Hannelore und Jürgen kommen ins Grübeln

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Ich gebe ein Gespräch zwischen Hannelore Kraft und Jürgen Rüttgers wieder. In dem versucht Frau Kraft, den NRW-Ministerpräsidenten aus seinem Büro zu werfen, weil es nun ihr gehört.

Ich muss es wissen, ich war schließlich nicht dabei.

Jürgen Rüttgers: Herein… Frau Kraft, was führt Sie denn zu mir? Und warum tragen Sie einen Karton unter Ihrem Arm?
Hannelore Kraft: Ich wollte mein neues Büro beziehen.
Rüttgers: Da sind Sie hier aber falsch.
Kraft: Ist das hier nicht das Büro des Ministerpräsidenten?
Rüttgers: Doch.
Kraft: Na also.
Rüttgers: Frau Kraft, haben Sie etwa vergessen, wer der Ministerpräsident ist?
Kraft: War, Herr Rüttgers, war. Das Volk hat Sie abgewählt. So, könnten Sie nun bitte schon mal den Schreibtisch freiräumen?
Rüttgers: Ich räume hier überhaupt nichts frei. Ich habe einen klaren Wählerauftrag. Ich hatte 6000 Stimmen mehr als Sie. Sechstausend! Wissen Sie, wie viel das ist?
Kraft: Der künftige Zuschauerschnitt von Hertha BSC bei Heimspielen?
Rüttgers: Ha ha, immer schön gegen die Bundeshauptstadt. So gefallen Sie mir, Frau Kraft. Aber mal im Ernst: Sind Sie eigentlich noch zu retten? Ich bin Ministerpräsident und bleibe Ministerpräsident.
Kraft: Sie wurden abgewählt, Herr Rüttgers. Sehen Sie es doch endlich ein. Ihre Partei hat einen historischen Einbruch erlebt und das hat auch mit Ihnen zu tun. Kann ich Sie eigentlich noch für eine halbe Stunde als Umzugshelfer mieten?
Rüttgers: Sehr witzig, Frau Kraft. Und warum sollten Sie die neue Ministerpräsidentin werden?
Kraft: Furchtbar, diese Möbel hier. Ich habe schon Sessel mit rotem Leder bestellt. Die sehen wirklich toll aus.
Rüttgers: Es schüttelt mich. Aber Sie werden ja ohnehin nicht hier einziehen.
Kraft: Ich habe einen klaren Wählerauftrag.
Rüttgers: Höchstens, wenn Sie wortbrüchig werden und mit den Grünen und den Kommunisten und Anarchisten zusammengehen.
Kraft: Wen meinen Sie?
Rüttgers: Die SED-Nachfolgepartei.
Kraft: Ich wundere mich, warum es sich meine Partei eigentlich erlauben könnte, mit Ihrer Partei und der FDP zu koalieren, aber nicht mit der Linkspartei. Mit denen haben wir doch viel mehr gemeinsam.
Rüttgers: Weil diese Partei das Private verstaatlichen will und wir dann nur noch Hafergrütze zu essen bekommen. Begehen Sie ruhig Wortbruch. Sie werden schon sehen, was Sie davon haben.
Kraft: Der Wortbruch ist Ihnen doch egal. Entscheidend ist doch, für welche Partei ich Wortbruch begehe. Wenn ich vor der Wahl gesagt hätte, dass wir niemals mit der CDU zusammenarbeiten und nach der Wahl gesagt hätte „Ach doch“, dann hätte man meine Kompromissfähigkeit gelobt.
Rüttgers: Lächerlich!
Kraft: Sie sind lächerlich. Nun verschwinden Sie endlich aus meinem Büro. Diese Vorhänge sind ja wirklich scheußlich.
Rüttgers: Frau Kraft…
Kraft: Nordrhein-Westfalen hat genug von ihrer privatisierten Politik!
Rüttgers: Frau Kraft…
Kraft: Bald zieht wieder die soziale Gerechtigkeit in dieses Büro.
Rüttgers: Schluchz…
Kraft: Herr Rüttgers?
Rüttgers: Schluchz… heul.
Kraft: Was ist denn los mit Ihnen?
Rüttgers: Sie haben ja Recht.
Kraft: Bitte?
Rüttgers: Sie haben ja Recht.
Kraft: Womit?
Rüttgers: Ich bin abgewählt worden. Meine Partei hat zehn Prozentpunkte weniger geholt als vor fünf Jahren. Ich bin am Boden zerstört.
Kraft: Nun machen Sie mich aber verlegen.
Rüttgers: Glauben Sie nicht, dass ich nicht schon an Rücktritt gedacht habe? Die ganze Zeit tue ich das. Ich bin ja nicht blöd. Mein Weg ist zu Ende.
Kraft: Aber Herr Rüttgers. Nun komme ich auch ins Nachdenken.
Rüttgers: Wieso?
Kraft: Na ja, meine Partei hat ja auch verloren gegenüber der vorherigen Wahl. Wir sehen ja nur wie die Sieger aus, weil wir nicht so stark wie Ihre Partei eingebrochen sind.
Rüttgers: Wenn Sie das sagen.
Kraft: Jürgen, ich darf doch Jürgen sagen, um die Wahrheit zu sagen: Wir haben beide verloren.
Rüttgers: Aber Hannelore, du hast dich doch ganz gut geschlagen.
Kraft: Blödsinn. Machen wir uns nichts vor. Wir sind unerwünscht.
Rüttgers: Sie äh du übertreibst.
Kraft: Leider nicht.
Rüttgers: Was haben Sie vor?
Kraft: Gehen wir.
Rüttgers: Was bitte?
Kraft: Lass uns einfach gehen. Ein anderer Mensch wird in dieses Büro ziehen. Und dieser Mensch ist niemand von uns.
Rüttgers: Und wohin sollen wir gehen?
Kraft: Das ist doch egal. Einfach nur weg. Dann sehen wir weiter. Gleich fährt der Bus.
Rüttgers: Vielleicht hast du Recht.
Kraft: Es ist noch nicht zu spät für uns.

Fünf Minuten später sitzen die beiden auf der Rückbank eines Busses des öffentlichen Personennahverkehrs und grinsen. Nach einer Weile verschwindet Hannelores Grinsen allmählich aus ihrem Gesicht und sie guckt ausdruckslos nach vorne. Jürgen sieht zu ihr hinüber. Als er ihr Gesicht sieht, hört auch er auf zu grinsen.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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