Zehntausende waren dieser Tage überall in Deutschland auf der Straße, um gegen die AfD zu protestieren. Auslöser: die Correctiv-Recherchen über ein geheimes Treffen von ranghohen AfD-Funktionären, Neonazis, rechten Unternehmern, völkischen Vernetzern und CDU-Mitgliedern. Ihr Gesprächsthema: Deportationspläne nach einer möglichen Machtübernahme.
Annalena Baerbock und Olaf Scholz in Potsdam
Die in Potsdam demnach diskutierten Konzepte zählen seit längerer Zeit zur Grundausrüstung der Rechtsradikalen im medialen Stellungskrieg. Auch der Kreis, der zusammenkam, bestand weitgehend aus bekannten Akteuren des sich um die AfD herum formierenden rechtsradikalen Projekts. Eigentlich waren die Ergebnisse dieser Recherche also keine Ü
nd weitgehend aus bekannten Akteuren des sich um die AfD herum formierenden rechtsradikalen Projekts. Eigentlich waren die Ergebnisse dieser Recherche also keine Überraschung. Trotzdem haben sie offensichtlich einen Nerv getroffen – insbesondere bei denen, die sich im Zuge all der Krisen der jüngeren Zeit in Schrebergärten, Schneckenhäuser oder innere Happy Places zurückgezogen haben: Während die einen immer neue Umfragerekorde feierten, wurden die anderen allmählich stiller, manche stellten sich sogar auf stumm. Die Proteste jetzt sind für Liberale wie Linke vielleicht ein Anfang, um sich aus der eigenen Lethargie zu befreien. Aber wird daraus eine Stimme? Wäre dies überhaupt wünschenswert?Sollte es zu einer breiten neuen antifaschistischen Bewegung kommen, wird es gerade für die Linken eine zentrale Herausforderung sein, sich einerseits gemeinsam gegen den Griff der Rechtsradikalen nach der Macht zu wehren, andererseits die liberalen und konservativen Ermöglicher dessen zu kritisieren. So sind unter denen, die jetzt protestieren, nicht unerheblich viele, die mindestens mitverantwortlich für die aktuelle Stärke der AfD sind: diejenigen etwa, die zwar Frieden für die Ukraine wollen, aber erst dann, wenn die eine, die eigene Seite gewonnen hat. Oder diejenigen, die mit selbst verursachter und politisch gewollter Austeritäts-, also Kürzungspolitik Abstiegsängste befeuern.Gegenwind lässt die internen Widersprüche der AfD zutage tretenWenn in Potsdam die personifizierte Schwarze Null, Kanzler Olaf Scholz (SPD), und die Frontkämpferin angeblich wertegeleiteter westlicher Außenpolitik, Annalena Baerbock (Grüne), mit gegen die AfD demonstrieren, macht das zwar die Breite der antifaschistischen Bewegung deutlich, zeigt aber auch Grenzen auf. Allgemeiner: Substanzieller Antifaschismus stellt einen Zusammenhang her zwischen der von rechts angestrebten faschistischen, völkischen Barbarei und der strukturellen Ungleichheit im Hier und Jetzt, verbindet also – positiv bestimmt – einen Abwehrkampf mit einer langfristigen Perspektive für eine Gesellschaft, in der Freiheit, Gleichheit und Solidarität nicht nur leere Floskeln, sondern weitestmöglich realisiert werden.Dennoch ist klar: Akut hilft gegen die Rechtsradikalen nur eine Bewegung, die so breit wie möglich ist. Daraus ergibt sich ein weiteres Problem: Will es nicht nur ein Strohfeuer sein, braucht ein politisches Projekt als Orientierungspunkt und Silberstreif am dunkelbraunen Horizont ein gemeinsames, möglich erscheinendes Ziel – einen medialen Bezugspunkt, der abendfüllend diskutiert und auf Transparente und Schilder geschrieben werden kann. Eine verbindende, populäre, funktionale Forderung ist die nach einem Verbot der AfD. Fragen nach der Umsetzbarkeit und nach dem demokratietheoretischen Sinn können zumindest für den Moment eine untergeordnete Rolle spielen.2018: „Ausgehetzt“ und „Unteilbar“Ähnlich wie 2018 könnte eine breite antifaschistische Bewegung mit der Forderung nach einem Verbot als Kitt über die ideologischen Grenzen hinweg der AfD schaden. Auch damals feierte die Partei ein Hoch in Umfragen, in vielen Städten regte sich daraufhin Protest. Über Wochen hinweg wendeten sich etwa in München „Ausgehetzt“-Demos gegen Verschärfungen im Sicherheitsbereich, die CSU und gegen die AfD. In Chemnitz skandierten Zehntausende „Wir sind mehr“, nachdem es Ausschreitungen Rechtsradikaler gegeben hatte. In Berlin kamen unter dem Motto „Unteilbar“ Hunderttausende zusammen, um gegen den Rechtsruck und für gleiche Rechte für alle zu demonstrieren. Diese Proteste haben mit dazu beigetragen, dass der AfD bald stärkerer Gegenwind von Medien, Politik und Öffentlichkeit in die Gesichter blies.Spätestens als der Verfassungsschutz die AfD stärker in den Blick nahm und deren Umfragewerte zu sinken begannen, reagierten führende AfD-Politiker zunehmend dünnhäutig. Interne Widersprüche brachen wieder auf. Diese trägt die AfD zwar nicht mehr so offen aus wie unter Bernd Lucke, Frauke Petry oder Jörg Meuthen. Gelöst sind sie aber nicht. Die einen, bewegungsorientierte Kräfte, würden am liebsten erst regieren, wenn sie bei mehr als 5o Prozent stehen; keine halben Sachen machen, so hat es Björn Höcke einmal ausgedrückt. Die anderen können sich die AfD auch als Juniorpartner der CDU vorstellen und geben sich gern bürgerlich-gemäßigt.Es gibt erste Anzeichen dafür, dass die mühevoll zusammengezimmerte Scheune der Rechten weniger standhaft ist als befürchtet: Der beim Deportations-Treffen anwesende Roland Hartwig, früher Chefjustiziar des Bayer-Konzerns, muss als Berater Alice Weidels gehen. Gleichzeitig erklärten die AfD-Fraktionsvorsitzenden in den ostdeutschen Landtagen gemeinsam, solche Deportationen, von ihnen geframt als „Remigration“, seien Gebot der Stunde.
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