Alarmstufe R O T !

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Je lärmender die schlechten Nachrichten ins Haus fallen, desto intensiver tun Merkel & Co. das Falsche. Nach der neuerlichen Herabstufung Spaniens durch die Rating-Agentur Moody’s und neue Alarmzeichen aus Italien und Zypern, hat Schwarz-Gelb den Druck auf SPD und Grüne noch einmal erhöht. Mit dem vorläufigen Ergebnis, dass die SPD dem Fiskalpakt allerhöchstwahrscheinlich zustimmen wird („Rheinische Post“, 14. Juni 2012) Die Grünen halten sich noch bedeckt und hoffen, dass es aus Brüssel einige Unterstützung für den von ihnen favorisierte „Schuldentilgungsfond“ (Model des Sachverständigenrates www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/download/gutachten/ga11_iii.pdf) geben wird. Doch weder die von SPD und Grünen geforderte Finanztransaktionssteuer, noch die Installierung des Schuldentilgungsfonds, geschweige denn ein Wachstumspaket für die am höchsten verschuldeten Euroländer dürften bis zum Beginn der Sommerpause (auch nur ansatzweise) auf den Weg gebracht sein. Sprich: SPD und Grüne werden vermutlich ohne konkrete Zusagen Fiskalpakt und ESM-Vertrag ratifizieren und damit Deutschland einen weiteren Bärendienst erweisen. Es ist völlig unverständlich, dass schon die Tatsache, dass sich deutsche Politiker diese „Monster“ ausgedacht haben, dazu führt, dass im „Ausdenkerland“ eine falsche Geschlossenheit eingefordert/akzeptiert wird.

Zur Situation in der Euro-Zone: Spanien muss für Zehnjahrespapiere ab sofort 7 % Zinsen zahlen – und das, obwohl für die Rettung spanischer Banken 100 Milliarden Euro in der Pipeline sind. Italien gewährt für Papiere mit gleicher Laufzeit mehr als 6% Zinsen. Und der größte Käufer für deutsche Staatsanleihen, Pimco, verkauft diese inzwischen www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/pimco-misstraut-deutschen-staatsanleihen-a-838637.html. Einfach weil er die Abwärtsspirale deutlich erkennt. Denn mit jeder weiteren Unterstützungsleistung wird auch die Bonität der Unterstützer geschwächt. So muss auch Schäuble ständig neue Nachtraghaushalte erfinden und dem Steuerbürger aufbürden. Der freilich merkt zu wenig davon – noch.

Gewaltige Gefahren drohen weiterhin aus Griechenland. Sollte das Land nach der Wahl vom 17. Juni in die Insolvenz geraten, dann müssten nicht nur griechische sondern aus viele andere europäische Banken und Versicherungen immense Gelder abschreiben, was den Druck auf Spanien und Italien (deren Banken natürlich auch in Griechenland engagiert sind) zusätzlich erhöht.Hinzukommt, dass die großen Hedgefonds erneut riesige Summen in „Euro-Niedergangs-Wetten“ investieren, was den Abwärtsdruck – vor allen in den Südländern- weiter erhöht und den Akteuren märchenhafte Gewinne beschert www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/euro-krise-spanien-muss-rekordzinsen-fuer-anleihen-zahlen-a-838451.html.

Man muss schon ein Ignorant, ideologisch verbissen oder ein Narr sein, wenn man diese Entwicklung nicht zur Kenntnis nimmt. Die Eurozone ist in akuter Gefahr, und sie bricht, wenn nicht unverzüglich gehandelt wird.

Jetzt hilft nur noch eine sofortige Kehrtwende in der Politik. Dazu gehört das Bekenntnis zu folgenden Schritten:

1) Die Europäische Union entwickelt bis Jahresende ein verbindliches, an konkrete Projekte gebundenes Konjunkturprogramm für die stark verschuldeten Länder der Euro-Zone (Beispiele: Aufbau alternativer Energieversorgungssysteme, Reinigung des Mittelmeers/betr. Müll und Plastikabfälle etc.)

2) Alle Länder, die bereits Geld aus dem EFSF erhalten oder dies in Kürze beantragen müssten (Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Irland, Portugal etc.) verpflichten sich zu konkreten Strukturreformen – insbesondere im Beamtenapparat und bei der Steuerverwaltung. Außerdem prüfen sie alternative Einsparziele – wie das derzeit schon in Griechenland angedacht ist (Reduzierung des Rüstungs-Etats, Kostensenkung im Verwaltungsbereich sowie bei Versorgungsgütern und Dienstleistungen für den Staat). Dafür verzichtet die EU auf wirtschaftspolitische Eingriffe in diesen Ländern und weitere Sparauflagen. Für Griechenland – das keinesfalls aus der Eurozone entlassen werden darf - sind die Sparauflagen drastisch zu reduzieren – insbesondere dort, wo sie die wirtschaftliche Entwicklung abwürgen, weitere Arbeitslosigkeit, Altersarmut und anderweitige nackte Not erzeugen.

