der beiden den Job wechselt. Aus meiner Sicht ist diese Konstellation die Grundlage für das, was danach passierte bzw. nicht passierte. Der Mann beginnt eine Affäre mit einer Minderjährigen und steigt ihr auf den Balkon, nachdem sie sich von ihm getrennt hat, sie lässt ihn rein, lässt sich auf Sex ein. Die junge Frau wendet sich danach an dessen Arbeitgeberin und Lebensgefährtin des Mannes und teilt mit, dass sie durchdreht, wenn das noch einmal passiert. In nahezu jeder Firma und in jeder Fraktion hätte das Konsequenzen für den Mann nach sich gezogen. Hier nicht. Es liegt nahe, dass der Grund dafür die persönliche Konstellation als solche ist.

Doch selbst wenn man in Rechnung stellt, dass diese persönliche Konstellation eine angemessene Reaktion erschwert hat: Janine war die Dienstvorgesetzte des Mannes und trägt als Fraktionsvorsitzende Verantwortung . Wenn sie selbst nicht handeln konnte, so wäre doch zumindest zu erwarten, dass sie jemanden beauftragt zu handeln. Weder die Verteidigungsstrategie, sie sei die betrogene Frau – was nebenbei ein extrem schwieriges Narrativ ist, da es die Frau herabsetzt – noch es handele sich um eine Parteiangelegenheit greifen hier. Richtig perfide ist die Argumentation, die junge Frau sei ja schließlich auch danach noch mit dem Mann zusammen gewesen. Wir wissen doch, dass es verschiedene Abhängigkeiten gibt, die Frauen daran hindern sich zu trennen. Ein Hilferuf ist deshalb immer (!) ein Grund zu handeln.“12


Johlige erkennt damit hellsichtig die Leugnungsstrategie und Empathielosigkeit der parteilichen Verantwortungsträger*innen und gibt keinen Pfifferling auf die (darauf --- nämlich auf die Struktur) aufgesetzten Beteuerungen..

In der Mehrheit aber tun diese Verantwortungsträger*innen, was sie schon über ein Jahrzehnt lang tun: persönliche Verantwortung leugnen, Schweigen, Nichtwissen und Überraschung heucheln, Kritiker*innen als unglaubwürdig darstellen usw. usf.
Sicher, die Quantität und Qualität an Belegen und Anschuldigungen, die „Der Spiegel“ in seiner Karfreitagsreportage13 offengelegt hat sowie die im Anschluss zu Wort kommenden Betroffenen haben einen Strategiewechsel mit Entschuldigungen, externer Expertenkommission und Lippenbekenntnissen für die Linkspartei nötig gemacht. Tatsächlich scheinen aber nur wenige daran interessiert, die linksparteiliche Struktur, die insbesondere im Hessischen Landesverband durch das Patriarchiale und Autoritäre definiert ist (vgl. unten), per se in Frage zu stellen, denn das käme der individuellen wie ideologischen Selbstzerstörung gleich.

Neben den gegebenen Statements begründe ich diese Deutung vor allem mit meinen individuellen, allerdings etwas in die Jahre gekommenen, Erlebnissen mit dem Frankfurter sowie Hessischen Linksverband, die ich in den Jahren 2009 bis 2012 gesammelt hatte und die ich --- wirklich angewidert ob der Verhältnisse, die nach außen Demokratie, Gleichberechtigung, Diversität, Pluralismus und soziale Gerechtigkeit propagieren, tatsächlich aber strukturell von einer kleingeistigen, reaktionären, sexistischen und quasi-stalinistischen Altherrenrunde (nebst "Anhang") ausgemacht werden --- in einem Offenen Brief an Janine Wissler münden ließ, den ich (wirkunsglos, bis auf meinen zeitnah folgenden Parteiaustritt, der mir mangels karrieristischer Bestrebungen nicht weiter schwer fiel) im September 2012 auf Facebook postete:


Liebe Janine,

[...]

Leider ist nun das Projekt einer pluralistisch-linken DIE LINKE.Frankfurt gescheitert. Insbesondere in den letzten Tagen war es schon nahezu bedrohlich, wie sich das Scheitern der Partei in meinem E-Mail-Postfach mit verzweifelten Mails der verschiedensten Genoss_Innen ausdrückte.

