Was gibt es heute zu essen?

Theaterkritik In der Märchen-Inszenierung „Hans im Glück“ von Reto Finger kreiert das Theaterkollektiv aufBruch und die Insassen der JVA Plötzensee eine surreale Gegenwart.

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Anders als im Märchen der Gebrüder Greimm „Hans im Glück“ erlebt Hans Jakob im Remake von Reto Finger seine Gegenwart. Statt für seinen Arbeitslohn einen Klumpen Gold zu bekommen, sieht er sich gefangen in seinem monotonen Lebensalltag, der aus Arbeit und Familie nicht viel Zeit für Selbstverwirklichung bietet. Um dieser Monotonie zu entkommen, tauscht er seine Festanstellung gegen die Selbstständigkeit. Gemeinsam mit einem Freund, versucht Hans Jakob die Geschäftsidee des „Traffic-Managers“, der zuverlässige Prognosen über den Straßenverkehr trifft, auf den Markt zu bringen. Leider bleibt in Hans Jakobs surrealer Gegenwart der Klumpen aus Gold aus und er findet sich in der Arbeitslosigkeit wieder. Gescheitert im Versuch sich auf den selbstständigen Arbeitsmarkt zu integrieren, sehen sich auch die Darsteller der JVA in Plötzensee. Ausgesetzt im neoliberalen System, in dem augenscheinlich Bildung, Ausdauer, und Beziehungen einen akzeptablen Wohlstand versprechen, haben sie sich für die Variante der Kriminalität entschieden und befinden sich nun in der Disziplinaranstalt der Justiz.

Hans hat Mut. Er hat einfach gekündigt. Mut ist heutzutage das Einzige was zählt.

Zusammen mit dem Theaterkollektiv aufBruch haben sie eine Theaterinszenierung hinter Gefängnismauern geschaffen, die neben moderner Theatralik Texte von Heiner Müller und Gedichte von Hölderlin integriert, um sich der Frage zu nähern: Wie viel hat Geld mit Selbstverwirklichung zu tun? Welche Faktoren entscheiden über Gewinn und Verlust? Glück? Abgewendet von der hinreißenden und aktuellen Thematik, ist die Dramaturgie des Abends mit Enttäuschung gesegnet. Viel Energie verpufft in der Routine über kaltes Licht und zwanghaft über Videoprojektionen einen neuen Raum zu schaffen. Weiter zertsören die etlichen Unterbrechen, in denen Fremdtexte oder die im Chor gesungen Lieder zum Einsatz kommen, die Dramaturgie des Stücks, sodass letztendlich nur noch eine Aneinanderreihung von Textbausteinen übrig bleibt und die eigentliche Story verloren geht. Viel Interessanter wirkt für mich die Nebenhandlung, in der ein Darsteller in seiner patriarchalen Frauenrolle am Herd aufgeht und in der Spieldauer kocht. Und für mich permanent die Frage aufwirft: Was gibt es gleich zu essen? Aber Menschen, die Heiner Müller zitieren, haben meine vollste Sympathie und dass das Theaterkollektiv aufBruch Geschlechterbilder hinterfragt und zwei Männer als Ehepaar in einer Inszenierung mit Insassen realisiert, ist äußerst beeindruckend und lobenswert.

HANS IM GLÜCK| aufBruch| Premiere 7.12.2016 um 18h| Spielort: JVA Plötzensee, Friedrich-Olbricht-Damm 17, 13627 Plötzensee|

Weitere Spieltermine: 7.-9.12.2016 und 14.-16.12.2016 jeweils um 18h| Karten unter: shop.gefaengnistheater.de oder an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (030-240 65 777)

Zuerst veröffentlicht: http://www.freigeist-magzine.de/index.php/2016/12/01/aufbruch-hans-im-glueck/

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Geschrieben von

Sabine_Schmidt

Studierte Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaft. Als Journalistin und Theaterkritikerin tätig, u.a. für das Freigeist-MagZine.

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