3) Alle Länder der Eurozone vereinbaren die Ausgabe von Eurobonds durch die EZB. Letztere erklärt darüber hinaus, dass sie die Staatsanleihen der hoch verschuldeten Länder bis zu einem maximalen Volumen von beispielsweise 60% des nationalen BIP tauschtwww.taz.de/!84772/. So könnte diesen Ländern die Chance eröffnet werden, sich zu moderaten Konditionen frisches Geld am Finanzmarkt zu beschaffen. Zeitgleich ist in der Eurozone ein Schulden-Audit durchzuführen – mit dem Ziel, die überbordenden Belastungen für ausgewählte Länder durch weitere Schuldenschnitte zu reduzieren. Ein erster Schritt könnte das von Syriza-Berater Paraskevopoulos vorgeschlagene dreijährige Schuldenmoratorium sein, auf das sich alle Euroländer(auch was die Finanzierung betrifft) verständigen müssten www.tagesschau.de/wirtschaft/interviewsyriza100.html

4) In allen Ländern der Euro-Zone wird die Steuerpolitik harmonisiert. Hauptziel ist die Verbesserung der Einnahmesituation. Dabei geht es vorrangig um die möglich großflächige Einführung der Finanztransaktionssteuer, die Schließung von Steuerschlupflöchern und die Vereinbarung einer europaweiten Vermögensabgabe (Motto: nicht tot sparen, sondern die Einnahmen der Staaten vergrößern).

5) Abwendung bzw. Eindämmung der Verschuldungsgefahren, die von neuen Blasen in den Finanzmärkten herrühren. Bereits heute ist das Volumen spekulativer Papiere (darunter die menschenverachtenden „Wettscheine“ auf steigende Nahrungsmittel-Rohstoffe und abstürzende Eurostaaten!) größer als vor der Immobilienkrise 2007/2008. Für Blasen dieser Art ist das Platzen vorprogrammiert – lediglich der Zeitpunkt des Kollapses und das Ausmaß der Schäden sind derzeit unbekannt. Fest steht, dass ein erneuter Zusammenbruch die derzeitige Krise so verschärfen würde, dass wirtschaftlich nichts mehr liefe. Die gesamte Weltwirtschaft fiele für Jahre und Jahrzehnte in Agonie. Um diese Entwicklung zu stoppen, muss die Weltgemeinschaft die bislang von Wall Street und Londoner Börse boykottierte Reform der Finanzmärkte jetzt durchsetzen. Die einzelnen Maßnahmen sind endlos oft durchdekliniert worden: Verbot hoch spekulativer Papiere (Derivate, Zertifikate einschl. der o.a. Wetten), von außerbörslichen OTC-Geschäften, Leerverkäufen und Kreditausfallversicherungen (CDS), Trennung von traditionellen und Investmentbank-Geschäften, Aufstockung des Eigenkapital von Banken, Auflösung von „too-big- to-fail-Banken usw.

Um die Realisierungs-Chancen für dieses Gesamtpaket zu verbessern, müssten besagte Börsenplätze immens unter Druck gesetzt werden. Das geschieht derzeit schon durch die weltweiten Bürgerbewegungen (Occupy, attac etc.). Deren Aktivitäten könnten aber nur fruchten, wenn gleichzeitig die unter 1) bis 4) aufgeführten Maßnahmen verwirklicht würden, sprich: wenn Europa zu neuer Funktion/Stabilität fände. Zu der freilich gehört mehr als EU-Kommissionspräsident Barroso derzeit fordert – nicht nur eine stärkere Integration der Euro-Zone, eine gemeinsame Bankenaufsicht und ein Eurobonds trächtiger Krisenfond www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/italien-zinsen-fuer-staatsanleihen-steigen-a-838596-druck.html sondern Bereitschaft/Wille und Mitwirkung der Bürger, eine Reform der Geldordnung und Staatsfinanzierung www.occupymoney.de/Blockupy.pdf ,

eine neue EU-Handelspolitik (Exporte!)etc.

Begriffserklärungen unter www.stoerfall-zukunft.de/blog/358-die-schuldenkrise-und-wie-wir-ihr-entgegentreten-koennen-update-2 im Glossar

Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de


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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth

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