Osama liebt Hermine

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Ich habe einen neuen Mitbewohner. Der schwebt im siebten Himmel, seitdem er ein Bild von Emma Watson gesehen hat.

Mein neuer Untermieter ist Osama bin Laden.

Eines Tages stand er vor meiner Tür. Er trug einen Turban und ein weißes Gewand, aber weil er sich den Bart rasiert hatte, erkannte ich ihn nicht. Er habe meine Anzeige in der Zeitung gelesen, dass ich ein Zimmer vermiete. Ich zeigte ihm das Zimmer, er nickte zufrieden.

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte ich, als wir in der Küche saßen.
„Osama bin Laden.“
„Der Osama bin Laden?“
„Ja.“
„Achso.“
„Ist das ein Problem für Sie?“
„Na ja…“
„Ich mache Ihnen garantiert keinen Ärger.“
„Wirklich nicht?“
„Nein.“
„Na gut. Überredet.“
„Und bitte erzählen Sie niemandem, dass ich bei Ihnen wohne.“
„Warum sollte ich?“

Drei Tage später zog Osama bei mir ein. Ich gewöhnte mich schnell an seine Eigenarten. Er verließ das Haus nur nach Einbruch der Dunkelheit. Er rief jeden Abend in einer mir unbekannten Sprache Befehle ins Telefon. Seine Laune war relativ bescheiden. Beim Frühstück schwiegen wir meist. Aber ich hatte schon unangenehmere Mitbewohner. Er bot mir sogar das Du an.

Vor einigen Wochen saßen wir beim Frühstück. Osama verbrannte wie jeden Morgen eine US-Flagge im Aschenbecher, ich las die Zeitung.
„Guck mal“, sagte ich und hielt ihm die Titelseite hin, „das FBI hat ein neues Suchbild für dich herausgegeben.“
Er blickte nur kurz auf.
„Mmm“, grummelte er.
„So siehst du doch gar nicht aus. Der Typ auf dem Bild kommt rüber wie ein alkoholkranker Automechaniker.“
„Ist mir doch egal.“
„Also ich würde mir das nicht gefallen lassen.“
„Sebastian, es ist gut jetzt. Von mir aus können Sie mich auch mit dem Bild vom Glöckner von Notre Dame suchen. Ich habe wichtigeres zu tun, als mir darum Gedanken zu machen.“

Dann passierte die Sache mit den Fotos.

Einen Tag nach unserem Gespräch stieß ich im Internet auf die Kampagne des englischen Mode-Herstellers Burberry. Emma Watson, die in den Harry-Potter-Filmen Hermine spielt, war das Gesicht der Kampagne. Auf einem Bild sieht es so aus, als trage Emma Watson nur ihren Mantel. Ich schickte das Foto an ein paar Freunde und an Osama. Ich schickte ihm häufiger anzügliches Material, um ihn zu ärgern. Vermutlich dachte er, wie verkommen der Westen sei und löschte die Dateien sofort.

In den nächsten Tagen veränderte sich Osama allmählich, ohne dass ich eine Erklärung dafür hatte. Die Telefonate mit seinen ausländischen Freunden wurden weniger, bald verzichtete er auch darauf, morgens die US-Fahne zu verbrennen. Und eines Tages sagte er beim Frühstück:
„Du Sebastian, ich hab mir das mit dem Bild noch mal überlegt.“
„Ach so?“
„Ja, ich denke, du hast Recht. Ich sehe doch viel besser aus als auf dem Bild. Kannst du heute Abend nach der Arbeit ein Foto von mir machen? Dann schicken wir das ans FBI.“
„Klar. Gibt es einen Grund, warum du deine Meinung geändert hast?“
„Ähm… nein, nein. Die Leute sollen einfach nur wissen, wer ich wirklich bin.“

Als ich abends nach Hause kam, ging ich gleich in Osamas Zimmer. Ich vergaß anzuklopfen. Osama saß vor dem Fernseher und sah sich eine DVD an. Der Film stand gerade auf Pause und zeigte Emma Watson in Großaufnahme. Es war einer der späten Harry-Potter-Filme.

Erschrocken drehte sich Osama um.
„Ich hab doch gesagt, dass du anklopfen sollst.“
„Osama, siehst du dir etwa Emma Watson an?“
„Na und? Ich werde mir ja wohl ansehen dürfen, was ich will. Ich habe nur gerade auf Pause gestellt, weil du reingekommen bist.“
„Zufällig genau an der Stelle, an der Emma Watsons Gesichts den ganzen Bildschirm einnimmt?“
„Was willst du damit sagen? Können wir jetzt bitte die Fotos machen?“
„Moment mal… jetzt verstehe ich. Du hörst auf, die US-Fahne zu verbrennen. Du rufst deine Terroristen-Freunde nicht mehr an. Du willst, dass dich das FBI mit einem hübscheren Foto sucht… ich glaube, du bist verliebt und zwar in Emma Watson.“
„Das ist doch Blödsinn, Sebastian. Ich bin nur verliebt in den heiligen Krieg.“
„Dann erklär mir diese Zufälle.“
„Ähm…“
„Na?“
„Also…“
„Ich höre…“
„Meinst du, ich habe eine Chance bei ihr?“
„Du gibst es also zu? Osama liebt Emma, Osama liebt Emma.“
„Habe ich eine Chance bei ihr?“
„Osama liebt Emma, Osama liebt Emma.“
„Habe ich eine Chance bei ihr?“
„Manche Frauen stehen ja auf ältere Männer.“
„Meinst du?“
„Klar. Bist du so richtig verliebt? Mit Schmetterlingen im Bauch?“
„Ja.“
„Und abends lange wach liegen?“
„Ja.“
„Und wenn du die Augen schließt, siehst du nur sie?“
„Jaha. Können wir jetzt bitte das Foto machen?“
„Dann setzt dich mal auf den Stuhl da.“
„So?“
„Ja. Aber warte mal, solltest du nicht den Turban abnehmen und den Bart ganz abrasieren? Du siehst schon wieder so islamistisch aus.“
„Warum das denn? Bart und Turban sind Teil meiner Überzeugung.“
„Osama, wenn ich das mal so sagen darf: Wenn du Emma haben willst, musst du einen Teil deiner Überzeugungen ablegen. Denkst du, sie will jemanden, der aussieht, als würde er gleich irgendwas in die Luft sprengen?“
„Das ist diskriminierend.“
„Du musst dich zum Affen machen, Osama. Das ist der Preis.“
„Grummel… na gut, aber nur fürs Foto.“
Er verließ das Zimmer. Zehn Minuten später kehrte er zurück. Ohne Turban, ohne Bart.
„Osama, wenn ich eine Frau wäre, würde ich dir jetzt hinterher pfeifen.“

Am nächsten Tag ging das Foto durch alle Zeitungen und lief auf allen Fernsehsendern. Osama und ich saßen beim Frühstück.
„Das haben wir gut hinbekommen“, sagte er.
„Jetzt musst du aber schnell nachlegen“, sagte ich.
„Wieso das? Sie hat mein Bild gesehen, jetzt wird sie Kontakt zu mir aufnehmen.“
„So läuft das nicht. Du musst dich schon noch ein wenig anstrengen.“
„Noch mehr?“
„Willst du sie oder willst du sie nicht?“
Osama seufzte.
„Na also.“
„Und was soll ich machen?“
„Du könntest ihr einen Brief schreiben und dazu ein Mixtape aufnehmen.“
„Ein was?“
„Ein Mixtape. Du stellst einige Lieder zusammen, die deine Liebe für sie ausdrücken, und brennst sie auf eine CD.“
„Ach so. Das sollte kein Problem sein.“
„Hast du denn auch genügend Musik?“
„Klar.“

Als ich abends zurückkehrte, hielt er mir eine CD hin. Auf das Cover hatte er „Für Emma“ geschrieben, die Punkte über dem ‚u‘ waren Herzen. Auf der Rückseite hatte er die Songs eingetragen.
„Osama, das ist nicht dein Ernst, oder?“
„Wieso?“
„Da sind Stücke drauf, die heißen ‚Tod den Imperialistenschweinen‘ und ‚Den Amis auf die Fresse‘“.
„Na und?“
„Du sollst ihr deine Liebe zeigen und nicht, dass du auf Gewalt stehst.“
„Ja, aber ich stehe doch auf Gewalt.“
„Das musst du ihr aber nicht unbedingt sagen. Vermutlich ist sie Pazifistin. Wie alle berühmten weißen Schauspieler.“
„Und was soll ich jetzt machen?“
„Nimm Lieder von Coldplay oder Bon Jovi oder Snow Patrol oder Simon & Garfunkel.“
„Ich muss kotzen.“
„Osama!“
„Aber ich hab doch gar keine Platten von denen.“
„Wenn ich arbeiten bin, dann hörst du dir mal meine Plattensammlung an und was dir am besten gefällt, brenne ich dir auf CD.“
„Okay.“

Bei der Songauswahl bewies er zu meiner Überraschung tatsächlich Geschmack. Er schrieb noch ein paar schmachtvolle Zeilen, inklusive der ausführlichen Anleitung, wie sie mit Osama in Kontakt treten könne. Dann brachte ich das Paket zur Post und das Warten begann. Osama saß den ganzen Tag vorm Fernseher und sah sich Emma Watson an. Er abonnierte sämtliche Boulevardzeitschriften und tapezierte seine Wände mit Postern von ihr. Er baute ihr sogar einen kleinen Altar.

Es verging eine Woche, es vergingen zwei Wochen, drei Wochen, vier Wochen. Emma Watson antwortete nicht.

„Sebastian, meinst du sie mag mich nicht?“
„Osama, lass ihr ein wenig Zeit. Es ist sicherlich nicht einfach für sie, sich in den meistgesuchten Terroristen der Welt zu verlieben.“
„Aber ich habe doch eine so schöne CD zusammengestellt.“
„Ja, aber du bist auch ein Verbrecher.“
„Ja, aber die CD…“
„Nur Geduld, Osama.“
„Vielleicht waren es doch die falschen Lieder. Vielleicht steht sie doch auf Lieder über den heiligen Krieg.“
„Na klar.“

Als sie nach zwei Monaten noch immer nicht geantwortet hatte, machte auch ich mir allmählich Gedanken.
„Ich habe mir etwas überlegt“, sagte ich eines Tages beim Frühstück. „Du veröffentlichst doch regelmäßig Videobotschaften, in denen du dem Westen neue Anschläge androhst.“
„Ja, dafür lieben mich die Leute.“
„Oder auch nicht. Was hältst du davon, dass du ein Video veröffentlichst, in dem du Emma Watson deine Liebe gestehst?“
„Du hast sie ja wohl nicht mehr alle. Damit mache ich mich doch vor der ganzen Welt zum Idioten.“
„Nein, alle Welt wird gerührt sein. Vor allem Emma.“
„Mmm… niemand wird mich mehr fürchten.“
„So soll es sein.“
„Na ja, wenn du meinst, dass das funktioniert.“
„Auf jeden Fall. Aber vorher kaufen wir dir noch etwas anderes zum Anziehen.“
„Was hast du denn gegen mein Gewand?“
„E ist nicht ganz zeitgemäß. Ich bringe dir was bei H&M mit.“
„Die Kapitalistenschweine?“
„Ja.“
„Okay. Der Zweck heiligt die Mittel.“

Und so kam es, dass Osama am nächsten Tag in einem dünnen Wollpullover mit V-Ausschnitt, Röhrenjeans und weißen Sneakers vor der Kamera hockte. Die Haare hatte ich ihm nach einigen Diskussionen lässig zur Seite gekämmt.
„Sebastian, meinst du wirklich, dass das funktioniert? Das kann man doch nicht tragen.“
„Doch, in den großen Städten tragen das alle. Du gehörst jetzt zu den Coolen.“
„Echt?“
„Ja, und jetzt – Action.“

Osama sagte seinen Text auf, mir kamen fast die Tränen.

„Ich hätte da noch eine Idee“, sagte ich. „Warum schwörst du in dem Video nicht gleich dem heiligen Krieg ab – aus Liebe zu Emma. Das wäre eine Weltsensation.“
„Sebastian, ich habe mir ja geduldig deine Vorschläge angehört und die meisten auch übernommen, aber nun gehst du zu weit. Ich kann doch nicht Millionen von Glaubensbrüdern für eine Frau verraten.“
Ich hielt ihm meinen Laptop hin mit Emma Watson im Mantel und nichts drunter.
„Aber ich sag es erst am Ende, okay?“

Als wir fertig waren, schnitten wir das Video und schickten es an seine islamistischen Freunde, die für die Verbreitung verantwortlich waren.

Und dann passierte – nichts. Es verging Tag um Tag, ohne dass das Video auftauchte. Nicht im Fernsehen. Nicht in der Zeitung. Nicht im Radio. Wir waren sprachlos. Nach zwei Wochen verlor Osama die Geduld und rief bei seinen Freunden an.

„Und, was hast du herausbekommen?“, fragte ich.
„Die Fernsehsender wollen mein Video nicht spielen.“
„Warum denn nicht?“
„Die einen glauben nicht, dass es echt ist. So friedlich könne ich nicht sein. Die anderen sagen, einen friedlichen Osama will niemand sehen. Das passt nicht.“
„Bitte?“
„Ich sag doch, es war eine Schnapsidee. Weißt du, was ich glaube? Ihr im Westen, Ihr braucht mich als Feindbild, um alles zu rechtfertigen, was Ihr so anstellt. Ihr könnt viel besser mit mir als ohne mich leben.“
„Osama, nun fabulierst du dir eine Verschwörungstheorie zusammen.“
„Das hättest du wohl gerne. Das Gespräch ist hiermit beendet.“

Als ich am nächsten Tag nach Hause kam, saß Osama heulend in der Küche.
„Was ist denn los?“, fragte ich.
„Sie hat einen anderen.“
„Wer? Emma?“
Er nickte.
„Woher weißt du das?“
Er hielt mir eine Illustrierte hin. Dort stand „Emma Watson datet Franz Müller – ‚Es ist die große Liebe‘“.
Ich setzte mich zu Osama und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Es gibt noch so viele andere Frauen.“
„Ich will keine andere Frau. Ich will Emma.“
„Wenn du jemanden zum Reden brauchst – dann komm zu mir.“
„Danke, aber ich will jetzt erstmal alleine sein.“ Mit diesen Worten ging er in sein Zimmer.

Abends hörte ich ihn wieder ins Telefon rufen.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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