Stahlhelm drunter und groß machen

Jogis Tagebuch 2 Heute berichtet Jogi, warum die Ukrainer Humor haben und Besuche der Kanzlerin nerven. Außerdem verrät der Bundestrainer, wo es patriotische Bonbons gibt
Stahlhelm drunter und groß machen

Illustration: der Freitag

Freitag, 8. Juni

Seit heute bin ich der wichtigste Mensch Deutschlands. Alles, was ich tue, was ich sage, was mir passiert, hat automatisch Nachrichtenwert. Es ist egal, ob ich meinen Rücktritt verkünde oder mir bloß einen harmlosen Schnupfen eingefangen habe - es wird am nächsten Tag in der Zeitung stehen, und bei diesem Facebook werden die Leute es auch verbreiten. Da muss Hansi sich schon mehr einfallen lassen, um in die Schlagzeilen kommen. Deshalb hat er heute gleich richtig zugelangt. Die Betreiber unseres ukrainischen Hotels nahmen es mit Humor und servierten uns zum Abendessen Gulaschsuppe in Stahlhelmen. Ach ja, die Ukraine. Ein Land, in dem es vor Nazis nur so wimmelt, obwohl dort vor 70 Jahren noch die Nazis mit der Kettensäge durchgepflügt sind, muss ja ein lockeres Verhältnis zu seiner Geschichte haben.

Doch zurück zu meiner Stellung in der Öffentlichkeit. Das, was ich (und das Team) in den nächsten Wochen leisten, bringt das öffentliche Leben in Deutschland zum Stillstand. Ab heute leben die Leute nicht mehr aufs Wochenende hin, sondern auf unser nächstes Spiel. Sie werden zur Arbeit erscheinen, aber sie werden nur körperlich anwesend sein. Sie werden sich fragen, ob Schweinsteiger spielt, wann der erste Dortmunder zum Einsatz kommt, ob sie noch genügend Bier im Kühlschrank haben. In der Mittagspause fragen sie dann die Kollegen tatsächlich, ob Schweinsteiger spielt.

In der Werbung sind nur noch Spots zu sehen, die irgendwas mit Fußball zu tun haben. Beim Bäcker gibt es Europameisterbrötchen, von Maoam Bonbons in Schwarzrotgold, und Heinz Rudolf Kunze hat eine EM-Schallplatte aufgenommen. Aus allen Fenstern hängen Deutschlandfahnen außer im Schanzenviertel. Jede Regionalzeitung bringt eine EM-Beilage mit abgeschriebenen Informationen aus dem Kicker. Elefanten und Kühe sagen den Spielausgang voraus.

Natürlich kann man das kritisch sehen, natürlich kann man sich fragen: Muss das alles sein? Aber warum sollte ausgerechnet ich das tun? Napoleon hat ja auch nicht seine eigene Macht in Frage gestellt. Die Kanzlerin hat meine Position mit ihrem Besuch am Mittwochabend anerkannt. Dieser Besuch signalisierte: Herr Löw, Sie haben nun das Sagen, ich trete in die zweite Reihe.

Ach ja, die Kanzlerinnenbesuche. Sie sind zur lästigen Routine geworden. Ich habe Wolfgang Niersbach noch darum gebeten, das irgendwie zu verhindern, aber diese Ausgeburt an Mittelmäßigkeit ist neu in ihrem Amt und weiß noch nicht genau, wem sie zu gehorchen hat. Immer, wenn die Kanzlerin kommt, muss ich Dinge sagen wie „Es ist eine große Ehre … die Gespräche mit ihr sind sehr motivierend … die Spieler waren auch sehr begeistert“. Dabei musste ich den Kiddies noch erklären, wer Frau Merkel überhaupt ist. Die meisten von ihnen dürfen ja noch nicht wählen und haben von dieser Frau noch nie gehört.

Aber wenn man etwas Bescheuertes nur lange genug wiederholt, kommt es einem irgendwann gar nicht mehr bescheuert vor. Dann scheint es wie das normalste der Welt, dass Angela Merkel neben Miroslav Klose und Philipp Lahm beim Abendessen sitzt, und alle grinsen wie in einer Werbung für probiotischen Joghurt. Dabei sollte uns doch allen klar sein: Dass Merkel uns besucht, hilft höchstens ihr. Wie sollte sie uns denn weiterhelfen? Mit Ratschlägen? Aber selbst davon, wie man mit den Kids umgeht, hat sie keine Ahnung. Heute Abend haben die Kleinen und ich das Spiel der Geheimstfavoriten Polen und Griechenland in Gruppe Y gesehen. Als der Grieche den Elfer verschoss, rief Götze „Das hätte Robben nicht schöner machen können“. Daraufhin warf Manuel Neuer ihm einen Schuh an den Kopf. Zum Glück trug Götze seinen Stahlhelm.

Gerade hat Hansi mir mitgeteilt, dass wir morgen gegen Portugal spielen. Dabei hat Rudi Völler doch gesagt, es gibt keine Fußballzwerge mehr.

Jogi Löw ist damit beschäftigt, Europameister zu werden. Sein geheimes Tagebuch muss unser Autor Sebastian Dalkowski schreiben. Der hält sich deshalb bis zum Ausscheiden der Nationalmannschaft für den Bundestrainer

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