BSW-O-Mat: Wieviel Sahra Wagenknecht steckt in Ihnen?
Interview Per Online-Befragung die eigene Übereinstimmung mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht checken: dafür hat der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek von der Uni Potsdam den „BSW-O-Mat“ entwickelt. „Das Interesse ist sehr groß“, sagt er
Vom BSW-O-Mat machen bisher etwas mehr Nicht-Wähler als bei solchen Tools üblich Gebrauch
Foto: Filip Singer/picture alliance/EPA
„Viele Menschen haben das Vertrauen in den Staat verloren und fühlen sich durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten“ – das ist die erste Aussage, mit der der „BSW-O-Mat“ der Universität Potsdam Nutzerinnen und Nutzer konfrontiert. Von „Lehne voll ab“ (-5) bis „Stimme voll zu“ (+5) reicht die Antwort-Skala. Wer seine Position zu mindestens 19 weiteren Aussagen dieser Art angibt, kann sich in Prozentwerten seine Gesamtübereinstimmung mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) anzeigen lassen – und die Übereinstimmung in den Bereichen Kritik am Establishment, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Freiheit, Klima und Energie, Zuwanderung und Außenpolitik.
Entwickelt hat das Online-Tool der Politikwisse
Entwickelt hat das Online-Tool der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek vom Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft in Potsdam. Im Gespräch mit dem Freitag erklärt er, wie er dabei vorgegangen ist, wie er selbst das BSW politisch verortet und warum der BSW-O-Mat etwas anderes ist als der populäre Wahl-O-Mat.der Freitag: Herr Thomeczek, wie ist die politikwissenschaftliche Forschungs- und Datenlage rund um Parteineugründungen und deren potenzielle Resonanz bei Wählerinnen und Wählern allgemein und in Bezug auf das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Konkreten?Jan Philipp Thomeczek: Die Parteiforschung stürzt sich natürlich gerne auf neue Parteien, alle wollen die ersten sein. Das ist also gewissermaßen auch eine forschungsstrategische Erwägung. Einige Kolleg:innen haben durch die Forschung zur AfD ihre Karriere aufgebaut. Aber das kann auch nach hinten losgehen. Ich will nur an die Piraten erinnern, die Partei selbst ist ja steil gestartet, aber mittlerweile obsolet. Zum Potenzial von Wagenknecht hatten zwei Kolleginnen und ich vergangenes Jahr ja einen Artikel veröffentlicht; bei uns – und auch insgesamt – geht der Tenor bzw. zum Teil die Hoffnung in die Richtung, dass das BSW die AfD dezimieren könnte. Das Potenzial ist schon da, aber: Abwarten. Gewählt worden ist noch nicht. Umfragen und Wahlen sind zwei verschiedene Dinge. Außerdem entwickeln sich neue Parteien schnell, die AfD von 2013 ist eine andere Partei als die AfD von 2024.Was gibt das BSW inhaltlich bisher her für eine Befragung wie diese?Das BSW gibt selbst relativ wenig her. Daher hatte ich mich dazu entschieden, mich auch auf Originalaussagen aus dem sehr knappen Gründungsmanifest zu stützen, was mittlerweile geringfügig erweitert wurde. Wir wissen aber zumindest über Sahra Wagenknecht einiges, sie ist ja seit Jahren eine sehr aktive Politikerin. Mit den Studierenden aus meinem Kurs schauen wir uns gerade Pressemitteilungen der Linksfraktion an. Ein Zwischenergebnis ist, dass Sahra Wagenknecht, neben wirtschafts- und sozialpolitisch natürlich sehr linken Positionen, die aber in der Linken nie umstritten waren, äußerst populistisch auftritt. Und auch deutlich populistischer als Vertreter des gemäßigten Flügels der Linken wie Dietmar Bartsch. Populistisch im politikwissenschaftlichen