Die deutsche Jungschauspielerin und ich

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Ich denke über mein Verhältnis zur Freiheit nach. Deshalb tätowiere ich mir bestimmte Sprüche nicht mehr auf die Oberschenkel.

Eine Freundin rief an. Die Freundin sagte: „Sie hat sich gemeldet.“
Ich fragte: „Und?“
Sie sagte: „Ich maile es dir.“

Meine Freundin hatte eine ehemals aufstrebende deutsche Jungschauspielerin interviewt. Jedenfalls hatte sie es versucht. Weil sich die ehemals aufstrebende deutsche Jungschauspielerin nicht in der Lage sah, Antworten zu geben, die länger als drei Worte waren, bat sie darum, per E-Mail zu antworten.

Eben diese Antworten schickte sie mir. Sie sahen aus, als habe ein Dreijähriger auf der Tastatur herumgehackt, nachdem er ein Buch über den Surrealismus gelesen hatte. Trotzdem schaffte es meine Freundin, daraus Antworten zu machen, die das Sprachgefühl nicht verletzten. Die ehemals aufstrebende deutsche Jungschauspielerin wollte die Antworten aber noch mal lesen. So ist in Deutschland die Abmachung zwischen Journalisten und Prominenten.

Zwei Tage später rief die Freundin wieder an. Die Freundin sagte: „Sie hat sich gemeldet. SIE hat sich gemeldet.“
Ich fragte: „Und?“
Sie sagte: „Ich maile es dir.“

Die Antworten sahen nun wieder so aus, als habe ein Dreijähriger auf der Tastatur herumgehackt, nachdem er ein Buch über den Surrealismus gelesen hatte. Ich wünschte meiner Freundin noch viel Spaß.

Ich erzähle das nicht, weil in meinem eigenen Leben gerade nicht viel passiert. Auch wenn gerade wirklich nicht viel passiert. Ich erzähle das, weil es damit zu tun hat, dass ich begonnen habe, Salzstangen nicht mehr zu hassen. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommt und deshalb kann ich nachts nicht schlafen.

Es ist nämlich so: In dem Moment, in dem ich die Antworten dieser Schauspielerin sah, bekam ich Angst vor dem unkontrollierten Geist des Menschen. Wenn der Mensch beschließt, sich an keine Regel mehr zu halten, dann schreibt oder macht er surrealistischen Quatsch, den niemand versteht, nicht mal er selbst. Denn so ist der Mensch. Chaotisch, widersprüchlich, impulsiv, unberechenbar.

Weil das viel zu gefährlich ist, gibt es Regeln, Gesetze, Konventionen, Gefängnisse, Tabletten. Gesetze sind ja wie Tabletten, sie halten den Menschen dort, wo er keinen Schaden anrichtet. Es gibt ja nicht deshalb Medizin gegen Husten, damit er gesund wird, sondern damit er keinen anderen ansteckt.

Ich will aber gar nicht so denken. Ich will schreiben: Frei wie ein Vogel muss der Mensch sein oder frei wie der Wind. So einen Quatsch hätte ich mir früher auf die Oberschenkel tätowiert. Jetzt sage ich: Frei wird der Mensch zum Raubvogel oder zum Tornado. Mein anarchistischer Leichtsinn geht zur Neige.

Das erkenne ich daran, dass ich dem Konsum von Salzstangen einiges abgewinnen kann. Früher habe ich nie Salzstangen gegessen. Sie waren für mich das Symbol von Langeweile, Sesshaftigkeit und Bürgerlichkeit. Sie waren das Symbol für alles, was ich hasste, also für ziemlich viel. Nun aber sage ich nicht nein, wenn mich jemand auf der Straße anspricht und sagt „Wollen Sie eine Salzstange haben?“ Ich lehne auch nicht ab, wenn jemand sagt „Wollen Sie noch eine Salzstange haben?“ Jeder Biss in die Salzstange bringt mich näher zu den Leuten, die ich früher hasste. Ich will das nicht, ich will das nicht. Es ist aber so.

Ich könnte die Salzstangen essen, in meinem Mund zu einem Brei verflüssigen, auf ein Blatt Papier rotzen, ein Buch über den Surrealismus lesen, ein Bild aus dem Brei malen und dann mit der ehemals aufstrebenden deutschen Schauspielerin in wilder Ehe leben.

Geht nicht. Wenn ich eines hasse, dann rotzen.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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