Bauernfeind, 3sat und Känguruh-Hoden

3sat oder RTL II ? Talkerin Bauernfeind liefert - frei nach Kurt Hiller - publizistischen Unrat.

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Die Abschaffung des "echten" Fernsehers war eine meiner besten Entscheidungen der letzten Jahre. Was für ein Gewinn! Ab und zu eine einzelne Sendung über den PC genügt vollkommen, mehr gibt das Programm ohnehin nicht her.

Zum Thema Fernsehkonsum glaubte ich daher bis vor kurzem mit gutem Gewissen sagen zu können "Wenig. Wenn überhaupt am ehesten ARTE, 3sat oder Phoenix".

Gestern sehe ich auf 3sat eine TV-Frau namens Bauernfeind. Deren Funktion ist .... nun ja, Talkerin scheint es ganz gut zu treffen.

Aus Sicht des Zuschauers wirbelt sie auf einem auf Ultra-High-Tech gemachten TV-Bildschirm ihre digitalen Bildausschnitte umher, wie man es von Tom Cruise als Cop in "Minority Report" kennt.

Zwischen den eingeblendeten Beiträgen sieht man - nur sie. Nur das Gesicht. Riesengroß. So riesengroß, das man beim Anblick ihres kleinen Leberflecks immer an Cindy Crawford denken muss.

Alle Beiträge präsentiert sie mit mal hochgezogenen Augenbrauen, mal zur Seite gezogenen Mundwinkeln, mal schräg gelegtem Kopf, soll heißen: mit einer ironischen Süffisanz, einer Coolness, einer Abgeklärtheit, ja, einer womöglich wissenden Distanz.

Aber: Ironie kann heute jeder. Coolness ist mediale Pflicht, und Abgeklärtheit steht schon auf dem Stundenplan der Unterstufe.

Bauernfeind interviewt also den wohl eher unbekannten deutschen Kabarettisten Bernhard Hoecker, der offenbar nach Neuseeeland eingeladen wurde, um für das Land Werbung zu machen.

Die Bauernfeind, Katrin mit Vornamen, interviewt laut 3sat "nur Menschen, die wirklich etwas zu sagen haben". So also interviewt sie den Herrn Hoecker:*

B.: Wie kam es zur Einladung nach Neuseeland?
H.: Werbung für Joghurt hätte mit sich gebracht, dass man einen Becher Yoghurt zum Probieren geschenkt bekommen hätte, aber hier gabs eine Reise nach Neuseeland - ist das nicht cool?

B.: Warum Neuseeland?H.: Viel toller als Australien oder USA!

B.: Warum?
H.: Weil die Leute dort viel cooler sind, nicht so (kann sich nicht recht artikulieren)

B. (Wohlwollend, verstehend zunickend)

B.: Was würdest Du nie machen?
H.: Also da gibts Sachen die sind interessant anzuschauen, also zum Beispiel das Dschungelcamp, das sind so Grenzsituationen, weißt Du, also das ist schon interessant, aber mitmachen, nee, ich mein Känguruh-Hoden zu essen, nee, also ...

B. (Nickt, versteht das voll)

B.: Das Besondere an der Reise war, dass (mit ironischem Unterton) die "Community", also - hihi - der user - mitbestimmen konnte, was Du alles zu machen hast. Wie war das?

H.: Also da hatten wir zum Beispiel 4000 user-Aufforderungen. Und daraus ergab sich, dass wir am Strand xy mit Handtüchern unsere Namen legen sollten. Gar nicht ohne, weil wir hatten nur 36 Handtücher mit uns, aber laut unserer Excel-Übersicht brauchten wir 80 !

B.: (voll dabei)

Schnitt. Weg und Aus.

Keine Coolness. Keine wissende Distanz. Nur Einheits-Unterhaltungs-Dumpfbacken-Trallala à la RTL.

Das alles wäre nicht weiter erwähnenswert, wäre die Sendung nicht auf 3sat gelaufen.

Interviews mit Leuten, die etwas zu sagen haben?

Abgebrüht war und eine wissende Distanz hatte ein Sebastian Haffner. Der konnte eine dreiviertel Stunde ohne Teleprompter und Schickschnack zur Lage der Nation oder einem historischen Thema referieren. In druckfähigem Deutsch, versteht sich.

Bevor nun einer kommt und nörgelt, der Haffner sei doch ein Konservativer gewesen. Na und? Dem ging es um die Sache, um Inhalte. Ohne Schnörkel. Ohne Firlefanz. Das ist gut so im demokratischen Diskurs. Mehr noch. Es ist lebenswichtig.

Kultur, wie es sich 3sat auf die Fahne geschrieben hat - Motto: "anders Fernsehen, Kultur und Wissenschaft stehen im Mittelpunkt" -, ist ebenfalls lebenswichtig für eine aufgeschlossene, demokratische Gesellschaft. Aber bitte ebenfalls ohne Firlefanz. Kultur mit Firlefanz gibt es nicht. Man legt ja auch nicht einen Mercedes tiefer, es sei denn man trägt Goldketten.

Deshalb könnte das Format Bauernfeind vielleicht die C-Klasse für RTL sein, aber es ist Siebziger-Jahre-FIAT-Klasse für 3sat.

Sollten sich 3sat, arte oder Phoenix aufgrund des "Marktes", der vermeintlichen "Verbraucherwünsche" einer schleichenden Banalisierung hingeben? Sind Sendungen wie Bauernfeind Versuchsluftballone?

Stinkender publizistischer Unrat

In der tapferen Weltbühne (Ausgabe 17. Juni 1915) war von Kurt Hiller eine herbe Kritik am allzu praxisfernen Satiriker zu lesen. Denn der sei allzu oft

stolz darauf, nur Künstler zu sein, und dankte der himmelstinkenden außenwelt täglich auf den Knien, dass sie ihm Stoff lieferten.

Unrat düngte seinen Acker; ihm war der Acker das Wichtigste; nicht: die Beseitigung des Unrats.

Das Format Bauernfeind passt gut dazu: Ironisch über die "Sorgen" und "Probleme" und "Interessen" der Leute berichten und dabei den Eindruck vermitteln, es ginge gleich um mehr, um Wichtigeres. Aber Fehlanzeige. Es bleibt dabei, es geht nur um die ach so lustige, oder irre, oder verrückte Wiedergabe des Lustigen, Irren oder Verrückten.

Eine Sendung mehr, die Deutschland nicht braucht.

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* Keine Zitate. Frei aus dem Gedächnis.

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

schlesinger

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