Holland in Not

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich gehe in einen holländischen Supermarkt und treffe nur Grenzlanddeutsche. Deshalb mache ich mir Gedanken um das Nachbarland und den deutschen Nationalfeiertag.

Neulich schoss ich aus dem Schlaf und hatte Angst um Holland. In Holland gibt es eine Stadt, die existiert nur, weil dort Leute einkaufen, die nicht aus Holland kommen: die Grenzlanddeutschen, also Deutsche, die in unmittelbarer Nähe zur holländischen Grenze wohnen. Diese Stadt ist die erste in Holland, in die ich komme, wenn ich die Grenze überquere. Sie verfügt vorrangig über eines: einen Supermarkt.

Als ich zum ersten Mal in den Supermarkt ging, dachte ich: „Wow, ein ganzes Regal voller Kaffee.“ Dabei waren das nur diese Kaffeepads, der richtige Kaffee füllte zwei Drittel des Supermarktes. Nicht weil die Holländer so wahnsinnig viel Kaffee trinken, ich kenne keinen Holländerwitz mit Kaffee, sondern weil er in Deutschland viel teurer ist. In diesem Laden kaufen gar keine Holländer ein. Alle Sonderangebote sind auf Deutsch, die Kassiererinnen sprechen einen immer auf Deutsch an und die Regale mit den Coladosen sind mit „Pfandfrei“-Schildchen übersäht.

Weitere Dinge, die Grenzlanddeutsche in Holland kaufen: bunte und braune Schokostreusel, Krabbenchips, Pfefferminzbonbons und Weißbrot, in das man chinesisches Porzellan wickeln kann. Das backt die deutsche Backfirma Kamps. Die Firma Kamps, die in Deutschland Qualitätsbrot backt, setzt also in Holland auf Labberschnitten, und beide Male schlagen die Grenzlanddeutschen zu. Die kulturelle Überlegenheit der Holländer besteht demnach darin, den Kaffeepreis niedrig zu halten und sich von einer deutschen Firma mit schlechtem Brot beliefern zu lassen.

Was ich aber nicht verstehe: Warum macht Holland die Existenz eines ganzen Ortes von der Konsumfreudigkeit Deutschlands abhängig? Wenn der Kaffee doch teurer wird, veranstalten die Grenzlanddeutschen eine Einkaufswagendemo und dürfen noch den Bürgermeister bestimmen. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Ich hatte Geschichtsunterricht.

Besonders schlimm ist es am 3. Oktober. Wenn am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, im ZDF irgendwelche Politiker und Helmut Kohl von diesen spannenden Tagen damals sprechen, als die Welt… Atem angehalten… Gorbatschow an Bord… und so weiter, da fällt dem Grenzlanddeutschen nichts Besseres ein, als nach Holland zu fahren. In ein paar Tausend deutschen Haushalten spielt sich dasselbe ab. „Frau, pack den Kevin ein. Ist Tag der deutschen Einheit, wir fahren nach Holland, weil es da Dosen ohne Pfand gibt und schlechtes Weißbrot.“

Was wäre, wenn ganz Deutschland Grenzgebiet zu Holland wäre? Dann würde Deutschland den Tag der deutschen Einheit in einem holländischen Supermarkt feiern und die Parade am Brandenburger Tor würde unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Nur alle sieben Jahre ertragen die Grenzlanddeutschen den Feiertag zuhause. Dann ist Sonntag. Aber mit ihrer Konsummacht schaffen die Grenzlanddeutschen diesen Tag in Holland auch noch ab.

Von den Krabbenchips muss man sich übrigens nach einer halben Tüte übergeben.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden