Wo bist du, SPD, wenn wir dich brauchen?

Bundestagswahl Es gibt eine linke Alternative zu Merkels Raute in Dauerschleife. Doch die SPD verpennt sie. Mal wieder. Die Bundestagswahl nimmt ihren gewohnten Gang

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nach links, das wäre eine Möglichkeit
Nach links, das wäre eine Möglichkeit

Foto: Sean Gallup/Getty Images/AFP

Wer sich über den Zustand der SPD informieren möchte, dem sei der neueste TV-Spot der Sozialdemokraten ans Herz gelegt. Unter dem Slogan „Es ist Zeit“ präsentiert die SPD klischeehafte Phrasen wie „Gerecht teilen“, „Die Starken sollen den Schwachen helfen“ oder den bereits mitleidserregenden Ausdruck „Zeit für Martin“. Als wäre der Vorname eines Kanzlerkandidaten das entscheidende Kriterium in der politischen Auseinandersetzung.

Dieser Clip und die vorherigen Plakatvorstellungen im Willy-Brandt-Haus unter Generalsekretär Hubertus Heil stehen sinnbildlich für die 20-Prozent-Werte der SPD.

Es reicht nun mal nicht, wie man nach der euphorischen Präsentation des Kanzlerkandidaten Schulz im Januar dieses Jahres hautnah erleben konnte, einen reinen Personen-Wahlkampf gegen eine etablierte Bundeskanzlerin zu führen. Angela Merkel ist bereits 12 Jahre in ihrem Amt und versteht es geschickt, auch Sozialdemokraten mit ihrem „mitfühlenden Konservatismus“ zu umgarnen, indem sie SPD-Positionen für sich reklamiert. Die SPD muss wieder „back to the roots“, zurück zu ihren Wurzeln der klassischen Sozialdemokratie. Eine Verstaatlichung der Produktionsmittel sollte dabei ein zentraler Bestandteil der SPD-Agenda sein.

Gerhard Schröders Kanzlerschaft 1998-2005 stand unter dem Motto der „Third Way Politics“, die den internationalen Neoliberalismus der Sozialdemokratie einläutete. Bill Clinton und Tony Blair in den USA und Großbritannien galten dabei als Vorbilder einer reformierten Sozialdemokratie, die nicht mehr differenzierte zwischen linken und rechten Wirtschaftspraktiken. Schröders Rentenkürzungs-Politik mit den Riester-Reformen und die Agenda 2010 taten ihr Übriges- und der Afghanistan-Krieg läutete den endgültigen Abschied letzter linker Positionen ein.

Wie wir seit 2005 konstant betrachten können, verliert die SPD jede Bundestagswahl mit deutlich unter 30 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen. Labour in Großbritannien hatte dieselben Probleme wie die SPD in Deutschland, bis Jeremy Corbyn mit seinem neuen Angebot alte Arbeiterschichten inklusive rechter Ukip-Wähler und insbesondere junge Menschen für die Arbeiterpartei erschloss. Die Demokraten in den USA befinden sich aktuell ebenfalls in einem Spannungsverhältnis zwischen Befürwortern einer linken (Bernie Sanders) und einer neoliberalen Ausrichtung (Hillary Clinton). Und auch Sanders zeigt: Junge Menschen und sich selbst bezeichnende Konservative lassen sich von einer überzeugenden Gerechtigkeits-Vision begeistern- wenn sie denn glaubwürdig präsentiert wird.

Altes Personal, alte Agenda

Auffallend bei der SPD ist, dass sie trotz bereits drei gescheiterter Bundestagswahlen keine Anstalten zeigt, etwas an ihrer grundsätzlichen Programmatik und dem angestammten Personal zu ändern. Der Bundesvorstand der SPD besteht weiterhin aus Leuten wie Sigmar Gabriel, Hubertus Heil und Olaf Scholz, die allesamt dem konservativen Seeheimer Kreis innerhalb der Partei zuzuordnen sind. Arbeitsministerin Andrea Nahles als links oder progressiv zu bezeichnen, grenzt schon an Lächerlichkeit, wenn wir ihre vehemente Verteidigung der Hartz-IV-Reformen und ihre Ablehnung der Linkspartei in den vergangen Jahren betrachten.

Thomas Oppermann führt weiterhin die Fraktion im Bundestag an. Frank-Walter Steinmeier, der jetzige Bundespräsident, wechselte nach seiner Wahlniederlage gegen Merkel 2009 zum Fraktionsvorsitz im Bundestag. Martin Schulz gehört seit 1999 dem Parteivorstand der SPD an. Zudem waren Kandidaten wie Peer Steinbrück in 2013 gänzlich ungeeignet, ein durchaus ansprechendes Wahlprogramm (Mindestlohn, Investitionsprogramm, Bürgerversicherung) zu repräsentieren, wenn sie selbst für eine SPD der neuen Mitte standen.

Christian Füller schreibt es in seinem Beitrag „Und was ist mit uns?“ für den aktuellen Freitag (33/2017, 16.08.2017) treffend: Wieso, Herr Schulz, wieso, liebe SPD, suchen sie nicht den direkten Kontakt zu den Bürgern, indem sie Stadtzentren wie Dortmund-Nordstadt, Duisburg-Marxloh und Berlin-Kreuzberg besuchen? Indem sie Wahlkampf-Veranstaltungen in ganz Deutschland abhalten, wie dies Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn im Ausland tun und damit Tausende von Menschen erreichen. Indem sie Plakate und TV-Spots entwickeln, die gezielt politische Ziele in den Mittelpunkt stellen und konkrete Lösungen für die Probleme der Unter- und Mittelschicht bieten.

Leider, so glaube ich mittlerweile, scheint dies mit dem aktuellen Personal der SPD nicht möglich. Bundestagsabgeordnete wie Hilde Mattheis (Ulm), Matthias Miersch (Hannover, Parlamentarische Linke), Marco Bülow (Dortmund) und auch die neue Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg, Leni Breymaier, bilden da eine Ausnahme. Doch sie bilden leider nur eine Minderheit im Parteienapparat.

Dabei gäbe es Themen zuhauf, mit der die SPD in diesem Bundestagswahlkampf punkten könnte. Merkel bietet eine enorme Angriffsfläche. Etwa der Mangel an bezahlbarem Wohnraum inklusive Gentrifizierung, ausbleibende Investitionen in Infrastruktur (Bildung, Gesundheit, Straßen), der weiterhin zu niedrige Mindestlohn, die großen Summen von Unternehmensspenden an CDU und FDP, das Fehlen einer Vermögensteuer, die Zukunft der Rente, etc. Bis auf Leistungen wie dem sogenannten Baukindergeld oder einer Erhöhung des eigentlichen Kindergelds, die nur Familien dienen, hat das Wahlprogramm der CDU nichts für Alleinerziehende, Singles oder Paare mit wenig Einkommen zu bieten. Dies gezielt herauszuarbeiten und in die Mitte des eigenen Programms zu rücken, ist Aufgabe der SPD.

Doch die SPD hat ja ihre Themen für September 2017 schon gefunden: „Alles ist möglich, egal ob Mädchen oder Junge“, wie es in dem neuesten TV-Spot heißt.

Das klingt zwar bei erstem Hören schön und einleuchtend, aber es sagt letztendlich nichts aus. Denn Parteien wie CDU und FDP würden dem sicherlich genauso zustimmen.

Wieso, liebe SPD, habe ich manchmal das Gefühl, dass ihr euch unter der Fuchtel der CDU ganz wohl fühlt.

Wenn ihr es nicht tut, beweist mir und vielen anderen das Gegenteil: Traut euch was! Es gibt nur eine Koalitionskonstellation, die eine linke Alternative zur Kanzlerschaft Merkels bietet: Rot-Rot-Grün. Die SPD hat es selbst in der Hand.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden