Nach meinem Tod werde ich berühmt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich klettere in ein Baumhaus und stelle fest, dass ich altere. Zur Aufmunterung will ich mich mit heißer Schokolade massieren lassen.

Als ich zum ersten Mal dachte, dass mein Leben bald vorbei ist, war ich achteinhalb Jahre alt. Es war spät, ich lag in meinem Bett und plötzlich würgte mich diese Erkenntnis: In anderthalb Jahren würde ich aufs Gymnasium gehen. In zehneinhalb Jahren würde ich Abitur machen. In sechsundsiebzigeinhalb Jahren würde ich tot sein. Ich ertränkte diese Erkenntnis in Apfelsaft.

Vor einigen Tagen recherchierte ich für einen Artikel über fünf Jungs, die ein Baumhaus gebaut hatten. Es schwebte fünf Meter über dem Erdboden und der Anführer meinte: „Sie müssen unbedingt hochklettern. Wir holen eine Leiter.“ Die Leiter war einen Meter zu kurz, der letzte Meter führte über den Baum. Ich brauchte zehn Minuten. Mit achteinhalb Jahren kletterte ich in Bäumen wie ein Affe, heute wie ein Nilpferd.

Ich hatte den Plan, mein Altern aufzuhalten, ohne dafür etwas zu tun. Mir fiel ein Flyer in die Hand. Eine Karolina bot Massagen an. Über die Hot Chocolate Massage schrieb sie: „Hier isst auch die Haut mit! Auf Ihrer Haut entfaltet diese dann heilende Wirkung und neutralisiert freie Radikale, die u.a. für Hautalterung verantwortlich sind.“ Karolina verlangte 50 Euro pro Stunde. Ich gab meinen Plan auf. Ich fand einen besseren Plan.

Ich habe erfahren, dass es Erich Kästner Schule heißt, ohne Bindestriche. Und nicht Erich-Kästner-Schule. Erich Kästner hat in seinem Testament verfügt, dass Zusammensetzungen mit seinem Namen ohne Bindestrich geschrieben werden.

Da sitzt Erich Kästner an seinem Testament und überlegt, wem er die Rechte an „Emil und die Detektive“ und anderer Kinderbuchweltliteratur geben sollte und kommt auf die Idee, dass er der Menschheit Bindestriche untersagt, wenn jemand eine Schule oder eine Straße oder einen Unterwasserzoo nach ihm benennt. Dann verstand ich. Erich Kästner wollte weiterexistieren. Nicht, indem er Bücher hinterließ, sondern indem er Regeln aufstellte, die für immer galten.

Ich fragte mich, ob es viele Dinge nur gab, weil Leute Anordnungen in ihren Testamenten hinterlassen hatten. „Alle müssen rechts vor links beachten“, „Bau mir einen Turm in Paris“, „Setz eine Gitarre unter Strom“, „Nimm den Apfel von der Schlange“. Mir war klar: Ich hatte keine Angst vorm Älterwerden, solange ich einen Befehl in meinem Testament hinterließ, der mich unsterblich machte.

Ich überlegte nicht lange: In meinem Testament würde ich erlassen, dass alle Masseurinnen, inklusive Karolina, zu ihren Kundinnen sagen: „Also ich hatte mal einen Kunden, seine Beine, seine Haut, seine Schultern, ein einziges Gedicht.“ Und dann würde die Masseurin meinen Namen nennen und die Damen hätten fortan eine schlaflose Nacht nach der nächsten. Das wird mir zu Lebzeiten nicht mehr gelingen.

Es ist nur blöd, dass ich von den schlaflosen Nächten der Frauen nichts mehr mitbekomme. Ich glaube, ich täusche einen Autounfall an einer Klippe vor und verstecke mich in meinem Kleiderschrank.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden