Ich lese nicht aus Roy Blacks Tagebüchern

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Ich habe in meiner Heimatstadt vorgelesen. Mit dem Großteil des Publikums bin ich eng verwandt. Später gehe ich auf einen Alleinunterhalter los und überlege, wo meine Kolumne erscheinen soll.

Ich habe den Erfolg gesehen. Mit einem Fernglas. Und selbst da sah ich ihn nur winzig am Horizont. Vielleicht war es auch ein Eichhörnchen.

Am Sonntag las ich meine Kolumnen in der Heimat vor, ich erzählte davon vor zwei Wochen. Die Lesung war im hinteren Teil eines ehemaligen Supermarktes, der nun leer stand. Die Veranstaltung war Teil des Stadtfestes, das immer am Sonntag vor Beginn des neuen Schuljahres läuft. Dort gab es Tangas für einen Euro, Handyschalen und Terminator-DVDs mit vergilbtem Cover.

Das Publikum bestand aus meiner Mutter, meinem Vater, meinem Bruder, der Freundin meines Bruders, meiner Oma, meiner Nachbarin, dem Freund meiner Nachbarin, der Moderatorin und der Frau, die den Kaffee einschüttete. Ich sagte: „Schön, dass auch etwas gegen die geistigen Leerstände getan wird“, dann legte ich los.

Das Problem war, dass der Raum etwas abseits lag. Wer mir zuhören wollte, musste das Fest verlassen und 25 Meter laufen. Nach der Lesung ging ich mit dem festen Vorsatz nach draußen, mich in Verachtung für die Menschheit zu üben, vor allem die Menschen auf dem Stadtfest. Da gibt es Kultur, und alle kaufen Tangas für einen Euro. Ich wollte mich wieder fühlen wie mit 19, als ich in mein Tagebuch Sätze über meine Heimat geschrieben hatte wie „Der Mief, der uns erstickt, ist der Sauerstoff, den wir zum Leben brauchen“ und „Der Bürgermeister ist einer von uns, würde aber gerne einer von denen da droben sein.“

Dann hörte ich, wie jemand über Lautsprecher ziemlich schief Schlager sang. Ich lief einige Meter und sah auf der riesigen Bühne des Marktplatzes einen Alleinunterhalter an seinem Keyboard sitzen. Ich dachte: Das ist das Niveau, das diese Menschen intellektuell ausfüllt. Dann stellte ich fest, dass außer mir niemand vor der Bühne stand. Niemand sah sich auch nur nach dem Mann um.

Diese Erkenntnis überraschte mich: Die Menschen sind an schlechten Dingen genauso wenig interessiert wie an guten. Das schlechte langweilt sie, weil sie es schon kennen, das gute langweilt sie, weil sie es nicht verstehen. Ob also ich auf der Bühne saß oder der Alleinunterhalter, war den Menschen egal. Sie interessierten sich für beides nicht.

Doch während die Menschen mich nicht gehört hatten, hatten alle den Alleinunterhalter gehört, denn er war dort, w die Leute ohnehin waren, während ich an einem Ort war, zu dem man nur gelangte, wenn man es auch wollte. Das liegt daran, dass das Gute sich immer an Orten wie leer stehenden Supermärkten versteckt, während sich das Schlechte direkt auf den Marktplatz setzt und Keyboard spielt. Das Schlechte kommt niemals auf die Idee, dass jemand seine Wolfgang-Petry-Cover unausstehlich findet, während das Gute stets zweifelt: Bin ich wirklich gut? Brauchen die Menschen mich wirklich?

Es hilft aber nicht, wenn ich mich fortan einfach auf Bühnen setze, denen die Menschen nicht entkommen können. Denn dann würde ich mir eines Tages denken: Wozu Qualität, die Leute müssen mir ja zuhören, egal, was ich vorlese. Und dann würde ich aus den Tagebüchern von Bernhard Brink oder Roy Black vorlesen.

Das bringt mich auf die Idee, dass meine Theorie überhaupt nicht stimmt. Dass diese Alleinunterhalter genau wissen, dass sie schlecht sind und sich deshalb dort hinsetzen, wo ihnen niemand entkommen kann. Und dass die Guten so sehr davon überzeugt sind, gut zu sein, dass sie in ihrer Arroganz denken: Zu mir kommen die Leute auch, wenn sie dafür 25 Meter in einen leer stehenden Supermarkt laufen müssen. Ja sogar, wenn sie 50 Meter laufen und auf dem Weg dorthin zwei Türen öffnen müssten.

Ich bin deshalb verwirrt. Was stimmt denn? Ich weiß gar nicht, wo meine Kolumne erscheinen soll. Wenn sie ganz oben auf der Startseite steht, also auf dem Marktplatz, dann ist sie entweder schlecht oder ich bemerke nicht, dass sie schlecht ist. Wenn sie weit unten steht, also im leer stehenden Supermarkt, dann bin ich entweder von Selbstzweifeln zerfressen oder arrogant.

Ich lasse das mal lieber andere entscheiden.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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