Abgesehen von dem allgemeinen Unmut darüber, dass die stalinistisch sozialisierten Ex-DKPler (resp. ihre Marionetten) nicht nur die Fraktion, sondern ab Ende September auch den Kreisvorstand unter Kontrolle haben werden, ließen sich dabei verschiedene Tendenzen ausmachen zu denen meine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen hinzukommen:

- Gezieltes Mobbing nach stalinistisch-autoritären Muster, gepaart mit der Niveaulosigkeit und Dümmlichkeit des Stalinismus (Inkompetenz ist nunmal Attribut des stalinistischen Kaders). Ich mutmaße doch stark, dass Austritte aus der Partei geradezu gewünscht sind, um in kleinstem straff kontrollierten Kreis vollends dem Totalitarismus zu frönen. Einer der Ex-DKPler sagte mir einmal offen, dass er strenge autoritäre Strukturen in der Partei errichten wolle. Dass dabei die tatsächlich
linken Kräfte ausgemerzt werden, kennen wir z.B. aus der Geschichte der UDSSR.

- Das Diffamieren ausgerechnet einer Zielgruppe der LINKE., nämlich Hartz IV-Empfänger. Ich thematisiere den berüchtigten „Gruß aus China“
[einer der "Genossen" schrieb eine Postkarte von Maos Grab; RW 2022] hier nicht weiter (seine Abgründe sprechen für sich), dass der Fraktionsmitarbeiter dort aber Hartz IV-Empfänger als von „Gehirnschäden“ heimgesucht bezeichnet, kann nicht oft genug wiederholt werden

- Auch die Neumitgliederwerbung nach dem Kader-Prinzip sollte nicht verschwiegen werden: Zwei alte Männer betreiben (im übrigen an ihrer Stadtteilgruppe vorbei) einen Infostand der LINKE., geben dort ihre privaten E-Mails als Kontakt an und treffen dann z.B. Verabredungen mit einzelnen Frauen in einem Café zum intimen (Indoktrinierungs-)Gespräch. Das ist m.E. an Obszönität nicht zu überbieten. Dennoch ist das möglich: Dir liegt die mobbende und verleumderische (und übrigens in sich unlogische) E-Mail von einem der Männer ja vor, der sich nach Auffliegen seiner Aktion in einer abgründigen Falsch- und Gerissenheit präsentiert.

- Die Niederschlagung jeglicher Kritik an diesen Methoden; vielmehr wurde den entsprechenden Opfern systematisch suggeriert, sie seien „allein mit ihrer Kritik“. Insbesondere die Römer-Fraktion (man konnte es auch auf den letzten Kreismitglieder-Versammlungen beobachten) scheint jegliche Kritik abzuweisen. Ein Blick auf die erfolgten (bzw. nicht erfolgten) Antragsstellungen der Römer-Fraktion indes belehrt darüber, dass da Kritik dringend nötig wäre.

- Der durch vorige Punkte verursachte desolate Geisteszustand verschiedener Genossen, der sich in verzweifelten ellenlangen (nicht mehr der Logik zugängigen) E-Mails ausdrückt. Der eine oder andere dürfte nach den Erfahrungen in DIE LINKE. wohl ernsthaft einer Psycho-Therapie bedürfen.

- Die
Lüge als beliebtes Artikulationsprinzip (gerne genutzt auch zur Hochjubelei).[...]

- Der Fakt, dass keine Kraft in der Frankfurt Partei sich dem bizarren Geflecht aus unsozialem, dümmlichem, roh-verbürgerlichtem und/oder stalinistischem Monopol entgegenzustellen traut, ist ein weiteres Armutszeugnis. [...]

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, die Partei in Frankfurt völlig an die Wand gefahren, viele haben es kommen sehen, kaum einer hat etwas getan. Mit den Überresten der Partei kann ich mich beim besten Willen nicht identifizieren und distanziere mich entschieden von den Praktiken und Charakteristika der Partei. Jedem Menschen, der sich auf die Vernunft beruft, sollte es wohl auch so gehen. Man will nur noch mit dem guten alten Marx befreiend sagen:
„Das System wechselseitiger Konzessionen, aus Anstand geduldeter Halbheiten, und die Pflicht, vor dem Publikum seinen Teil Lächerlichkeit in der Partei mit all diesen Eseln zu nehmen, das hat jetzt aufgehört.[MEW 27, S. 184f.]

[...]

