Ab ins Verhängnis!

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Dass Barack Obamain Kürze weitere 30.000 Soldaten nach Afghanistan schicken will, steht nicht nur in krassem Widerspruch zur anstehenden Nobelpreis-Verleihung an ihn. Es markiert auch eine bodenlose Ignoranz, die nur durch seine „Gefangenheit“ im US-amerikanischen Establishment erklärt werden kann. Auch diese Aufstockung der Truppe auf dann fast 100.000 Mann wird die Probleme am Hindukusch nicht lösen – nicht einmal von der „Manpower“ her.

Ich folge sehr ungern makabren Schätzungen. Eine ist dennoch nicht uninteressant. Die amerikanische Rand Corporation hat 2002 ermittelt, dass für »robuste Friedenssicherung und Staatenbildung« 11,5 Soldaten pro 1.000 Einwohner erforderlich sind. Das ergebe für Afghanistan eine Truppenstärke von 365.000 Soldaten. Die schier unüberbrückbare Differenz von 265.000 beschreibt demnach schon das „zahlenmäßige“ Dilemma. Ganz zu schweigen von den unerträglichen ethisch-moralischen Aspekten des Einsatzes.

Wenn Obama die Vergleiche mit dem Vietnam-Krieg heute strikt zurückweist, wirkt das wie ein dummes Abwehrmanöver. Die ISAF-Aktion unterscheidet sich vom damaligen Vorgehen der USA nur dadurch, dass diesmal verbündete Truppen auf Basis eines UNO-Mandats „mitspielen“. Doch die rekrutierten Willigen spielen von ihrem Potential her („Manpower“+Technologie) keine wikliche Rolle. Und die Voraussetzungen für ein UN-Mandat entpuppen sich immer mehr als widersinnig.

Barbara Tuchmann hat ihrem Buch „Die Torheit der Regierenden“ Ursachen und Verlauf des Vietnamkrieges ausführlich analysiert. Sie kommt dabei zu Schlussfolgerungen, die auch auf Afghanistan direkt anwendbar sind. Hiernach benennt sie drei Gründe für das damalige Fiasko: Dem Regierenden, der mit seiner Politik auf Irrwege geraten ist, sagt sie, falle es leichter, weiter zu gehen als umzukehren. Zudem veranlasse die so genannte „kognitive Dissonanz“ .untergeordnete Politiker – und dann auch den Präsidenten selbst – „psychisch schmerzhafte Probleme“ zu unterdrücken, wegzuinterpretieren, zu verwässern und zu zerreden. Obwohl Kennedy die schwierige, ja aussichtslose Lage erkannte, handelte er wider besseres Wissen, und keiner seiner Ratgeber fiel ihm in die Zügel. Drittes Motiv sei ein persönlicher Vorteil gewesen. Kennedy hoffte auf eine zweite Amtszeit – die ihm in einer Sphäre des Kalten Krieges als „Rückzugspräsident“ nie zuteil geworden wäre.

Und an andere Stelle vermerkt die Autorin: „Eine Politik, die ’an den aus dem Land selbst erwachsenen nationalen Zielsetzungen vorbeigeht oder sich gegen sie richtet’ , sei ’von vornherein zu Scheitern verurteilt’. Es ist eine niederschmetternde Tatsache, dass die Amerikaner während der langen Torheit in Vietnam immer wieder das Ergebnis vorausgesagt und dann ohne Rücksicht auf ihre eigenen Vorhersagen gehandelt haben.“

Barack Obama ist dabei, die gleichen Fehler zu machen wie einst Kennedy. Sein, dem eigenen Wollen entgegen gesetztes Engagement wirkt zudem grotesk. Dass er mit seinem Vorstoß auch Druck auf die Verbündeten ausübt, macht die Sache doppelt schwierig. Auch Deutschland dürfte damit in den Sog des Verhängnisses gezogen werden – mit Folgen, die absehbar sind.

Der Afghanistan-Kenner Peter Scholl-Latour hat die Gesamtlage erst vor ein paar Tagen treffend formuliert: „Selbst in Nato-Kreisen behauptet ja längst niemand mehr, dass wir in Afghanistan für die Demokratie kämpfen. Die wären schon hoch zufrieden mit einem einigermaßen stabilen Regime in Kabul und einem Staat, der sich allein verwalten kann.“ […] „Es ist eine Torheit des Westens zu glauben, dass sich unsere Form des demokratischenZusammenlebens ohne weiteres auf andere Kulturen übertragen lässt“ […] „Auch die Behauptung, dass die Demokratie eine Art Vorbedingung für Wohlstand ist, stimmt ja nicht“ […] „Man sieht eigentlich nirgendwo in der Dritten Welt und den Schwellenländern, dass sich unser Rezept durchgesetzt hätte“ („Rheinische Post“, 2. Dezember 2009). Bereits vorher hatte Scholl-Latour mehrere Male darauf verwiesen, dass der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen sei. Heute rät er zu Gesprächen mit den gemäßigten Taliban und den Saudis. Nur so sei ein „geordneter“ Rückzug der ISAF noch möglich.

Dr.-Ing. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de

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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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