Trink doch einen mit

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Ich treffe mich mit einem Freund, der meinen Namen trägt. Dieser Freund hat ein Alkoholproblem und heult rum, dass ihn keiner versteht. Ich bin empört und falle ihm dann in den Rücken.

Ich muss einen Misston auf der E-Gitarre der guten Laune spielen. Ich tue dies für einen Freund, der sich nicht traut. Schuld daran sind alle, die zur Gesellschaft gehören. Ich nenne diesen Freund S. Das ist der Buchstabe, mit dem auch mein Vorname beginnt.

Vor ein paar Wochen sagte S. zu mir: „Ich habe ein Alkoholproblem.“
„Du trinkst zuviel?“
„Ich trinke überhaupt nicht. Das ist das Problem.“
„Du siehst, mein Gesicht ist ein einziges Fragezeichen. Erzähle mir mehr davon.“

Die Sache war die: Als mein Freund 14 wurde, fingen alle seine Freunde auf einer Party das Trinken an. Er war in dem Moment auf Toilette, als er zurückkam, konnte er sich nicht mehr dazu aufraffen mitzumachen. Die Zukunft war grau: Die Mädchen standen natürlich nicht auf ihn, weil er nicht trank, und immerzu musste er sein Glas bewachen, weil jemand was dazumischen wollte. Mein Freund ging dazu über, sich nur noch ungeöffnete Flaschen zu nehmen.

Er klagte weiter: „Und dann immer wieder diese Sprüche: ‚Ach komm, jetzt trink doch einen mit.’ Das geht jetzt schon zehn Jahre so und auf jeder Party ist es dasselbe. ‚Was, du trinkst nicht? Du musst gestört sein. Warum denn nicht?’ Ich bin ein psychisches Wrack, siehst du das denn nicht?“
Ich fand, er sah aus wie immer.
„Und was antwortest du auf die Frage?“
„Irgendwas mit ‚Warum trinkst du?’ Ich halte das nicht mehr aus, ich bin doch kein Wesen von einem anderen Planeten, oder?“

Ich spiele nun den Misston: Niemand darf in dieser Gesellschaft dafür geächtet werden, dass er seinen Körper nicht vergiften möchte. Es muss auch für ihn einen Platz geben in dieser Welt, die schließlich mit ganz anderen Menschen zurechtgekommen ist wie zum Beispiel Josef Stalin oder Michelle Hunziker. Ein Freund, der nicht trinkt, hat viele Vorteile: Er kann zum Beispiel immer fahren, vor allem von der Disco nach Hause, und wer ihm einen ausgeben muss, kommt sehr billig davon. Leitungswasser kostet nicht viel. Ich glaube nicht, dass Stalin einen nach der Disco nach hause gefahren hätte.

Das war der Misston. Nun falle ich meinem Freund S. in den Rücken. Vor ein paar Tagen guckten wir zusammen Fernsehen.
Ich sagte: „Nicht doch ein Schluck Bier?“
„Nein, danke. Ich habe meine Holunderbrause.“
„Ach komm, ein klitzekleines Schlückchen.“
„Nein, du weißt doch, warum nicht.“
„Warum denn nicht?“
„Warum denn?“
„Du willst doch nur etwas Besonderes sein. In deine Holunderbrause habe ich übrigens Wodka gemischt.“
„Ich weiß, ich habe sie ja längst durch eine neue Flasche ersetzt.“
„Du hast echt ein Alkoholproblem.“

Ich habe beschlossen, mich nicht mehr mit S. zu treffen. Er hat überhaupt gar kein Auto.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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