Neues von Occupy: Mit Kafka die Welt retten

Medientagebuch Vor einem Jahr forderte die Adbusters Foundation: Occupy Wallstreet! In der Jubiläumsausgabe des "Adbusters"-Magazins zieht sie nun Bilanz
Auch das war Occupy 2012: Polizist nach Farbbeutel-Attacke in Oakland
Auch das war Occupy 2012: Polizist nach Farbbeutel-Attacke in Oakland

Foto: Justin Sullivan/AFP/Getty Images

Jahrestage haben mehr als nur eine symbolische Bedeutung, sie bieten Anlass, aus dem Blickwinkel Geratenes wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Das dachten sich wohl auch die kanadischen Adbusters-Aktivisten, die zu den Occupy-Wall-Street-Protesten am 17. September 2011 aufgerufen hatten und somit wesentliche Initiatoren der Bewegung waren. Schon seit 1989 treten sie vor allem als „Culture-Jammer“ in Erscheinung, die durch originelle Kunstaktionen den schönen Schein der Warenwelt zertrümmern und die verborgenen Mechanismen des Konsumimperativs beleuchten. Occupy bedeutete einen weiteren Schritt hin zur praktischen Aktion und hinein in den öffentlichen Raum.

Die aktuelle Ausgabe des Adbusters-Magazins verbindet beide Wirkungsfelder. Die vorderen, bunt aufgemachten und großflächig bebilderten Seiten sorgen durch die Verfremdung und Neubetextung von Werbebildern für Denkanstöße und bittere Einsichten. Die zweite Hälfte des Magazins ist textlastiger. Hier sind mehrere Stücke dem Rückblick, der Bestandsaufnahme und den zukünftigen Perspektiven von Occupy gewidmet. Nur eine tiefgehende Analyse, warum die Bewegung nach furiosem Auftakt eher wirkungslos versandete, ist nicht dabei, auch wenn Probleme angesprochen werden.

„What is our one demand?“

Die Unbestimmtheit der Ziele und die lose Organisation tauchen öfter auf, werden zugleich aber immer wieder als Stärke der Bewegung gedeutet. In einem abgedruckten Auszug ihres neuesten Buches Declaration sehen die beiden Empire-Autoren Michael Hardt und Antonio Negri gerade die Führungslosigkeit und das Bestehen auf allumfassende demokratische Prinzipien als den Schlüssel zur Macht für die sozialen Bewegungen. Andere Texte greifen die ursprünglichen Motive und den Geist von Occupy auf. Der Autor Rami Shamir schreibt vom Gefühl, nicht einmal mehr die Krümel vom „American Pie“ zu kriegen, an anderer Stelle schreibt die Occupy-Theoretikern Marina Sitrin über die Notwendigkeit, etwas Neues zu schaffen – gleich gefolgt vom Eingeständnis „We are not even sure what that something is“. Im September vergangenen Jahres fragten die Aktivisten noch nach der einen, großen, verbindenden Forderung. „What is our one demand?“ war damals auf den Adbusters-Plakaten über dem Kopf einer Ballerina, die auf einem Bullen tanzte, zu lesen. Gefunden ist diese eine Forderung anscheinend bis heute nicht, stattdessen wird das Schwarmhafte und Fluktuierende der Bewegung als neues Potenzial betrachtet.

Der originellste und intellektuell anregendste Text zur Situation Occupys kommt vom englischen Marxisten Andy Merrifield, der versucht mithilfe der Literatur Handlungsperspektiven für die Bewegung auszuloten. Kafka statt Marx sollte als Denker dienen, denn nicht mehr die Klassengegensätze, sondern die allgegenwärtige Bürokratie und die Unmöglichkeit der direkten Kommunikation, wie sie in Kafkas Prozess und dem Schloss thematisiert werden, seien die Grundübel der verwalteten Welt. Occupy könne helfen, aus dieser Welt auszubrechen, indem die Bewegung eine Öffentlichkeit herstellt, die verschiedene Öffentlichkeiten, sowohl online als auch offline, miteinander verbindet und revolutionäre Aktionen nicht unbedingt organisiert, sondern vor allem koordiniert.

Physische Manifestationen können dabei nur helfen. Für den 17. September sind deshalb unter dem Motto „All roads lead to Wall Street“ diverse Aktionen in New York geplant. Bleibt zu hoffen, dass sie sich nicht zu sehr an Kafka orientieren, denn ein Happy End gibt es bei ihm eigentlich nie.

Sebastian Triesch lebt und liest in Berlin

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