Alles andere als Nostalgie

Kommune Unsere Gemeinschaft erfüllt nicht die klassischen Klischees. Das löst nicht nur bei Journalist*innen mitunter Enttäuschung aus. Wenn Realität auf Vorurteile trifft:

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Meine Mitkommunard*innen sind mitunter skeptisch, wenn wir Anfragen von Journalist*innen bekommen. Zu häufig haben sie mit der Berichterstattung über unser Projekt schon schlechte Erfahrungen gemacht. Die Villa Locomuna erfüllt offensichtlich nicht die Klischees, die in den Artikeln und Beiträgen abgearbeitet werden sollen: Hippies, Ballonhosen, Joints, Unordnung und ein Alltag, der langsam vor sich hinplätschert. Die Realität führt nicht selten zu Verwunderung – oder gar Enttäuschung. Das soll eine Kommune sein?

Vor kurzem hatte ich das Vergnügen, einem jungen Reporter vom Bayerischen Rundfunk Rede und Antwort zu stehen. Er hatte sich explizit eine*n etwas jüngere*n Gesprächspartner*in gewünscht, der oder die sich auch heutzutage bewusst dafür entschieden hat, in einer Kommune zu leben. Als Journalistin bilde ich mir ein, mit solchen Situationen gut umgehen zu können – ich kenne ja schließlich auch die andere Seite. Außerdem habe ich keine großen Berührungsängste was Medien angeht und freue mich, wenn unser Projekt und unsere Ideen eine gewisse Aufmerksamkeit bekommen. Das gilt besonders für Beiträge, die sich an ein Publikum richten, die wir sonst wahrscheinlich eher nicht erreichen.

Echtes Interesse

Wir unterhielten uns ungefähr zwei Stunden, das Aufnahmegerät lief die ganze Zeit. Ich führte den Gast durch unser Haus und erzählte die ein oder andere Anekdote, ehe wir dann bei einem Kaffee seinen konkreten Fragekatalog abarbeiteten. Es war ein nettes Gespräch, zumal wir in einem ähnlichen Alter waren. Und sein Interesse schien mir aufrichtig zu sein.

Als ich einige Zeit später den Beitrag im Internet anhörte, stellte sich allerdings erstmal Ernüchterung ein. Ich hatte das Gefühl, meine Zitate seien häufig aus dem Zusammenhang gerissen worden. Stattdessen wurden sie in einen Kontext eingebettet, der mir nicht sonderlich zusagte. Der gesamte Tonfall und die Aufmachung der Sendung überzeugten mich ganz und gar nicht – was teilweise sicher auch an meinem Geschmack liegt, was journalistischen Stil angeht. Spätestens mit dem Satz “Ich brauche mein eigenes Geld! Ich glaub’, es hackt!” hatte die Moderatorin bei mir verloren.

Konzept aus vergangenen Zeiten?

Das Thema der Sendung war “Retronostalgie“. Dementsprechend ging es darum, zu überprüfen, wie eine Kommune (dieses Konzept aus vergangenen Zeiten) heute aussieht und funktioniert. Im Gespräch merkte ich schnell, dass ich mit den Vorurteilen und Stereotypen, die viele offenbar mit dem Begriff verbinden, noch nie viel anfangen konnte. Meine Familie hatte keinerlei Bezug zur 68er-Generation, mit der linken Bewegung bin ich erst im Studium in Berührung gekommen (Stichwort Occupy) und in diesen Kreisen spielte das Thema keine große Rolle. Wenn überhaupt, ging es um größere Wohnprojekte oder linke WGs.

Als ich mir die Kommunen in Kassel zum ersten Mal anschaute, hatte ich kein bestimmtes Bild im Kopf. Mich interessierte die solidarische Ökonomie, speziell die solidarische Landwirtschaft, und die gemeinsame Arbeit an politischen Gegenkonzepten. Ich hatte das Gefühl, dort konkrete Ansätze für den Alltag zu finden. Ich erwartete dort keine Nudist*innen, keine Hippies und auch keine Heilsversprechen. Inzwischen bin ich sehr dankbar dafür, dass ich so zur Kommune-Bewegung gefunden habe – und sie mir tatsächlich einen Weg aufgezeigt hat, meine Überzeugungen gemeinsam mit anderen Menschen jeden Tag in die Tat umzusetzen.

Politisches Selbstverständnis

Ein Grund mehr, den Klischees über Kommune etwas entgegenzusetzen. Wir schwelgen hier nicht in Nostalgie oder hängen vergangenen Hippie-Zeiten nach. Im Gegenteil: Wir wollen die Zukunft gestalten. Und zwar so, dass möglichst viele Menschen etwas von ihr haben. Politische Kommunen verstehen sich als praktisches Gegenkonzept zu einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das ausschließlich auf Profit und Egoismus ausgelegt ist – und Mensch und Natur damit gleichermaßen schadet. Mehr dazu in unserem Selbstverständnis.

Nach meinem anfänglichen Ärger über den Radio-Beitrag schickte ich den Link doch an meine Mitbewohner*innen. Und sie konnten meine Bedenken zumindest teilweise zerstreuen. Zwar fanden die meisten die Sendung an sich auch nicht sonderlich hörenswert, aber so schlecht, wie ich dachte, kam unser Projekt wohl doch nicht rüber:

“Wenn ich im Auto in Bayern unterwegs gewesen wäre, und hätte im Radio deine Sätze gehört, dann hätte mir das extrem gut gefallen, und ich hätte anhalten müssen, um mir den Namen der Kommune aufzuschreiben.”

Na, immerhin. Können wir nur hoffen, dass es einigen Zuhörer*innen so ging und der Beitrag vielleicht ein bisschen dazu beigetragen hat, das Bild von “Kommune heute” zu korrigieren – gerade in Süddeutschland.http://vg06.met.vgwort.de/na/4fa5ffc9da25403a94aa52fe8a3cd809

Anhören könnt ihr ihn übrigens hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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