Was Cola mit Kollaboration zu tun hat

Premium-Cola Eine kleine Geschichte über Koffein, Badewannen und Kollektive.

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Es ist Oktober 1999. Der Neu-Hamburger Uwe Lübbermann liegt in seiner Badewanne und trinkt eine afri-cola, seit vielen Jahren sein Lieblingsgetränk. Nicht ungewöhnliches. Nur dieses Mal schmeckt die Cola komisch und auch die sonst gewohnte Koffeinwirkung will nicht eintreten. Uwe fackelt nicht lange und wendet sich an den Hersteller, um nachzufragen, wa da los ist. Hier erfährt er, dass die Marke „afri-cola“ verkauft und heimlich die Rezeptur verändert worden ist. Also gründet er mit anderen afri-Fans die Interessengruppe „Premium“ und fordert die neuen Besitzer der Marke dazu auf, zur alten Rezeptur zurückzukehren. Trotz großer Medienresonanz passiert aber nichts.

Damit geben sich die afri-Fans aber nicht zufrieden. Durch Zufall bekommen sie Kontakt zu einem ehemaligen Abfüller von afri-cola, der ihnen 1.000 Flaschen mit der geliebten Limonade produziert. Als die ausgetrunken sind, müssen neue her. Einer der Mitstreiter reicht Probeflaschen über die Theke seines Imbiss und plötzlich hat die Interessengemeinschaft Kunden und steht vor der Herausforderung regelmäßig Getränke herzustellen und zu liefern. Sie haben quasi aus Versehen ein Unternehmen gegründet.

Das war 2001. Wichtig ist von Anfang an die Perspektive der Kunden. So verpflichtet sich das Unternehmen beispielsweise Produktionsfehler aktiv zu veröffentlichen, was ja keine Selbstverständlichkeit ist. Es wird eine Struktur mit eigener Buchhaltung, organisierter Logistik, regelmäßigen Abläufen, effektiverer Vernetzung, einem Steuerberater usw. aufgebaut. Die Absatzmengen steigen. Ab April 2007 ist erstmals ein Anteil für den Organisator drin.

Es wird ein “CO2-Ausgleich” für Transporte eingeführt und die Marke Premium für Open Franchise freigegeben. Premium entwickelte ein Betriebssystem, nach dem das Unternehmen kollektivistisch arbeitet. Das Betriebssystem besteht aus den Haupt-Handlungsfeldern Ökologie, Soziales und Ökonomie. Es gibt keine klassischen Hierarchien. Die Mitglieder des Kollektivs organisieren sich über eine Mailingliste, über die Unternehmensentscheidungen diskutiert und ein Konsens angestrebt wird. Einmal jährlich gibt es ein Treffen. Der Gründer Uwe Lübbermann nennt als Zweck der Kooperative eine wirtschaftlich funktionierende Organisation mit hundertprozentiger Mitbestimmungsmöglichkeit für alle Beteiligten zu bilden. Selbst Endkunden haben also Einfluss auf die Entscheidungen und Handlungen des Unternehmens. Die Hauptaufgabe von Premium ist nicht das Verkaufen an sich oder das Erzielen von Gewinn, sondern die Balance der Handlungswirkungen. Sprich, es soll allen Beteiligten gut gehen.

Durch die Beiträge aller Beteiligten und deren Einbeziehung in alle Entscheidungen, ist mit Premium quasi eine Open Source-Marke entstanden. „ Im Ergebnis sind so aber viel klügere und viel breiter getragene Entscheidungen möglich“, sagt Lübbermann. Die Kunst sei es, ein Kollektiv aus unterschiedlichen Leuten so zu moderieren, dass am Ende ein tragfähiges Ergebnis rauskommt.

In Bezug auf Markenführung im Premium-Kollektiv erzählte mir Uwe Lübbermann, dass dem Wirtschaften drei Ziele übergeordnet sind, die zu einer nachhaltigeren, umweltschützenden und finanziell sauber aufgestellten Wirtschaft führen sollen. Das Unternehmen wird also nicht zum Selbstzweck geführt, sondern um einen Beitrag zu einem gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel zu leisten. Seine Ziele sind: Eine gemeinsame Form des Wirtschaftens zu etablieren. Den Weg für eine Ökonomie bereiten, die Gemeinwohl als Aufgabe betrachtet und alle Interessengruppen wie Kunden, Lieferanten oder Dienstleister mit einbezieht. Premium ist Unterstützer der Gemeinwohlökonomie Christian Felbers, die sich als ein alternatives Wirtschaftssystem bezeichnet, das auf das Gemeinwohl fördernden Werten aufgebaut ist. Die Postwachstumsgesellschaft, in der nicht mehr Gewinn und Wachstum vorrangige Ziele sind, sondern Nachhaltigkeit und Konsistenz. Eine Gesellschaft, in der Statussymbole nicht mehr in materiellen Dingen bestehen. Hier sind nicht nur Unternehmer, sondern auch Konsumenten und Politik gefragt. Die Menschen leben in der Postwachstumsgesellschaft nachhaltiger. Allerdings müssen durch die Politik auch die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Führung und damit auch Markenführung funktioniere in diesem Rahmen nur, wenn sechs Aspekte berücksichtigt werden:

  • Vorhandensein eines stringenten Oberziels: Etwa eine menschlichere Wirtschaft oder die Postwachstumsgesellschaft.
  • Konsistente Umsetzung durch alle beteiligten Partner
  • Opensource, das heißt Informationen freigeben, absolute Transparenz ermöglichen und auch Fehler zu geben. Aber auch der Rückweg muss aufgemacht werden, das heißt Reinnehmen von Informationen, Wünschen und Bedarfen der Beteiligten. Insgesamt muss Kommunikation dialogischer sein.
  • Filter wegfallen lassen: Direkten Kontakt in alle Richtungen ermöglichen ohne zwischengeschaltete Stellen.
  • Gespräche füttern: Marke ist für Lübbermann die Summe der Gespräche über eine Leistung oder ein Unternehmen. In dem Sinne hat das Unternehmen gar nicht die Möglichkeit, die eigene Marke wirklich zu führen. Es kann aber diese Gespräche mit Inhalten füttern, also Gesprächsangebote in Richtung der Oberziele des Unternehmens einbringen. Premium ist kommuniziert beispielsweise, die vegane Produktion der eigenen Produkte, um vegane Themen voranzutreiben, da die mit dem Oberziel Nachhaltigkeit korrespondieren. Denn erhöhter Fleischkonsum wirkt sich negativ auf das Klima aus. Andere Themen sind die Ablehnung von Zinsen. Es werden weder Zinsen genommen noch bezahlt, das heißt Premium nimmt auch keine Skonti in Anspruch und nimmt keine Kredite auf.

Auch zu großen Abnehmern steht man kritisch gegenüber und es wird ganz entgegen dem Usus ein Antimengenrabatt gewährt und Wachstumsbremsen eingebaut. Das Unternehmen ist nicht auf Gewinne und Wachstum aus, sondern auf Versorgung aller Beteiligten und Stabilität. Damit wiederum arbeitet Premium auf die Postwachstumsgesellschaft hin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

Sandro Abbate

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