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Die britische Band Elbow zeigt, warum wir für Musik früher ganze Tage im Plattenladen verbrachten.

Einmal im November standen ein Freund und ich vor dem Gebäude, in dem wir arbeiteten. Er rauchte, ich steckte die Hände in die Taschen. Wir redeten über Sachen, dann sagte er: „Weißt du, Musik ist für mich nur noch ein Konsumgut.“
Es war eine Tonne Bedauern in seiner Stimme. Ich erinnerte mich an die Regale voller CDs, die in seinem Wohnzimmer standen, und die Poster von Konzerten 1997 im Kölner E-Werk, die an seinen Wänden hingen.

Ich wusste sofort, dass es mir ebenso erging wie ihm. In dem Jahr hatte ich bestimmt fünfundzwanzig neue Platten gekauft, aber wie viele davon hatte ich häufiger als dreimal gehört? Und wie viele hatte ich gehört, ohne parallel im Internet zu surfen, zu lesen, abzuwaschen oder zu telefonieren?

Das hatte nichts damit zu tun, dass die Platten schlecht waren. Einige von ihnen waren sogar herausragend. Es hatte einfach damit zu tun, dass ich mir nicht mehr die Zeit nahm. Entweder, weil ich sie nicht mehr hatte oder weil ich sie mir nicht mehr nehmen wollte. Weil diese Magie verloren gegangen war, eine Platte im Laden zu suchen, zu kaufen, freudig nach Hause zu gehen, sie erwartungsvoll in den CD-Spieler zu schieben und dann mit den ersten Tönen in einer anderen Welt zu verschwinden.

Vorfreude war mir fremd geworden. Songtexte las ich kaum noch. Damit hatte auch das Internet mit seinen amazons, Blogs, itunes und Streams zu tun. Musik war so schnell und mühelos verfügbar wie nie zuvor. Niemals hatte ich so viel Musik gehört und gleichzeitig so wenig zugehört.

Ich wollte die Magie zurück, die mich erfüllte, als ich 17 war.

Und dann das.

Die Band Elbow aus dem Großraum Manchester gehört zu jenen Bands, von deren Existenz ich zwar wusste und von deren Musik ich annahm, dass sie mir gefallen würde, trotzdem hatte es mich aber nie gedrängt, ein Album zu kaufen. Ich kannte lediglich ein paar Songs.

Dann bin ich wieder auf einem dieser Musikblogs, die mir die Magie ausgetrieben haben, und er hat ein neues Video von Elbow verlinkt. Weil es Dezember ist und die Musikindustrie gerade sehr wenige neue Produkte hervorbringt, starte ich das Video.

Elbow veröffentlichen im März ihr neues Album Build a Rocket Boys!, ihr fünftes. Das Video zeigt, wie die Band den Song Lippy Kids vom neuen Album im Studio spielt. Das Video zeigt eine Liebe zur Musik. Es zeigt fünf bärtige Musiker, die ganz in sich sind. So wie Sänger Guy Garvey, der vor dem Mikrofon steht, die Hände in die Manteltaschen gesteckt hat und den Refrain mit geschlossenen Augen singt. Die anderen sitzen und sind bei ihren Instrumenten. Dem Flügel, dem Keyboard, dem Bass und der Gitarre.

Sie spielen ein Lied, das eine Ode an die vorlauten Vorstadtbengel ist, und es ist sanft und warm und wehmütig und schön. In etwa so wie Nightswimming von REM.

Am Ende des Lieds macht Gay Garvey ganz kurz ein zufriedenes Gesicht. Bei Youtube schreibt jemand unter das Video: „Had to shove a sock in my mouth to prevent my heart and lungs escaping when the chorus kicks in.“

Das Video zu "Lippy Kids" kann man sich hier ansehen.

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