Seien Sie mutig, Herr Varoufakis!

Griechenland Offener Brief an den Finanzminister eines insolventen Staates.

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Ihre Freitag-Redaktion

Sehr geehrter Herr Varoufakis,

ich habe eine Frage an Sie:

Wenn Sie in Ihrem Garten großes, hässliches und wild wucherndes Unkraut haben – was machen Sie dann? Schneiden Sie es auf eine annehmbare Größe zurück oder reißen Sie es mit Stumpf und Stiel aus, damit Sie endlich Ruhe vor dem Zeug haben und Ihre Nutzpflanzen besser gedeihen können?

Ich gehe einmal davon aus, dass Sie die zweite Alternative wählen, weil es überhaupt keinen Sinn macht, Unkraut zurückzuschneiden. In kürzester Zeit würde es wieder die alte Größe erreicht haben und den Nutzpflanzen das Leben schwer machen.

Jetzt frage ich Sie aber, warum Sie in Bezug auf die griechischen Staatschulden eben nicht das Übel an der Wurzel packen wollen, sondern es nur ein wenig stutzen wollen, um es ein bisschen erträglicher zu gestalten?

Glauben Sie wirklich, dass es Sinn macht, die Rückzahlungen an die griechischen Geldgeber zu strecken?

Glauben Sie wirklich, dass es Sinn macht, mit der EU, der EZB oder dem IWF bessere Bedingungen für den griechischen Schuldendienst auszuhandeln?

Glauben Sie wirklich, dass es Sinn macht, weitere Staatsanleihen aufzulegen, um Gelder für den griechischen Haushalt zu akquirieren?

Glauben Sie wirklich, dass es Sinn macht, dass Staaten insolvente Banken retten, anschließend selbst pleite sind und sich dann bei den Banken, die sie eben noch gerettet haben, Geld leihen?

Bitte klären Sie die europäische Öffentlichkeit darüber auf, dass die Schulden, die Griechenland hat, spiegelbildlich bei anderen als Vermögen existieren.

Bitte klären Sie auf, dass in unserem Geldsystem Geld ausschließlich als Kredit entsteht und deshalb alle Welt verschuldet ist.

Bitte klären Sie auf, dass eine Geldmenge von derzeit 10 Billionen Euro im Euroraum zwangsläufig zur Folge haben MUSS, dass 10 Billionen Euro Schulden existieren.

Bitte klären Sie auf, dass seit 2008 die Verschuldungsfähigkeit von Privatpersonen und Unternehmen praktisch erschöpft ist und somit nur ein weiterer Schuldner blieb: der Staat.

Sehr geehrter Herr Varoufakis,

und ich möchte Sie weiterhin bitten, die richtigen Fragen zu stellen:

Müssen sich Staaten überhaupt verschulden?

Macht es Sinn, dass Staaten Zentralbanken unterhalten, die es Geschäftsbanken ermöglichen, Geld aus dem Nichts zu erfinden, welches die Geschäftsbanken dann gegen Zinsen an Staaten verleihen?

Können Staaten nicht selbst Geld in Umlauf bringen, das an niemanden zurückgezahlt werden muss?

Brauchen wir vielleicht nur deshalb Wirtschaftswachstum, weil die Geldmenge systembedingt wächst und uns ohne Wirtschaftswachstum die Inflation um die Ohren fliegt?

Macht es nicht mehr Sinn, dem Bürger das Geld zu geben, das man zurzeit in die Rettung von Staaten (lies: Banken) steckt?

Sehr geehrter Herr Varoufakis,

ich möchte Sie recht herzlich bitten, die kleine Nagelschere, mit der Sie das Unkraut stutzen wollten, zur Seite zu legen und sich stattdessen die dicken, ledernen Arbeitshandschuhe anzuziehen, um die Plage namens Schuldgeldsystem mit Stumpf und Stiel auszureißen.

Seien Sie mutig!

Herzlichst

Sebastian Kunze

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Geschrieben von

Sebastian Kunze

Jurist, Buchautor: "Schwarzbuch Geldsystem"

Sebastian Kunze

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