Sinne bedeutet, dass sie versucht, die Bevölkerung in der Breite anzusprechen und diese einer Elite – oft Wirtschaftselite – gegenüberstellt. Eine sehr günstige Gelegenheit bot beispielsweise die Finanzkrise, wo sie häufig „die Steuerzahler“ – Originalzitat – „den Finanzhaien“ gegenübergestellt hat.Gab es irgendeinen Kontakt zum BSW bei der Vorbereitung des BSW-O-Mats, etwa Rückfragen zur Klärung?Nein, es gab keinen Kontakt. Durch den Ansatz war aber auch keine Klärung nötig, da die Aussagen ja „im Original“ Eingang in den BSW-O-Mat gefunden haben.Wie sind Sie vorgegangen, wie haben Sie Inhalte und Fragen operationalisiert, wo und wie gegebenenfalls gewichtet?Als Schwerpunkt des BSW habe ich zunächst Wirtschafts- und Sozialpolitik identifiziert, was vor dem Hintergrund von Wagenknechts Werdegang auch logisch erscheint. Des Weiteren ist auch an der Struktur des Dokuments erkennbar, dass Außenpolitik, Zuwanderung und Klima- bzw. Energiepolitik wichtig für das BSW sind. Das sind die Themen, bei denen sich das BSW von der Linken absetzt. Schließlich ist da etwas, was ich „Freiheit“ nenne, womit vor allem Äußerungen des BSW zum Thema Meinungsäußerung oder Cancel Culture gemeint sind. Als letztes Thema habe ich etwas von der populistischen Rhetorik aufgegriffen, die meiner Ansicht nach schon jetzt eine wichtige Rolle für das BSW spielt, „Establishmentkritik“ genannt. Wichtig ist natürlich, dass Thesen aus allen Bereichen in den BSW-O-Mat Eingang finden. Das Thema „Freiheit“ ist mit zwei (meiner Meinung nach recht kontroversen) Thesen vertreten, die übrigen mit drei bis fünf. Es soll kein Thema dominieren. Zudem hatte ich mich für eine elfstufige Skala von -5 bis +5 entschieden, was eine nuancierte Positionierung und Berechnung der Übereinstimmung erlaubt.Der Deutschlandfunk etwa kommentiert, das BSW wäre bisher inhaltlich „schwammig“ und „vage“. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie würden Sie das BSW inhaltlich im gegenwärtigen Parteienspektrum verorten?Es ist richtig, dass ein Teil der Aussagen eher auf Allgemeinplätzen beruht, beispielsweise die Aussagen zur Marktmacht von Techfirmen wie Facebook. Aber hier ist das Framing entscheidend: Das BSW spricht von „übergriffigen Digitalmonopolisten“, es scheint also stark elitenkritische Rhetorik durch. Wenn die Grünen oder die SPD Facebook kritisieren, nutzen sie eine deutlich gemäßigtere Sprache, und kritisieren auch eher einzelne Akteure als alle „in einen Topf zu werfen“. In anderen Bereichen fanden aber auch inhaltlich stark polarisierende Aussagen Eingang in das Manifest. Beispielsweise scheint eine stark antiamerikanische Haltung durch und auch der NATO wirft das BSW vor, Zitat „Bedrohungsgefühle und Abwehrreaktionen“ zu schüren. Solche Positionen existieren selbstverständlich auch bei vielen Wähler:innen, aber es ist beileibe nicht so, dass dies Konsens in der Bevölkerung wäre. Übrigens fand ich die Aussagen in den beiden Pressekonferenzen des BSW zum Teil noch deutlich härter, in der ersten hatte Sahra Wagenknecht beispielsweise Gaza als das „größte Freiluftgefängnis der Welt“ bezeichnet. Das ist natürlich eine sehr polarisierende Aussage. Das BSW will an einigen Stellen vielleicht vage wirken, aber es stimmt nicht, dass es keine radikalen Positionen vertreten würde.Wie würden Sie den Zweck des BSW-O-Mats beschreiben?Der Zweck ist zum einen einer, der eher der politischen Bildung zuzuordnen ist, nämlich sich mit den Positionen des BSW auseinanderzusetzen. Ich habe schon Feedback von einigen Lehrkräften bekommen, die