MsG, Roland14



Außer der nahezu hysterischen Aufforderung Wisslers, das Schreiben schnellstens von Facebook herunterzunehmen, folgten damals --- wie gesagt --- keine öffentliche Bearbeitung, Transparenz oder auch nur Diskussion der Kleingeistigkeit, des Mobbings, des Sexismus‘, der autoritären Verfasstheit. Strukturell wurden Einsichten offenkundig im Totalen verweigert, so dass man --- was der Leser*in wohl recht dummdreist anmuten dürfte --- aus Vorsitz und Hessischem Landesvorstand heraus 10 Jahre später in 2022 die völlige Überraschung über Struktur & Sexismus in der Partei vorspielen kann.
Nochmal: Denn erstens kennt die Partei nur diese eine 15jährige Struktur, zweitens sind alle heutigen Amtsträger*innen aus dieser Struktur hervorgegangen, drittens sind sie damit selbst Bestandtteil dieser Struktur und können daher viertens von ihrem jetztigen Standpunkt aus gar nicht diese Struktur, diese DNA, deren Teil ihre einzelnen Individualitäten wie Parteifunktionen sind, in Frage stellen. Und: Das Totalen kennt entweder kein Außerhalb oder es verdammt es --- begleitet von dem üblichen Gekreische von "Lügenpresse", "Nestbeschmutzung" oder "Schmutzkampagne".

Wie eingangs formuliert, überrascht mich daher vor allem das innerparteiliche und öffentliche Interesse an #LinkeMeToo in 2022, das es angesichts der patriarchalen und toxischen Männerbünde (inkl. der „eingetakteten“ Frauen und Queers) --- die zumindest in 2012 die Hessische Linkspartei bestimmten und deren Trägerin nicht zuletzt als Kreis- und Landesvorsitzende Janine Wissler, die ja eben in und durch diese Strukturen und ihre Verhältnisse in ihre Ämter kam, selbst war --- auch schon vor 5, 10 oder 15 Jahren hätte geben können und sollen.

Meine Skepsis, dass es nun zu einer tatsächlichen Aufarbeitung kommen wird, die tatsächlich an den Nerv, an die Wurzel, an die Struktur geht, dürfte deutlich geworden sein. Vielmehr gehe ich
davon aus, dass sich (vor allem in Hessen, wo der Landesverband bereits entsprechend agiert, vgl. Zitierung oben) die Linkspartei integer und verlässlich auf ihre autoritär-patriarchale DNA beruft. Obwohl diese DNA weiter intakt ist, könnte, so meinen Hoffnungsvolle, der Wandel der Altersstruktur eine Umschreibung der Struktur begünstigen, wobei der thüringische Linke-Minister Benjamin Hoff, welcher einen lesenswerten Beitrag zum Thema geschrieben hat, dabei ebenso auf die Permanenz des Strukturellen verweist:

Auf Twitter formulierte Veronika Kracher, die 2020 ein Buch über gegen Frauen gerichtete Attentate publizierte, in einem längeren Thread u.a.:



[...] Aber gerade jüngere Mitglieder der Linken haben ein feministisches Bewusstsein, solidarische Organisation und ein Netz aufgebaut, das Betroffenen ermöglicht hat, über das Erfahrene sprechen zu können. Die Genoss*innen haben den Mut, ihre Täter zu outen und Dinge zu ändern.“

Die von Kracher beschriebene Entwicklung ist Ausdruck eines Veränderungsprozesses innerhalb der Partei DIE LINKE [...]

Die Mitgliedschaft der LINKEN hat sich in den vergangenen zehn Jahren radikal gewandelt. Von den knapp 60.000 Mitgliedern, die Ende des vergangenen Jahres der Partei angehörten, sind ca. 31.500 seit 2011 eingetreten. Ausgetreten sind etwas mehr als 26.000 Mitglieder und knapp 14.500 Mitglieder sind verstorben. Etwas mehr als 22.000 der rund 60.000 Mitglieder der LINKEN sind zwischen 14 und 40 Jahren. Davon 13.500 zwischen 14 und 30 Jahren.

Mit diesem Wandel der Altersstruktur, der sich aufgrund des weiterhin fortschreitenden Sterbeüberhangs vor allem in der ostdeutschen Mitgliedschaft fortsetzt, vollzieht sich ein Wandel der politischen Kultur von unten, der weder im politischen Bewusstsein noch in der Organisationskultur der Linkspartei angekommen ist. Diesen Wandel zu verstehen und aufbauend darauf die Erneuerung der Partei vorzunehmen, erscheint deshalb unumgänglich.

Die zu Tage getretenen sexistischen Vorfälle innerhalb der Linkspartei verschärfen objektiv die existentiell schwierige Situation in der sich die Partei derzeit befindet. Die sexistischen Vorfälle und der bisherige Umgang damit zeigen jedoch aus meiner Sicht ein strukturelles Problem im Umgang mit Fehlverhalten in der Linkspartei insgesamt.“15


Wenn mein Beitrag auch mit dieser letzten Zitierung vor allem auf die Festgeschriebenheit der Struktur verweist und aufgrund der jahrelangen innerparteilichen Leugnungen ein großes Misstrauen besteht, dass die grußspurig angekündigte „externe Hilfe“ und Aufarbeitung a.) tatsächlich geschieht, b.) neutral und unverstrickt sein wird und c.) angesichts der angstgeprägten Atmosphäre in dieser Partei überhaupt alle Opfer zu Wort kommen lässt und d.) realiter strukturell sein wird und nicht nur doch das von Wissler herbeigewünschte „so gut wie möglich“16 darstellt, so sei nichtsdestoweniger abschließend allen betroffenen Frauen und Subalternen der emanzipatorischen Befreiungsschlag gewünscht --- erfolge dieser innerhalb oder, was wahrscheinlicher ist, außerhalb jener Partei
.


Anmerkung: Die Ankündigung, dass die Linkspartei im Juni womöglich dasselbe Personal resp. Personal aus denselben Strukturen einfach neuwählen lassen will, sich und den Strukturen damit selbst die Absolution erteilen will, bestätigt meinen Deutungsansatz. Ebenso Wisslers Verhalten vor der entsprechenden Sitzung: "Nachfragen, wie sie als Involvierte neben der Aufklärung noch als Parteivorsitzende einer in der Existenzkrise befindlichen Partei agieren will oder was sie zu einer konkreten Mail einer Betroffenen zu sagen hat, die an Wisslers Darstellung zweifeln lässt, lässt die Parteivorsitzende nicht zu. [...] Wissler äußerte sich noch nicht, ob sie wieder für den Parteivorsitz antreten wird."17

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1 https://www.hessenschau.de/politik/sexuelle-uebergriffe-landesvorstand-der-linken-verspricht-aufarbeitung,linke-hessen-sexismus-100.html.

2 https://www.t-online.de/region/frankfurt-am-main/news/id_92055748/linke-in-hessen-ex-landeschefin-schott-will-sprecherin-der-linksjugend-anzeigen.html.

3 https://www.tagesschau.de/inland/analyse-hennig-wellsow-101.html.

4 Zit. nach: https://www.die-linke.de/start/presse/detail/wissler-stellungnahme-zur-berichterstattung-des-spiegel/.

5 Zit. nach: https://www.deutschlandfunk.de/schindlerzukunftdielinke-100.html.

6 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-linke-janine-wissler-trifft-laut-hessen-landesverband-keine-schuld-bei-metoo-vorwuerfen-a-1171c342-b5e5-4229-9558-129d31a5d13a

7 Zit. nach: https://www.die-linke-hessen.de/politik/aus-dem-landesvorstand/524-erkl%C3%A4rung-zu-vorw%C3%BCrfen-sexualisierter-gewalt.html.

8 Zit. nach: https://www.t-online.de/region/frankfurt-am-main/news/id_92055748/linke-in-hessen-ex-landeschefin-schott-will-sprecherin-der-linksjugend-anzeigen.html.

9 https://www.zeit.de/campus/2022-04/die-linke-sexismus-uebergriffe-sarah-dubiel/komplettansicht und https://www.linksjugend-solid.de/notification/offener-brief-feministische-linke/.

10 Zit. nach: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/sexismus-bei-der-linkspartei-linke-macker-17975722.html?premium.

11 Zit. nach: https://andrea-johlige.com/linkemeto-eine-einschaetzung/?fbclid=IwAR3u_3X9Y6SzckBUBLYRr0bNsl_xv0LuCmYXR8t1BJ-Js2WBwWkLOQNh1Vs.

12 Zit. nach: ebd.

13 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-linke-vorwurf-sexueller-uebergriffe-in-hessen-betroffene-auessern-sich-erstmals-a-d6e768e4-eec7-4aec-ba16-bfa6337d3723

14 RW, im September 2012 auf Facebook gepostet (nicht mehr online verfügbar), nochmals ausschnittsweise zitiert 2018 (Fußnote 16) unter: https://www.freitag.de/autoren/rwagner/oktoberrevolution-reaktion-linke-zukunft.

15 Zit. nach: https://www.benjamin-hoff.de/de/article/4097.linkemetoo.html?fbclid=IwAR3T44S6A3a3Ij8iZtN5_Fu7UsLSL8vguZlui8KktYa6Qsi-RJGCb_SwCCI.

16 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sexismus-skandal-linken-chefin-wissler-verspricht-aufklaerung-a-2362f975-44a5-4a9b-bdf1-5797d89f51fa

17 Zit. nach: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-linke-und-metoo-skandal-wie-die-partei-den-neuanfang-plant-a-e060a8e8-cc76-4105-b365-62832aae8acd.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dr. Roland Wagner

... promovierte mit einer interdisziplinären Schrift, lebt in Frankfurt/Main, arbeitet seit 2018 in einer Beratungsstelle für Geflüchtete.

Dr. Roland Wagner

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