Ortstermin im Wohnungs-Wahnsinn

München Wer in deutschen Großstädten eine Wohnung sucht, braucht häufig einen Makler – oder gute Nerven und viel Zeit. Vor Ort bei einer Wohnungsbesichtigung

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Die Wohnung liegt im vierten Stock, die Warteschlange endet auf halbem Weg zwischen zweiter und dritter Etage. Je nach persönlicher Einstellung ist das ein ermutigender Zwischenstand bei der Ankunft um 9.30 Uhr am Morgen. Seit rund einer halben Stunde werden an diesem Freitag Interessenten durch eine freie Wohnung geschleust, und bis ungefähr 11 Uhr soll es noch so weitergehen. Der Mietvertrag ist für jeden Einzelnen so gut wie unerreichbar, was selbst den Optimisten klar sein dürfte.

Wer in München eine Wohnung sucht, ohne sein Geld für die Dienste eines Maklers zu verbrennen, muss für jeden Wahnsinn gerüstet sein. Hier und heute war das Eintreten des Wahnsinns zumindest absehbar. Ein 1-Zimmer-Apartment auf halbem Weg zwischen Hauptbahnhof und Theresienwiese ist für unter 700 Euro warm zu haben: Als Mensch auf Wohnungssuche müsste man in München verrückt sein, nicht zu erscheinen – oder man muss verrückt sein, um sich den aussichtslosen Kampf um ein paar Quadratmeter Wohnfläche tatsächlich anzutun.

Nicht nach dem Sinn fragen

Eintritt gewährt die Dame der Hausverwaltung nur gruppenweise. Mal dürfen fünf Personen rein, mal sind es acht, ein System ist nicht erkennbar. Auf der Treppe aufrücken, still durchhalten, nicht über den Sinn der eigenen Anwesenheit nachdenken. Wie viel Zeit vergeht, bis man selbst dran ist? Die erfahrenen Wohnungsbesichtiger sehen nicht auf die Uhr. Es wird halt so lange dauern, wie es eben dauert.

Drin in der Wohnung. Kurze Worte der Hausverwaltungsdame, Eintragen in die Liste, Selbstauskunft ausfüllen, flüchtiger Blick durch die leeren Räume. Jetzt zeigt sich, wer neu ist im Kampf um Wohnraum. Nur Anfänger würden ohne Gehaltsnachweise, Schufa-Auskunft etc. in der Hand eintreffen. Der Papierstapel, den die Durch-Die-Wohnung-Wink-Dame gesammelt hat, ist daher schon auf eine beeindruckende Höhe angewachsen. Kaum zu glauben, dass wirklich jemand den Berg an Formularen aufmerksam betrachten wird. Die verfügbare Zeit lässt mich daran zweifeln. Die Entscheidung über den zukünftigen Mieter soll bereits am Montag fallen.

Keine Hoffnungen machen

Händeschütteln zur Verabschiedung, Übergabe aller Unterlagen, freundlich lächeln und raus. Termin abhaken und sich bloß keine Hoffnungen machen.

Die Schlange im Treppenhaus zieht sich inzwischen bis in den ersten Stock. Ob es sich überhaupt noch lohnt zu warten, fragt ein junger Mann am Ende der Schlange. „Wir knacken heute mit Sicherheit locker die 200-Bewerber-Grenze“, gebe ich ihm mit auf den Weg. Ob die Wohnung denn so geil sei, will er wissen. „Es ist eine Wohnung in München“, antworte ich. Leise Zustimmung von Personen hinter mir. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Tatsächlich wird bereits am Montag die erwartete Absage zugestellt. „Trotz (!) der großen Nachfrage ist es uns gelungen, einen Mieter für die Wohnung zu finden“, lässt man mich darin wissen. Hätte man daran bei so vielen Bewerbern wirklich scheitern können?

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