das Tool im Unterricht nutzen. Zum anderen kann man, wenn man möchte, weitere Angaben machen, die ich dann für meine Forschung nutze. Mich interessiert vor allem das Potenzial des BSW: In welchen Wähler:innengruppen ist es am größten, sind es wirklich die AfDler? Welche Aussage aus dem BSW-O-Mat bzw. welche Positionen aus welchen Themenbereichen haben einen besonders starken Einfluss auf die Nähe zum BSW, sprich, welche Themen „pushen“ die Wähler:innen zum BSW? Mich freut es besonders, dass so viele Nutzer:innen tatsächlich auch die Daten spenden, das müssten sie nicht machen. Und über 60 Prozent haben auch noch bis zur letzten Zusatzfrage durchgehalten!Haben Sie den BSW-O-Mat schon selbst genutzt und wenn ja, hat Sie das Ergebnis überrascht oder nicht?Ich habe den BSW-O-Mat natürlich Dutzende Male getestet, aber habe da mittlerweile eine gewisse Betriebsblindheit entwickelt, sodass mein eigenes Tool für mich leider keine nützlichen Ergebnisse produzieren kann.Was ist über die Sozialstruktur derer bekannt, die solche Online-Wahlhilfen nutzen?Das hängt von vielen Faktoren ab. Wenn die Bild einen Artikel über den BSW-O-Mat veröffentlicht, nutzen ihn natürlich andere Menschen als wenn der Freitag dies tut. In meinem Fall erkennt man einen gewissen Brandenburg-Bias, weil regionale Medien über Uni-Projekte berichten. Aus der internationalen Forschung sind aber einige Trends bekannt, die ich tendenziell bestätigen kann. Hochgebildete interessieren sich in stärkeren Maße für solche Tools, was aber auch daran liegt, dass diese sich stärker an Wahlen beteiligen und stärker für Politik interessieren. Die Verzerrung liegt also erstrangig im Interesse für Politik begründet, und nur nachrangig im Interesse an solchen Tools. Meistens sind auch Männer stärker unter Nutzenden vertreten, wobei dies nicht immer der Fall ist. Anders als viele denken, ist es aber nicht so, dass solche Tools nur Jüngere nutzen würden – auch die Generation 60+ hat mittlerweile große digitale Kompetenzen. Erst ab 75 nimmt dieser Trend wirklich ab.Wie viele Menschen haben den BSW-O-Mat denn schon genutzt, und was wissen Sie über diejenigen?Es sind etwas mehr Nichtwähler:innen als üblich für solche Tools im Datensatz. Und unter den Anhänger:innen der Linken – nicht der AfD – existiert die größte Neugier in Bezug auf das Ergebnis. Nutzung ist aber natürlich nicht unbedingt mit größerer inhaltliche Nähe gleichzusetzen, das werde ich unter anderem untersuchen. Da schon jetzt über 20.000 Nutzer:innen ihre Daten freiwillig angegeben haben, kann man die Daten aber gut gewichten. Zur Analyse kann man dann zum Beispiel eine Stichprobe ziehen, bei der die Wahrscheinlichkeit, dort drin zu landen, dem Gewicht entspricht. Die Verteilung der soziodemografischen Eigenschaften, nach denen man gewichtet – Geschlecht, Alter, Bildung zum Beispiel –, dienen dann dazu, eine Stichprobe aus den Daten zu ziehen, die der Verteilung in der deutschen Gesellschaft ähnelt. Der BSW-O-Mat ist aber natürlich keine Wahlhilfe, da es nicht um eine Wahl geht. In einer Wahlhilfe würde man natürlich noch mehr Parteien und die Fragen auch nicht aus dem Programm nur einer Partei einbeziehen. Aber da niemand so richtig weiß, wofür das BSW steht, habe ich wohl einen Nerv getroffen, denn das Interesse ist wirklich sehr groß. Wie viele Menschen den BSW-O-Mat tatsächlich genutzt habe, kann ich gar nicht sagen, da diejenigen, die ihre Eingabe nach der Ergebnisberechnung wieder löschen, nicht im Datensatz erscheinen.
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