Mein Zuhause ist keine Pizzeria

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Ich mache mich auf die Suche nach meinen Wurzeln. Dabei finde ich heraus, dass mein Pizzabäcker mich plötzlich grüßt und meine Eltern nicht wissen, wie ihr KFZ-Mechaniker heißt.

Ich müsste doch irgendwann mal sagen können: Hier bin ich zuhause.

In die Stadt, in die ich vor zwei Jahren gezogen bin, komme ich meist nur, um zu schlafen. Morgens gehe ich manchmal im Supermarkt einkaufen. Zu Fuß brauche ich nur drei Minuten. Tagsüber arbeite ich in anderen Städten. Am Wochenende verlasse ich meine Wohnung nur, wenn sie brennt. Oder um in eine andere Stadt zu fahren.

„Da ist unser Entwurzelter“, sagt eine Arbeitskollegin manchmal, wenn ich morgens ins Büro komme und sie weiß nicht, wie Recht sie damit hat.

Seit einigen Monaten gehe ich einmal pro Woche in eine Bäckerei. Zu Fuß brauche ich zwei Minuten. Weil ich seit einigen Monaten dasselbe Brot bestelle, greift die Bäckersfrau schon immer zum Brot, während ich noch meinen Wunsch äußere. Wenn ich die Bäckerei betrete, weiß sie, dass ich nicht neu bin. Das ist ein gutes Gefühl.

Achso, der junge Mann mit dem verwuschelten, da gerade gewaschenen Haar und dem Stoffbeutel… Bergsteigerbrot… groß… geschnitten. Alles klar.

Einige Zeit kaufte ich das Brot in der Stadt, in der ich arbeite. Als ich zurückkehrte, griff die Bäckersfrau wieder zum Bergsteigerbrot, bevor ich sagte, was ich haben wollte. Die Frau sieht immer so aus, als habe sie sich von ihrem Mann getrennt und müsse das Kind alleine erziehen. Vielleicht ist sie auch einfach nur müde. Doch ich rede nicht viel mit ihr. Morgens ist das nicht meine Stärke. Andere Menschen bleiben dort länger.

In den vergangenen Wochen habe ich häufiger Pizza in der Pizzeria neben dem Supermarkt bestellt. Ich hatte es tagsüber versäumt, ausreichend zu essen. Selbst kochen wollte ich nicht. Der Pizzabäcker und ich sprachen nicht mehr als nötig. Während ich auf die Pizza wartete, starrte ich hoch zum Fernseher, auf dem immer fremdsprachige Sendungen liefen.

Neulich kam ich vor Ladenöffnung an der Pizzeria vorbei. Der Pizzabäcker stand bereits an der Theke und winkte mir zu. Ich winkte vorsichtig zurück. Ich hatte nicht gedacht, dass unser Verhältnis schon so weit war. Nie hatte ich es geschafft, eine Beziehung zu einem Pizzabäcker zu haben, die den Gruß-Status erreichte. Ich hatte das Gefühl, nicht cool genug zu sein, um mich vor die Theke zu stellen und zu sagen „Hallo Francesco, wie immer die 4.“ Das war Sache der Jungs mit den Lederjacken und den blonden Freundinnen.

Nun aber grüßte der Pizzabäcker mich.

Ich werde auch diese Chance zur Verwurzelung verstreichen lassen, ist sie auch noch so verlockend. Denn dazu müsste ich dort weiter in der Häufigkeit der vergangenen Wochen Pizza bestellen. Es hat auch keinen Sinn, nur deshalb häufiger als es mir lieb ist dort zu essen, um den Gruß-Status zu erhalten. Lange würde ich das nicht durchhalten. Es ist auch keine gute Basis für eine Beziehung, wenn der eine dem anderen von Anfang an etwas vormacht.

Am Wochenende habe ich mal wieder meine Eltern in meiner Heimatstadt besucht und bei dieser Gelegenheit mein Auto in die Werkstatt gebracht. Diese wird von zwei Kfz-Mechanikern betrieben. Sie heißen Andreas und Klaus. Beim Mittagessen fragte ich meine Eltern, wer von ihnen Andreas und wer Klaus ist.

„Klaus ist der große Blonde“, sagte meine Mutter, „der wohnt hier gleich um die Ecke.“
„Den habe ich gestern auch dort gesehen mit seinem Auto“, sagte ich.
„Der große Blonde ist Klaus?“, fragte mein Vater. „Aber ich habe den großen Blonden immer Andreas genannt.“
„Nein, Andreas ist der andere, der mit den leicht bräunlichen Haaren“, sagte meine Mutter.
„Aber immer, wenn ich in der Werkstatt war und der mit den bräunlichen Haaren da war und ich nach Andreas fragte, hat der gesagt, dass Andreas nicht da ist.“
„Mmm“, meinte meine Mutter, „also Andreas ist der mit dem leichten Glatzenansatz.“
„So viele Haare haben die aber beide nicht mehr“, sagte ich.
„Andreas ist der jüngere und größere“, sagte meine Mutter.
„Also doch der Blonde“, sagte mein Vater.
„Na ja, eben der schlankere von beiden“, sagte meine Mutter.
„Dann ist Andreas der große Blonde und Klaus der kleinere mit den bräunlichen Haaren“, sagte mein Vater.
„Genau“, sagte meine Mutter.
„Aber warum habe ich dann Klaus vorhin hier um die Ecke gesehen, auch wenn es ja dann Andreas ist, der um die Ecke wohnt?“, fragte ich.
„Er hilft da jemandem im Garten“, sagte meine Mutter.

Später fiel mir auf, dass mich diese Diskussion keine Sekunde genervt hatte.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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